Um Platz zu schaffenGeflüchtete in Weilerswist sollen in Notunterkunft umziehen

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Vor der Unterkunft an der Kölner Straße: Beigeordneter Marcus Derichs (l.) und Integrationsfachkraft Idriss Laaroussi. 

Weilerswist – Die Verwaltung bezeichnet es als zwingend notwendige Vorausplanung, um Platz für weitere Geflüchtete aus der Ukraine zu schaffen. Der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer Herbert Güttes spricht von sich manifestierendem Rassismus und einem bereits wirksamen Zweiklassensystem, das zwischen ukrainischen Geflüchteten und jenen aus anderen Ländern unterscheidet.

Teilweise allein in einem Zimmer gewohnt

Hintergrund der Anschuldigungen ist ein Umzug von 15 Geflüchteten aus der großen Unterkunft an der Martin-Luther-Straße in die Obdachlosenunterkunft an der Kölner Straße, der vor einigen Wochen durchgesetzt wurde.

„In der Unterkunft an der Martin-Luther-Straße konnten wir uns in den letzten Jahren eine lockere Belegung erlauben und haben auch bereits anerkannte Geflüchtete dort wohnen lassen, teilweise alleine in einem Zimmer“, erklärt der Beigeordnete der Gemeinde Weilerswist. Ihnen allen sei in der Zeit nach ihrer Anerkennung immer wieder nahegelegt worden, sich um eigenen Wohnraum zu kümmern. Auch seien immer wieder Angebote für privaten Wohnraum vorgelegt worden, versichert Idriss Laaroussi, einer von zwei Sozialarbeitern, die in der Gemeinde zuständig sind für Integration und Asylverfahren.

Umzug mündlich und schriftlich angekündigt

Herbert Güttes wirft der Gemeinde vor, „Knall auf Fall“ den Umzug angeordnet zu haben. Die Gemeinde hält dagegen, lange im Vorfeld mündlich und schließlich vier Tage vor dem Termin schriftlich bekanntgegeben zu haben, dass die Bewohner aufgrund des drohenden Platzmangels umziehen müssen. „Wir haben darin auch die Notsituation der Gemeinde erläutert“, sagt Derichs.

Noch gebe es kein Zuweisungsverfahren für ukrainische Geflüchtete seitens der Bezirksregierung, „das heißt, für uns ist die Situation insgesamt schwer plan- und kalkulierbar“, sagt der Beigeordnete. Immer wieder ständen Menschen einfach vor der Rathaustür, die in der Gemeinde aufgenommen werden müssen. Derichs: „Wir befürchten, auf einen Engpass hinzusteuern, weshalb wir Platz für weitere Geflüchtete schaffen mussten.“

159 Geflüchtete aus der Ukraine in der Gemeinde

Stand vergangener Woche leben 159 aus der Ukraine geflüchtete Menschen in Weilerswist, 90 davon in der Flüchtlingsunterkunft an der Martin-Luther-Straße, die meisten von ihnen sind Frauen mit Kindern. „Die anderen wurden dank engagierter Bürgerinnen und Bürger privat aufgenommen“, sagt Derichs, der in diesem Zusammenhang auch die wertvolle Arbeit der Flüchtlingsinitiative Weilerswist lobt, die „uns mit ihrer Arbeit enorm hilft“.

Durch die Umverteilung auf die Kölner Straße und Zusammenlegung mehrerer Personen in einem Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft Martin-Luther-Straße, in der auch weiterhin jene leben, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sind, konnten dort 24 Plätze dazugewonnen werden. Darüber hinaus habe man die Pläne, den Bahnhof Derkum zu verkaufen, gestoppt. Dort will man weitere Kapazitäten für bis zu 80 Geflüchtete schaffen. Für Notfälle, so der Beigeordnete, habe man auf dem Gelände des Bauhofs auch noch einen Container mit zehn Schlafplätzen aufgestellt.

Ehrenamtler beklagt Ungleichbehandlung

„Ich freue mich über jede Hilfe für ukrainische Geflüchtete“, versichert Ehrenamtler Herbert Güttes. „Aber es darf nicht zu einer Ungleichbehandlung führen.“ Und die sieht er unter anderem in der Art der Unterbringung: „In der Notunterkunft an der Kölner Straße leben sechs Menschen auf 22 Quadratmetern – weniger als vier Quadratmeter pro Person. Das kann nicht hingenommen werden.“

Die Gemeinde spricht von vier Bewohnern in Sechsbettzimmern: „Von einigen war uns im Vorfeld bereits bekannt, dass sie nicht einziehen werden und die Zimmer deshalb nicht vollbelegt sind“, erklärt Sozialarbeiter Idriss Laaroussi. Auch erinnert er an die Hochzeiten der Flüchtlingswelle 2015/2016: „Damals mussten wir gar bis zu acht Personen in den Zimmern unterbringen.“

Nur als vorübergehende Unterbringung zu verstehen

Dass das nicht wünschenswert ist, daran lässt er keinen Zweifel. Eine Flüchtlingsunterkunft sei immer als eine vorübergehende Unterbringung zu verstehen, betont Marcus Derichs. „Zumal in den Einrichtungen Integration kaum stattfinden kann“, unterstreicht Laaroussi. Die Menschen müssten, sobald sie anerkannte Flüchtlinge seien, mit allen Mitteln versuchen, aus den Einrichtungen rauszukommen.

Für Herbert Güttes ist dies nicht mehr als zynisch: „Es ist – gerade für afrikanische Menschen – unglaublich schwierig, eine bezahlbare Wohnung zu finden.“ Für die Nutzungsgebühr von 215 Euro plus 36 Euro Stromkosten, die anerkannte Geflüchtete in der Gemeindeunterkunft zahlen müssen, lässt sich auf dem freien Wohnungsmarkt kaum etwas finden.

Frauen und Kinder geschützter untergebracht

„Das Argument der Raumnot der Verwaltung scheint uns real und nicht vorgeschoben. Auch im Heim an der Martin-Luther-Straße wird es mittlerweile sehr eng“, teilt Michael Detscher von der Flüchtlingsinitiative Weilerswist mit. „Gut finden wir, dass Frauen mit Kindern in den abgeschlossenen und damit relativ sicheren Unterbringungen leben können“, so der Vorsitzende.

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Dass der Frust der in die Kölner Straße Umgesiedelten groß sei, sei sehr nachvollziehbar. Der Frust von Herbert Güttes, der sich für einige von ihnen engagiert, auch“, so Detscher in seiner Stellungnahme.  

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