Prozess nach Attacke in LeverkusenMann sticht 26 Mal auf Mutter von Mitschülerin ein

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Mordkommission Schumannstraße Le

In der Schumannstraße in der Waldsiedlung ist eine Frau angegriffen worden.

Leverkusen – Er hatte sich eine schwarze Sturmhaube über den Kopf gezogen, das Einhandmesser gezückt: Als am Abend des 20. April in der Schumannstraße in der Waldsiedlung eine 58-Jährige die Tür ihres Wohnhauses öffnete, stach der Mann zu. Insgesamt 26 Mal. Die Frau überlebte nur dank einer Notoperation im Klinikum, sie hatte fast 2,5 Liter Blut verloren.

Am Montag begann vor dem Kölner Landgericht nun der Prozess um die Attacke: Was trieb den heute 19-Jährigen mutmaßlichen Täter dazu, so voller Wut und Aggression auf die Mutter seiner Schulkameradin loszugehen? Der Mann, wohnhaft in Bergisch Gladbach, hatte sich in die Tochter der 58-Jährigen verliebt. Doch die Tochter ging irgendwann nicht mehr auf seine Whatsapp-Nachrichten ein. "Ich habe gemerkt, sie will mich abwimmeln", erklärte er vor Gericht. Zuvor hatte er sich eine Beziehung zu dem Mädchen ausgemalt, hatte Pläne, gemeinsam ins Ausland zu gehen. "Die Zukunft stand schon geschrieben", war für den Angeklagten klar.

Er, der sich schon immer abgekapselt hatte von der Welt, wie er es vor Gericht beschreibt, der die Schule schon aufgegeben hatte, sich bekiffte, um das "feindliche Gedankengut", das in der Schule verbreitet wurde, zu ertragen und der nach "alternativen Informationsquellen" suchte, steigerte sich offenbar in "eine Art Rausch". "Sie war eine Art Rettungsring", beschreibt der 19-Jährige, der sich bereits mit Selbstmordgedanken beschäftigt hatte. Mit seiner Angebeteten wollte er "raus aus der EU", wahrscheinlich nach Russland, er hatte bereits Bewerbungen geschrieben.

Wollte Frau zur Rede stellen

Dann die Zurückweisung der Schulkameradin, doch der Mann wollte noch unbedingt ein letztes Gespräch mit ihr haben. Er wollte sie zur Rede stellen. Sie habe ihm geschrieben, wie frech sie das finde, das er sich über ihre Zukunft Gedanken mache, schildert er. "Verwöhnte Waldsiedlungs-Göre".

"Ich war an der Kippe zur Verzweiflung", sagt der Mann, der vor Gericht ruhig, fast schon bedächtig wirkt. Er wollte die Frau als Geisel nehmen, zu seinen Brüdern bringen und anschließend sie und sich selbst töten, so heißt es in der Anklageschrift.

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Und wer immer im Weg stehen sollte, sollte weggeräumt  werden: Die 58-jährige Mutter arbeitete an jenem Abend im Homeoffice, die zwei Töchter schliefen schon, bei der einen stand das Abi an. Sie dachte, es sei ein Nachbar gewesen, gibt das Opfer an. Oder ihr Cousin. Das erste, was sie sah, als sie die Tür öffnete, war ein Mann mit hoch erhobenem Arm, erzählt sie. Es war der Arm, der das Messer hielt und immer weiter "auf mich eintrümmerte", wie die 58-Jährige es stockend vor Gericht schildert. Immer wieder muss sie unterbrechen, es fällt ihr sichtlich schwer zu sprechen. Sie beschreibt sich als "geistesgegenwärtig", sie habe Sport-Leistungskurs gehabt, habe versucht, auszuweichen, sich vor den Stichen zu schützen - und den Täter ins Wohnzimmer zu locken, weg vom Zugang zu den Schlafzimmern, wo ihre Töchter liegen. Vor Gericht zeigt sie sich erschüttert ob dieser "Wut" und "Aggression": "Das werde ich nie vergessen." Als der Mann  von ihr ablässt, schleppt sie sich zu Nachbarn, die die Polizei rufen. Ihre Lunge ist verletzt, genauso wie das Schlüsselbein und das Schulterblatt.

An den genauen Angriff könne sich der 19-Jährige nicht komplett erinnern, sagt er aus. Er habe nichts gefühlt und gedacht, beschreibt er. Erst als er diesen "Urschrei" seines Opfers gehört hat, soll er wieder zu sich gekommen sein, als er am Boden neben dem Opfer kniete und das Blut sah. Dann flüchtete er.

Der 19-Jährige soll schon als Kind mit Aggressionen zu kämpfen gehabt haben und er hat in den Jahren vor der Attacke sehr viel gekifft, wird vor Gericht klar. Sein Name sagte dem Opfer nichts, erst im Nachhinein erfuhr sie von ihrer Tochter, wer er ist. "Sie ist gewarnt worden, sich mit ihm zu treffen", sagt die Mutter aus, "und wir sind glücklich, das sie es nicht getan hat". Der Gedanke, dass die Tochter nicht mehr nach Hause komme, sei "unerträglich". Die 58-Jährige spricht nun mit fester Stimme: "Ich bin froh, dass ich an der Tür war" - und nicht eine ihrer Töchter.

Vor dem Landgericht in Köln sind acht Verhandlungstage vorgesehen, voraussichtlich Mitte November soll das Urteil fallen.

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