Corona-GutachtenGute Nachrichten trotz hoher Inzidenz in Oberberg

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Labor Stäbchen

In einem Labor wird ein Abstrich untersucht. (Symbolbild)

Gummersbach – Das Beste, sagte Prof. Dr. Nico Mutters, habe er sich für den Schluss aufgehoben. Ja, erklärte er, die Zahl der Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen sei in Oberberg immer noch eine der höchsten in ganz NRW. Aber, so der Hygieneforscher und Leiter des Institutes für Hygiene und Öffentliche Gesundheit des Uniklinikums Bonn, der Trend zeige in den grünen Bereich: „Anders als anderswo in NRW sinkt die Inzidenz. Das könnte bedeuten, dass die Welle hier langsam abflaut.“

Es war nicht die einzige gute Nachricht, die Mutters und Dr. Barbara Wawrzyniak, Leiterin der Abteilung Daten & Analysen bei der Firma Infas 360, bei der Vorstellung ihres fertigen Gutachtens zum Infektionsgeschehen im Oberbergischen hatten.

Vieles, was das Forscher-Team in Zusammenarbeit mit dem Bonner Marktforschungsinstitut anhand des Abgleichs von dessen Adressdatenbank mit anonymisierten Adressen von Infizierten herausgefunden hatte, ist im Oberbergischen nicht neu: Bereits im September hatte Mutters im Kreisgesundheitsausschuss einen Zwischenbericht vorgelegt, dessen Ergebnisse sich weitestgehend bestätigt haben. Das heißt: Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem solche mit türkischen Herkunft oder aus der Ex-Sowjetunion, seien besonders gefährdet gewesen sich zu infizieren.

Dahinter, so das Ergebnis jetzt, stecken vor allem auch soziale Gründe: Block- und Zeilenbauten, eine hohe bis sehr hohe Baudichte, eine geringe Wohnfläche sowie günstige Preisklassen pro Wohneinheit seien ein Indiz für ein erhöhtes Infektionsrisiko, erklärte Wawrzyniak. Zudem: „Große Haushalte, ein hoher Anteil an Paaren mit Kindern, ein jüngeres Alter pro Adresse und im Block.“ Und schließlich: „Ein hoher Migrationsanteil sowie ein hoher Anteil mit keiner oder einer sonstigen Religion – dazu zählen wir auch Freikirchen.“ Letztlich, wiederholte Mutters, habe Oberberg eine schlechte Startposition in die Pandemie gehabt: Aufgrund soziodemografischer Daten vom Einkommen bis zum Bildungsstand und zu den Wohnbedingungen sei in genau jenen Kommunen mit stärkeren Ausbrüchen zu rechnen gewesen, die in der zweiten und dritten Welle besonders stark betroffen gewesen seien – wie zum Beispiel in Bergneustadt und Waldbröl.

„Wo die Impfquote in einer Region geringer ist, haben wir jetzt die höheren Inzidenzen"

Dass es jetzt in der vierten Welle auch andere Kommunen vergleichsweise hart trifft wie zuletzt zum Beispiel Nümbrecht, erklärt Mutters sich selbst letztlich vor allem mit dem Impfstatus. Nein, genaue Zahlen, wie hoch die Quote in einzelnen Kommune sei, hat auch er nicht, weil diese einfach nicht erhoben wurden. Ihm reiche da aber die „Vogelperspektive“: „Wo die Impfquote in einer Region geringer ist, haben wir jetzt die höheren Inzidenzen – wie in Bayern oder Sachsen.“

Konkret kann Mutters aber auf seine Analyse der Infektionsketten in Oberberg verweisen – und auf jene mehr als 90 Prozent der Ansteckungen, die von Ungeimpften verursacht werden. Auf Nachfrage erklärt Mutters: „Die Daten, die wir zur Analyse bekommen haben, gehen bis zum September 2021, inkludieren also auch den Anfang der vierten Welle.“ Die aktuelle Zahl von Impfdurchbrüchen bis zum Dezember sei nicht mehr berücksichtigt. Aber so Mutters: „Aktuell wird es aber im Oberbergischen Kreis nicht signifikant anders sein als noch im September.“ Der Anteil derjenigen, die mit Impfdurchbrüchen infiziert werden und infizieren, müsste rein statistisch etwas angestiegen sein – „schlicht weil es tatsächlich mehr sind“. Er erwarte aber keinen signifikanten Anstieg, „da die Impfung aktuell noch sehr gut schützt“. Erneut lobte Mutters die Arbeit des Kreises: Sehr früh habe der sehr konsequent auf das Testen und auf die Kontaktnachverfolgung gesetzt. Nur so hätten Infektionsketten früh durchbrochen werden können und noch mehr schwere Verläufe verhindert werden können. Denn – auch das war eine von Mutters guten Nachrichten: Trotz hoher Inzidenzen sei Oberberg bis in den Dezember hinein mit seinen zuletzt acht Todesfällen in drei Tagen bei der Sterblichkeit pro Infizierte im Land statistisch im unteren Bereich: „Da angesichts der schlechten Startbedingungen in den grünen Bereich zu kommen, das war wirklich nicht einfach.“

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Allzu sehr freuen wollte sich Landrat Jochen Hagt allerdings nicht über die guten Nachrichten. Die Lage sei nach wie vor gefährlich. Angesichts der Erkenntnisse der Studie sei es dringend geboten, die Bemühungen um passgenaue Impfangebote noch weiter zu verstärken. Die letzten Aktionen, in Waldbröl und Bergneustadt in Kooperation mit den Moschee-Gemeinden, zeigten, dass das funktionieren könne. Das Ergebnis, dass Oberbergs Ausgangsposition durch soziale Brennpunkte und sonstige soziodemografische Belastungsfaktoren besonders schlecht gewesen sei, will der Landrat auch nicht als Kritik verstanden wissen. „Wir kennen ja unsere Ausgangsbedingungen. Es wurde und wird aber viel in die Strukturen investiert.“ Das gelte auch und gerade für Siedlungsräume. Als Beispiel nannte das geplante Regionale-Projekt in der Bergneustädter Altstadt.

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