In der AggerWarum sich eine Engelskirchenerin mit 83 Jahren taufen lässt

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Waltraud Geisen sitzt in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa und schaut in die Kamera, hinter sich an der Wand sind Familienbilder zu sehen.

Waltraud Geisen aus Engelskirchen-Schnellenbach.

Waltraud Geisen wurde 1939 in Berlin geboren und erlebte schon als Kind Krieg und Flucht, in Engelskirchen hat sie eine neue Heimat gefunden.

Es war Ende der 1930er Jahre, als eine junge Frau in Berlin im Fernamt der Reichspost Telefonleitungen stöpselte und eine Entscheidung für ihre Töchter traf: Die Kinder sollten später selbst einmal wählen, ob sie sich taufen lassen.

1939 in Berlin geboren

Die Frau lebte nahe Oranienburg und arbeitete als Handvermittlerin bei der Reichspost. Ihr Mann arbeitete bei den nahe gelegenen Heinkel-Werken. 1939 wurde ihre Tochter Waltraud geboren und die Entscheidung der Mutter stand, auch Waltraud wurde nicht getauft.

83 Jahre später tritt Waltraud Geisen ins Wasser der Agger vor Pfarrer Henning Strunk. Es ist ein sonniger Sonntag und Waltraud Geisen ist eine von zwei Erwachsenen und sieben Kindern, die an diesem Tag im Mehrgenerationenpark „Aggerstrand“ von Pfarrer Henning Strunk und Prädikantin Anne Adolphs getauft werden.

Feier im Mehrgenerationenpark Aggerstrand

Schon seit vielen Jahren besucht Waltraud Geisen die Evangelische Gemeinde Ründeroth. „Dass ich nicht getauft war, das war mein Geheimnis“, sagt die 83-Jährige und lacht. Waltraud Geisen fühlt sich in der Gemeinde zu Hause, Tochter Birgit begleitete sie zur Taufe.

Pfarrer Henning Strunk steht mit Waltraud Geisen im Wasser der Agger bei Engelskirchen und tauft die Seniorin.

Tauffest im Mehrgenerationenpark „Aggerstrand“

Das Zuhause der Eltern in Berlin versank schon in den Jahren nach ihrer Geburt in Feuer und Chaos. Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg über die Nachbarländer gebracht. Dann kam der Krieg in die Reichshauptstadt und die Heinkel-Werke waren als Rüstungsschmiede der Nazis auch Ziel der Alliierten Bomber.

Bombennächte in Berlin

Der Vater musste an die Westfront und geriet in Kriegsgefangenschaft, die Mutter blieb mit den Töchtern zunächst allein in Berlin. Die Bombennächte, der Häuserkampf und der Hungerwinter kamen und gingen. Bis 1949 hielt es die Mutter mit den Kindern in den Trümmern der Stadt aus.

Die Mutter war ständig auf der Suche nach Lebensmitteln. „Sie ist viel hamstern gefahren, aber es ging irgendwann einfach nicht mehr“, erinnert sich Waltraud Geisen. Von Berlin ging es durch das zerstörte Nachkriegsdeutschland nach Belgien. Dort hatte der Vater Arbeit im Bergbau gefunden.

Gemeinsam mit ihren beiden Schwestern besuchte Waltraud Geisen die Grundschule in Belgien, etwas Französisch kann sie noch heute. 1960 siedelte die Familie zurück nach Deutschland, in die Nähe von Bergisch Gladbach.

Als junge Frau suchte sich dort eine Arbeit und fand sie auf dem Igeler Hof. Das war der Sitz der Industriellen-Familie Zanders, hier geht sie als Hausmädchen in Stellung. „Ich habe mich um die Wäsche der gnädigen Frau gekümmert und auch sonst um allerhand“, schildert sie aus ihren Erinnerungen.

Als Dienstmädchen bei Zanders in Bergisch Gladbach

Die Arbeit bei Familie Zanders blieb eine Station, über Köln-Mühlheim ging es nach Schnellenbach, wo sie ihren Mann kennenlernt, heiratete und eine Heimat fand. „Es gefällt mir hier sehr gut“, sagt Waltraud Geisen. Tochter Birgit heiratete, 2016 trug Waltraud Geisen ihren Mann zu Grabe und besuchte die Gottesdienste der Evangelischen Gemeinde.

Wohl habe sie sich dort „so oder so“ gefühlt. Die Sache mit der Taufe, schnitt sie erst gar nicht an. Eine ihrer beiden Schwestern hatte sich zwischenzeitlich katholisch taufen lassen. Dann erfuhr Waltraud Geisen von der Taufmöglichkeit in der Agger und schaute sich den Aggerstand vorher an.

Taufe unter freiem Himmel in der Agger

„Und da wusste ich: Das war es“, sagt sie. Als Taufspruch wählte sie „Lass Dich durch nichts erschrecken und verliere nie den Mut. Denn der Herr, dein Gott ist bei Dir, wohin Du auch gehst.“ Das passe gut zu ihr und ihrem Leben.

Und vielleicht war es genau das, was die Mutter im Sinn hatte, als sie vor über 80 Jahren am Vorabend des Zweiten Weltkriegs den Entschluss fasste, dass ihre Kinder einmal selbst über die Taufe entscheiden sollen. 

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