In großer SorgeEin Geflüchteter berichtet vom Erdbeben in Afghanistan

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Freiwillige arbeiten in den Trümmern nach einem Erdbeben im Bezirk Zenda Jan in der Provinz Herat. Ein weiteres starkes Beben hat den Westen Afghanistans erschüttert.

Freiwillige arbeiten in den Trümmern nach einem Erdbeben im Bezirk Zenda Jan in der Provinz Herat.

Nazeer Raha stammt aus Herat im Westen Afghanistans. Er lebt in Marienheide und macht sich große Sorgen um den Menschen in seiner Heimat.

Nazeer Raha ist sichtlich angespannt. Auf der einen Seite ist er erleichtert, auf die Situation in seinem Heimatland Afghanistan aufmerksam zu machen. Auf der anderen Seite bedrückt ihn das, was er von seiner Familie und Freunden hört. Nach dem schweren Erdbeben vor rund einer Woche in Afghanistan ist dort nichts mehr, wie es vorher war.

Raha kommt ursprünglich aus Herat, einer großen Stadt im Westen Afghanistans, am Rande des Erdbebengebietes. In der Stadt Herat seien die Häuser vergleichsweise stabiler gebaut als bei der Landbevölkerung, dort sind die Schäden geringer. Raha kennt die benachbarten Erdbebengebiete aber gut. „Dort sind fünf große Gebiete, da steht nicht eine Wand mehr. Die Dörfer sind ein einziger Friedhof.“

Die Dörfer dort sind ein einziger Friedhof
Nazeer Raha zum Erdbebengebiet in Afghanistan

Besonders wütend macht ihn die fehlende Unterstützung der Regierung. Das Land wird seit dem Abzug der UN -Blauhelme wieder von der radikal-islamistischen Taliban regiert. „Das sind Terroristen, die haben kein Interesse an humanitärer Hilfe.“ Es fehle jegliches technische Gerät, selbst Schaufeln seien rar und es gebe kaum medizinische Hilfe. Es fehlt an technischem Gerät „Wir haben nur unsere beiden Hände“, habe ihm ein Bekannter verzweifelt geschrieben. So graben die Menschen nach Verschütteten, immer darauf gefasst, ein Familienmitglied oder Freund zu finden.

Raha ringt um Fassung. Seiner Familie in der Stadt gehe es gut, aber von einigen Freunden habe er noch nichts gehört. Die Ungewissheit nagt an ihm. Dabei hat Nazeer Raha schon viel erlebt. Er war in Herat als Journalist tätig, unter anderem für einen privaten TV-Nachrichtensender und eine wöchentliche Zeitung. Der Mann hat insgesamt drei Bücher geschrieben, in denen er die Situation Afghanistans analysiert und auch den potenziellen Verfall des Landes prophezeit hat.

Das Foto zeigt Nazeer Raha, der aus Afghanistan nach Deutschland geflohen ist

Nazeer Raha

Nach einer in den Augen der Regierung unerwünschten Berichterstattung über einen Taliban-Angriff auf eine Militärbasis habe ihn der staatliche Sicherheitsdienst 2017 gefangen genommen. Als die Vorwürfe für eine lange Inhaftierung nicht ausreichten, sei er nach fünf Tagen freigelassen worden, aber nur, um kurz darauf mit neuen, erfundenen Vorwürfen wieder inhaftiert zu werden. „Mir drohte die Todesstrafe“, erzählt er.

Doch Raha gelang die Flucht, heute lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Marienheide. In Afghanistan vor Ort helfen kann er nicht. Aber er verweist auf den Verein Alphabet Hamburg. Der Verein war ursprünglich gegründet worden, um die Bildung von Kindern in Afghanistan nach dem Schließen der Schulen durch die Taliban zu unterstützen. Jetzt bringt er Hilfen in die Gebiete, in denen es am Nötigsten fehlt. Mit Naija Afshari, die in Hamburg auch politisch aktiv ist, und Dr. Akbar Bargaly, einem Arzt, hat er zwei Bekannte, die gemeinsam mit ihm die Arbeit des Vereins unterstützen. Denn es eilt. Der Winter steht vor der Tür und die Nächte sind jetzt schon kalt.

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