Forschung in MarienheidePsychologe sieht die Wirkungslosigkeit von Antidepressiva bestätigt

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Prof. Dr. Reinhard Maß sitzt an einem Tisch und gestikuliert mit einer Hand.

Der Marienheider Psychologe Prof. Dr. Reinhard Maß setzt sich kritisch mit der Wirkung von Antidepressiva auseinander.

Der Marienheider Psychologe Prof. Dr. Reinhard Maß setzt sich seit Jahren kritisch mit der (Nicht-) Wirkung von Antidepressiva auseinander.

„Antidepressiva helfen nicht bei der Behandlung von Depressionen“ – diese Meinung vertritt Professor Dr. Reinhard Maß, Psychologe am Marienheider Zentrum für seelische Gesundheit, seit Jahren und wurde nun durch neue Studienergebnisse erneut in seiner Auffassung bestätigt. „Der therapeutische Gewinn ergibt sich bei Antidepressiva – wenn überhaupt – ausschließlich durch den Placebo-Effekt“, sagt Maß.

Seit 2012 befasst sich der Leiter der allgemeinpsychiatrischen Station „Aaron T. Beck“ kritisch mit der Wirksamkeit von Antidepressiva und kam in seinen Untersuchungen zu dem überraschenden Befund, dass diese Medikamente in der stationären Behandlung von Depression keinen Nutzen zeigten. Darin bestärkt haben ihn mittlerweile zwei Langzeitstudien mit Patienten der Marienheider Klinik. Eine davon war von 2012 bis 2017 mit 574 Patienten durchgeführt worden, die sich mit unterschiedlichen Diagnosen in Behandlung befanden. Diese füllten bei der stationären Aufnahme, bei der Entlassung und sechs Monate nach der Behandlung einen Fragebogen zur Erfassung von Depressivität aus.

Das Ergebnis: „Zu jedem Zeitpunkt waren die Patienten, die Antidepressiva einnahmen, depressiver als die, die keine einnahmen; das Absetzen von Antidepressiva hatte keinen Nachteil, das Anordnen hatte keinen Vorteil.“

Patienten wird in Marienheide von  Antidepressiva abgeraten

Die Ergebnisse dieser ersten Langzeitstudie veranlassten den Psychologen dazu, seinen Patienten fortan davon abzuraten, Antidepressiva einzunehmen. „Wir setzen die Antidepressiva seit fünf Jahren in der Akuttherapie ab, das macht unseres Wissens keine andere Klinik“, so Maß. Dennoch seien die Behandlungsergebnisse unverändert gut. Seine Forschung setzte er parallel dazu fort. In der zweiten, nun veröffentlichten Studie ging er einen Schritt weiter.

„Wir haben den Fokus diesmal gezielt auf 600 rein depressive Patienten gelegt. Und wir haben diesmal viele andere Variablen einbezogen, welche eine Wirkung von Antidepressiva überlagern könnten, und haben dennoch keine Spur einer therapeutischen Wirkung dieser Medikamente gefunden“, berichtet Maß. „Die meisten Patienten reagieren mit Erleichterung, wenn sie hören, dass wir bei unserer Behandlung keine Antidepressiva einsetzen, denn die Nebenwirkungen können belastend sein.“ Aber er akzeptiere auch, wenn Patienten das Medikament nicht absetzen möchten. „Das Antidepressivum hat eigentlich keine Wirkung gegen die Depressionen, die Menschen haben aber dennoch Angst, dass sich ihr Zustand verschlechtern könnte, wenn sie es absetzen.“

Entzugsprobleme sind Absetzung der Medikamente sind ernstzunehmen

Ein großes Problem sind die Entzugssymptome, die sehr häufig auftreten und die leicht mit einer Rückkehr der Depression verwechselt werden könnten. Deshalb sollten Patienten ihr Antidepressivum nie ohne ärztliche Begleitung absetzen.

Was der Psychologe dagegen seit Beginn seiner Studien betont, ist die positive Wirkung einer vollstationären Psychotherapie depressiver Menschen. In Marienheide stehen dabei die Förderung von Selbstverantwortung und die Entwicklung der Fähigkeit, gut für die eigenen Bedürfnisse, Interessen und Grenzen sorgen zu können, im Fokus. „Der Therapieeffekt, den wir beobachten, ist sehr stark. Auch ein halbes Jahr nach der Behandlung sind noch 70 Prozent des Behandlungserfolges erkennbar.“ Bei aller Kritik an Antidepressiva ist es Maß aber wichtig zu betonen: „Wir sind nicht generell gegen Psychopharmaka. Es gibt für andere psychische Erkrankungen durchaus hilfreiche Medikamente, etwa bei Psychosen oder bipolaren Störungen.“

Dr. Reinhard Maß spricht sich dafür aus, dass Antidepressiva vom Markt genommen werden und stattdessen das Angebot an Psychotherapie ausgebaut wird. „Auch andere Untersuchungen haben gezeigt, dass Antidepressiva langfristig eher schaden als nützen.“ Die Behandlungsleitlinien für Depression seien jedoch stark auf Antidepressiva ausgerichtet, was auch auf den Einfluss der Lobby der Pharmaindustrie zurückgehe. Das trage dazu bei, dass die Verschreibungszahlen für Antidepressiva stetig zunähmen.

Das Interesse an seinen Studien   ist groß. Der Marienheider wurde für einen Vortrag im Juni eingeladen. Darin stellt er vor Fachpublikum seine Studienergebnisse vor, die er kürzlich auch veröffentlicht hat. Schon jetzt gibt es 90 Anmeldungen.

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