Unerwartete WendungErstaufnahmeeinrichtung in Nümbrecht ist vom Tisch

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Vertreter der IG Marienberghausen, die Tom Strehle (rechts) gegründet hat.

Mehr als 200 Menschen haben sich inzwischen der Interessengemeinschaft angeschlossen, die Tom Strehle (r.) gegründet hat, Dazu gehören auch (v.l.) Bianca Vogler, Melanie Lipps und Steffi Jansen.

Überraschung am Dienstagabend: Die geplante Erstaufnahmeeinrichtung für bis zu 500 Flüchtlinge in Nümbrecht-Marienberghausen ist vom Tisch.

Artikel-Update Dienstag, 21.40 Uhr: Keine Erstaufnahme-Einrichtung bei Marienberghausen

Die Überlegungen, eine Erstaufnahme-Einrichtung für bis zu 500 Flüchtlinge an der L350 zwischen den Nümbrechter Ortschaften Marienberghausen und Elsenroth zu errichten, sind vom Tisch. Am Dienstagabend informierte Bürgermeister Hilko Redenius die Öffentlichkeit in einer Pressemitteilung, dass er die Bezirksregierung gebeten habe, die Pläne nicht weiter zu verfolgen. Die Bezirksregierung habe diesen Wunsch respektiert.

Ausschlaggebend sei gewesen, dass Redenius der Bezirksregierung in der Annahme Amtshilfe angeboten habe, dass in Nümbrecht eine Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) oder eine Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) entstehen soll. Redenius schreibt wörtlich:  „Konkretisierende Gespräche am gestrigen Tag zwischen der Gemeinde und der Bezirksregierung haben aufgezeigt, dass eine sog. ‚Zentrale Unterbringungseinrichtung‘ geplant ist. Ich bin bisher immer von einer LEA bzw. EAE ausgegangen. Diese zeichnen sich für mich durch eine nur sehr kurze Verweildauer der Menschen aus.“

Eine Zentrale Unterbringungseinheit in der Größenordnung bis zu 500 Menschen kann ich an dem Standort nicht unterstützen!
Bürgermeister Hilko Redenius

In den Zentralen Unterbringungseinrichtungen verblieben Schutzsuchende aber bis zur Zuweisung oder Ausreise bzw. Abschiebung. „Zugewiesene Personen werden aus den Zentralen Unterbringungseinrichtungen auf die Kommunen verteilt. Eine Verweildauer ist bei Familien bis zu sechs Monaten und Alleinreisende bis zu zwei Jahren möglich“, so Redenius.

Eine ZUE in der Größenordnung bis zu 500 Menschen könne er an dem Standort aber nicht unterstützen, eine verkehrliche Anbindung für dauerhaft untergebrachte Menschen sei nicht gegeben, eine soziale Infrastruktur fußläufig nicht vorhanden. „Eine ZUE mit einer längeren Unterbringung von 400 bis 500 Personen an dieser Stelle würde für mich eine nicht mehr zurechtfertigende Belastung des Dorfes Marienberghausen mit weniger als 500 Einwohnern bedeuten. Zudem werde ich gegenüber der Bevölkerung unglaubwürdig, weil ich bisher immer nur von einer kurzen Verweildauer gesprochen habe“, so Redenius weiter.

Deshalb habe er sich entschieden, sich gegen eine Zentrale Unterbringungseinheit auszusprechen und auch keine Amtshilfe zu leisten. Seine Entscheidung habe er am Dienstag mit dem Verwaltungsvorstand und den Fraktionsvorsitzenden, die er erreichen konnte,  abgestimmt.

Erster Bericht: Marienberghausener fühlen sich „überrumpelt“

Im Zusammenhang mit der möglichen Errichtung einer Erstaufnahme-Einrichtung für bis zu 500 Flüchtlinge (wir berichteten) hatten die Menschen im Nümbrechter Ortsteil Marienberghausen zunehmend ihre Sorgen geäußert, es hatte sich auch Protest formiert. Eine bereits am Mittwoch vergangener Woche gestartete Online-Petition mit der Überschrift „Stoppen Sie das Bauvorhaben für eine Erstaufnahmeeinrichtung in Marienberghausen“ hatte nach rund einer Woche, bis Mittwochmorgen, fast  1300 mal unterzeichnet.

Zudem hat sich eine Interessengemeinschaft gebildet, der sich in kürzester Zeit mehr als 200 Mitglieder angeschlossen haben. Ihre Sprecher sind Tom Strehle, Steffi Jansen und Melanie Lipps sowie Bianca Vogler, die die Petition gestartet hat, und Thomas Terberger, Presbyter in der evangelischen Gemeinde und dort ehrenamtlicher Finanzkirchmeister.

Nümbrecht: Geplante Erstaufnahmeeinrichtung schlägt hohe Wellen

Jetzt hat darüber hinaus die evangelische Kirchengemeinde Marienberghausen die Initiative ergriffen. Sie lädt für Dienstag, 9. Januar, 19 Uhr zu einer Versammlung ins Dorfgemeinschaftshaus Marienberghausen ein. Pfarrerin Kirsti Greier glaubt, dass es wichtig ist, einen Raum zu schaffen, in dem über das Thema gesprochen und informiert werden kann.

In einem über soziale Medien verbreiteten Text schreibt die evangelische Gemeinde,   die Nachricht von der geplanten Einrichtung habe „wohl die meisten von uns sehr verunsichert“ und es würden sich viele Fragen stellen. „Wir haben gemerkt, dass das Thema hohe Wellen schlägt“, erklärt die Pfarrerin auf Anfrage. „Es ist unsere Aufgabe, für die Menschen in Marienberghausen da zu sein, aber eben auch für die Menschen, die zu uns kommen.“

Das Gesprächsforum soll Raum bieten für alle Fragen und Sorgen, „vor allem soll es dort möglichst präzise Informationen geben: Wie ist der Stand, welche Perspektiven gibt es, was kann unser Beitrag sein?“ Etwaige Anregungen sollen dann zeitig in die Diskussion eingebracht werden, in einer möglichst frühen Planungsphase, damit sie noch berücksichtigt werden können, bevor Verträge geschlossen und Pflöcke eingeschlagen sind.

Für einen 500-Seelen-Ort ist eine Einrichtung für 500 Menschen eine ganz schön große Last.
Thomas Terberger

Presbyter Thomas Terberger betont, dass es generell ein Anliegen sei, die Debatte sehr sachlich zu führen. Die IG grenze sich von jeglichem Rechtspopulismus ab.   Grundsätzlich sei man für die Integration von Geflüchteten. Der Slogan der Diakonie „Integration statt Isolation“ bringe die Sache aus seiner Sicht sehr gut auf den Punkt.

„Aber für einen 500-Seelen-Ort   ist eine Einrichtung für 500 Menschen eine ganz schön große Last“, sagt er. Bei einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer der Untergebrachten von nur wenigen Wochen pro Jahr würden rund 25 000 verschiedene Menschen in der Einrichtung zwischen Marienberghausen und Elsenroth untergebracht.

Marienberghausen: Sorge, dass das Dorf der Aufgabe nicht gewachsen ist

„Die nächsten Polizeistationen sind weit weg.“ Deshalb hat sie die Petition ins Leben gerufen. Im Begleittext schreibt sie unter anderem, sie bitte um eine Überprüfung der Pläne „unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Flüchtlinge und der lokalen Bevölkerung“. Sie ist sicher: Der Aufgabe, 500 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten eine Zuflucht zu bieten, sei ein Dorf mit 478 Einwohnerinnen und Einwohnern nicht gewachsen.

Tom Strehle hat die Interessengemeinschaft gegründet. „Ich habe aus der Zeitung von dem Vorhaben erfahren und habe Meinungen eingeholt, wie andere Leute dazu stehen“, sagt er. Also ist er in Marienberghausen von Tür zu Tür gegangen und stellte schnell fest, dass es viele offene Fragen und auch Bedenken gab, dass sich viele Menschen überrumpelt fühlten und dass nicht alle auf dem gleichen Informationsstand waren. Deshalb gründete er die Community.

Bianca Vogler sagt, sie fühle sich wie viele andere Menschen in Marienberghausen auch von der Aktion „total überrumpelt“ und fragt, wie sich die Verantwortlichen das in der Praxis wohl vorstellen: „Hier fährt kein Bus, es gibt keine Geschäfte, wir haben hier eine kleine Schule, einen kleinen Kindergarten“, und ja, gibt sie zu, sie mache sich auch Sorgen um ihre 13-jährige Tochter.

Eine Frage, die sich viele Marienberghausener stellen, sagt Strehle, sei, weshalb die Gemeinde Nümbrecht jetzt vom bewährten Konzept einer dezentralen Unterbringung abweiche. „Es geht ja um eine gute Sache“, so Strehle. Doch müsse man denen, die Hilfe suchen, auch eine faire Chance auf Integration bieten.


Friedliche Demonstration vor dem Nümbrechter Rathaus

Am Donnerstag findet in Nümbrecht, 15.30 Uhr, vor dem Rathaus eine friedliche Demonstration statt, auf der auch Tom Strehle von der IG spricht. „Wir geben klar zum Ausdruck, dass dies kein Platz für fremdenfeindliche Parolen ist", heißt es in einer Mitteilung der Veranstalter. Dort will auch Bürgermeister Hilko Redenius Rede und Antwort stehen.

Bürgermeister Redenius hat auf der Seite der Gemeinde Nümbrecht in einem längeren Text nochmals ausführlich Stellung bezogen. 

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