Region zu unattraktiv?Zu wenige Kinderärzte bleiben im Oberbergischen

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Zu wenig Kinderärzte und -ärztinnen bleiben in der Region.

Oberberg – „Wir wissen kaum noch, wie wir die Kinder versorgen sollen“, sagt Dr. Björn Hoffmann, Obmann des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte im Oberbergischen. Es gibt zu wenige niedergelassene Kollegen im Kreisgebiet. Und Besserung ist nicht in Sicht. „In den letzten vier Jahren konnten mindestens dreieinhalb Sitze nicht neu besetzt werden“, so Hoffmann – etwa in Wiehl-Bielstein und Engelskirchen.

Schon jetzt trügen Kollegen, die längst im Rentenalter sind, dazu bei, die Versorgung halbwegs aufrecht zu erhalten – etwa nach dem Tod einer Kinderärztin im vergangenen Jahr in Gummersbach und – zumindest vorübergehend - während einer längeren Erkrankung eines Kollegen in Lindlar. Aktuell sind nur noch 16 Kassensitze besetzt, sagt Hoffmann, „das reicht nicht mehr.“ Gerade in ländlichen Ballungsgebieten – etwa in der Kreisstadt Gummersbach – sei es „unglaublich schwierig“, dass Eltern von Neugeborenen für die Kinder einen Facharzt finden.

Oberberg: Keine Besserung in Sicht

Eine weitere Konsequenz aus dem Mangel ist, dass sämtliche Krankheits- und Urlaubsvertretungen von wenigen aufgefangen werden müssen – das gilt auch für die Notdienste. Wie gesagt, Besserung ist nicht in Sicht – ganz im Gegenteil. „Wir rechnen damit, dass in den nächsten fünf Jahren bundesweit etwa 25 Prozent aller niedergelassenen Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte in den Ruhestand gehen. Das ist alterstechnisch klar zu erkennen.“

Ideen, wie das kompensiert werden soll? Fehlanzeige. „Die Kassenärztlichen Vereinigungen, die ja faktisch politisch und juristisch den Sicherstellungsauftrag haben, können da natürlich auch nur bedingt was dran drehen. Denn die sind ja auch darauf angewiesen, dass sich jemand als Kinder- und Jugendarzt niederlassen möchte.“

Junge Ärzte und Ärztinnen streben in die Stadt

Aber genau daran hapert’s. Junge Ärzte werden ganz überwiegend in Kliniken zum Kinderarzt ausgebildet. Und – wie im Bereich der Hausärzte – wollen die meisten von ihnen in den großen Städten leben und arbeiten. Eine Zukunft als niedergelassener Arzt im Oberbergischen scheint kein attraktiver Lebensentwurf zu sein.

Für Dr. Hoffmann ist es dennoch der vielversprechendste Plan, genau da anzusetzen. „Für einen Klinikarzt ist der Gedanke, sich niederzulassen, oft recht weit weg“, glaubt er, „deshalb bin ich ein großer Freund davon, während der Assistenzarztzeit in einer Praxis zu arbeiten.“ Er verbindet damit die Hoffnung, dass die jungen Ärztinnen und Ärzte den Praxisalltag zu schätzen lernen, wenn sie ihn erst selbst erleben.

Kenntnisse sollen nicht mehr nur in Klinik erworben werden

Künftig – so sieht es die neue Weiterbildungsordnung vor – können die Fertigkeiten, die zur Weiterbildung angehender Kinder- und Jugendärzte erforderlich sind, ohnehin nicht mehr alleine in einer Klinik erworben werden, erklärt Hoffmann. „Es muss uns gelingen organisierte Weiterbildungsverbünde zwischen Kliniken und Praxen zu bilden. Leider müssen einige Kliniken von den gemeinsamen Vorteilen noch überzeugt werden.“

Entsprechende Gespräche habe es in Oberberg bereits gegeben, sagt Hoffmann, die seien aber durch Corona ein bisschen ausgebremst worden. Dr. Roland Adelmann, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Kreiskrankenhaus Gummersbach, bestätigt diese Gespräche. Er stehe der Idee aufgeschlossen gegenüber , sagt: „Uns ist das Problem bewusst, wir möchten gerne helfen.“

Krankenhaus in Gummersbach als Ausbildungsstelle

Die Frage sei, ob die Kassenärztliche Vereinigung (KV) bereit sei, mitzumachen. „Wir sehen seit Jahren, dass niedergelassene Ärzte Nachfolge-Probleme haben“, betont Adelmann, „das ist in erster Linie ein Problem der KV, aber auch wir versuchen, gegenzusteuern, indem wir weiter ausbilden.“ Das Kreiskrankenhaus sei „eigentlich die einzige Ausbildungsstelle, die das in nennenswertem Umfang für die Kinderheilkunde machen kann“, sagt er: „Wir entlassen am Krankenhaus in Gummersbach jedes Jahr ungefähr zwei Fachärzte aus der Ausbildung.“

Die Kassenärztliche Vereinigung

Wissen über Engpässe

„In Oberberg nehmen momentan insgesamt 18 Pädiaterinnen und Pädiater an der ambulanten Versorgung teil. Gemessen an den geltenden Planungsvorgaben des Gesetzgebers liegt die ambulante pädiatrische Versorgung damit formal noch im grünen Bereich“, schreibt die Kassenärztliche Vereinigung auf Anfrage dieser Zeitung. „Gleichwohl kann sich die örtliche Verteilung der Niedergelassenen – insbesondere innerhalb großer Flächenkreise wie Oberberg, in denen sich das ärztliche Angebot häufig in Zentren ballt – unterscheiden.“

„Dass es dennoch leider vereinzelt Engpässe, etwa bei der Neu-Aufnahme von Patientinnen und Patienten geben kann, wissen wir. In der Regel können solche Engpässe aber durch kollegialen Austausch vor Ort aufgefangen werden“, so die KV. Die Eltern erhielten dann Hinweise auf Praxen mit freien Kapazitäten. Außerdem sei die Termin-Servicestelle jederzeit kostenlos unter der Rufnummer 116 117 zu erreichen, um einen Termin bei einem Kinderarzt in der Region vermittelt zu bekommen. „Bei älteren Kindern – allgemein etwa ab zwölf Jahren – kann zudem die Hausärztin oder der Hausarzt der Eltern die Behandlung des Nachwuchses nach Absprache übernehmen.“

Die Kassenärztliche Vereinigung werbe intensiv für eine Niederlassung in eigener Praxis; sie versuche etwa durch Beratungen und Veranstaltungen, etwaige Vorurteile oder Bedenken gegenüber einer Tätigkeit in eigener Praxis auszuräumen. So hätten sich der Kreis und die Stadt Wiehl mehrfach auf der „Landpartie“ für niederlassungsinteressierte Ärztinnen und Ärzte und auch auf dem „KVNO-Praxisbörsentag“ präsentiert. „Auch eine finanzielle Förderung bieten wir über unseren Strukturfonds insbesondere für den hausärztlichen Bereich an.“

Es braucht aus Sicht der KV vor allem mehr junge Nachwuchsmedizinerinnen/ und -mediziner. „Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die jüngeren Maßnahmen der Bundes- und Landespolitik – zum Beispiel die ’Landarztquote’ in NRW – und hoffen, dass diese künftig zunächst zu mehr Absolventinnen und Absolventen und damit perspektivisch zu mehr Niedergelassenen führt – vor allem auch im Kreis Oberberg.“ (sül) 

Problem: Die lassen sich im Anschluss nicht im ländlichen Raum nieder. Die Weiterbildung zum Kinder- und Jugendarzt selbst scheint sehr gefragt zu sein: „Letztes Jahr hatte ich 27 Bewerbungen auf eine Stelle, das ist hervorragend“, berichtet der Chefarzt der Kinderklinik. „Wir können dann nur zeigen, dass die Region attraktiv ist.“ Konzepte entwickeln, dass die Ärzte wirklich bleiben – das falle in den Aufgabenbereich der KV.

Rechnet die KV mit falschen Zahlen?

Die KV bezweifelt allerdings, dass es überhaupt einen Notstand gibt: Gemessen an den geltenden Planungskriterien sei prinzipiell zunächst kein Mangel an niedergelassenen Pädiaterinnen und Pädiatern in Oberberg festzustellen, heißt es dort auf Anfrage (siehe Kasten). „In Oberberg nehmen momentan insgesamt 18 Pädiaterinnen und Pädiater an der ambulanten Versorgung teil.“

Die KV rechne mit falschen Zahlen, entgegnet Hoffmann entschieden. Richtig sei, dass aktuell sich die Kinderärztliche Versorgung in Oberberg auf 18 Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- & Jugendmedizin verteile. „Die halten zusammen 16 Kassensitze. Von diesen ruht ein Sitz seit mehr als einem Jahr krankheitsbedingt."

Faktisch nähmen also nur 15 Personen an der Notdienstversorgung teil. „In 2022 müssen diese 15 Personen an insgesamt 216 Tagen den Notdienst neben ihren Praxisarbeitszeiten besetzen – mittwochs und freitags nachmittags sowie samstags, sonntags und feiertags. Problematisch an der „Schönrechnerei der KV“ sei: „Wenn Sie keine vernünftigen Zahlen zu Grunde legen, dann können wir auch schlecht argumentieren und sagen: Hey, Politik, ihr müsst mehr Studienplätze zur Verfügung stellen.“

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