Telefonseelsorge braucht NachschubViel Arbeit für zu wenige Ehrenamtler

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Kontakt aufbauen ohne direkten Gegenüber: Das versuchen die Ehrenamtler in der Telefonseelsorge.

Kontakt aufbauen ohne direkten Gegenüber: Das versuchen die Ehrenamtler in der Telefonseelsorge.

Gummersbach – Keiner hatte es so gewollt. Doch eigentlich, sagte der Superintendent des Kirchenkreises An der Agger, Michael Braun, beim virtuellen Besuch von Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein bei der Telefonseelsorge Oberberg, passe dieser pandemiebedingte digitale Ersatz durchaus zur Arbeit: „Auch die Telefonseelsorge steht dafür, auf anderen Wegen als üblich Kontakt aufzunehmen und Hilfe zu bieten.“

Helmenstein wiederum, dessen seit 2009 traditionell stattfindender Besuch 2020 wegen der Pandemie erstmals ausfallen musste, war es deshalb besonders wichtig, in diesem Jahr zumindest per Videokonferenz den Kontakt zu suchen. Denn: „Die Einsamkeit von Menschen, mit der Ihre Mitarbeiter konfrontiert werden, ist etwas, was mich sehr beschäftigt. Es ist eine Geißel der Gesellschaft, die immer mehr zunimmt.“

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Tatsächlich, so Arno Molter, der im Mai die Leitung der Telefonseelsorge von der langjährigen Leiterin Christa Dresbach-Schnieder übernommen hatte, sei Einsamkeit das, womit die Anrufer sich am meisten beschäftigten: „Bei 21 Prozent der Anrufe geht es, 16 Prozent drehen sich zudem um depressive Stimmungen.“

Die Corona-Pandemie selbst sei hingegen noch bis in den November hinein auch bundesweit kaum selbst ein Thema gewesen – nur in fünf Prozent der Anrufe ging es laut Statistik direkt darum. „Jetzt“, so Molter, „gibt es aber einen anderen Trend: Der Anteil hat sich bundesweit verdoppelt – in Sachsen und Thüringen liegt er sogar bei etwa 20 Prozent.“ Beides sei am Telefon zu hören, so Molter: Menschen, die mehrfach geimpft sind und sich über das unsolidarisches Verhalten Ungeimpfter ärgern. Aber es würden auch Ungeimpfte anrufen, die der zunehmende Druck aus der Gesellschaft auf sie wütend mache.

In Oberberg, so Molter, sei dieser Trend jedoch noch nicht spürbar. Obwohl: Dass die Pandemie die Einsamkeit verstärkt, ohne direkt Thema zu sein, konnte auch Superintendent Braun aus vielen seiner Gesprächen bestätigen: „Erst später kommt Corona als Hintergrund dann doch zum Vorschein.“

Trotz Internet und trotz anderer Kanäle: Große Nachfrage nach telefonischer Hilfe

Ohnehin schmerzt die Pandemie die Telefonseelsorge vor allem aus einem anderen Grund. Seit deren Beginn konnten zunächst keine neuen Ehrenamtler mehr ausgebildet werden. Erst jetzt läuft wieder ein Kurs mit elf Bewerbern, die aber erst im kommenden Jahr fertig werden und bald schon wohl wieder auf Zoom-Konferenzen ausweichen müssen. So machen inzwischen nur noch 25 Ehrenamtler den Job am Telefon, den früher bis zu 50 gemacht haben. Eigentlich, erklärten Molter und sein dienstältester Ehrenamtler, der wie alle anonym bleibt, bräuchte man 45, um einen geregelten Betrieb gewährleisten zu können.

Und eigentlich sogar noch viel mehr. Denn tatsächlich verbringen laut Telefonseelsorge viele Anrufer nach wie vor viel Zeit in der Warteschleife. Nur einer von zehn Anrufen komme durch. „Obwohl es heute viele andere Wege der Kommunikation gibt zum Beispiel über Chaträume im Internet oder auf anderen Kanälen, ist der Bedarf ungebrochen“, erklärte der Ehrenamtler der seit dem Start in Oberberg vor fast 30 Jahren dabei ist.

Helmenstein, Braun, aber auch Diakoniepfarrer Thomas Ruffler würdigten umso mehr das Engagement der Ehrenamtler. „Sie müssen mit Menschen in Kontakt kommen, obwohl sie kein Gegenüber vor Augen haben. Sie sind auf das Hören angewiesen, um Wege aus der Krise zu finden“, erklärte Ruffler. Erst danach könne das Netzwerk helfen, das in Oberberg dahinter steht, wie zum Beispiel die Schuldnerberatung.

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