Nach UnfallBewegende Szenen im Prozess zwischen Overather und Bergisch Gladbacher

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Unfall RB

Der Unfall am 24. August 2021.

Overath/Bergisch Gladbach – Es war eine zufällige Begegnung, die im August 2021 einen 78-jährigen Autofahrer aus Overath und einen 69-jährigen Motorradfahrer aus Bergisch Gladbach in Untereschbach zusammenführte. Sie endete in einer Katastrophe, denn einen kurzen Moment konnte der geblendete Autofahrer beim Linksabbiegen nichts sehen, tastete sich trotzdem vor, und da krachte es.

Fast genau ein Jahr später sind sich die beiden älteren Herren jetzt bei Strafrichter Ertan Güven wieder begegnet – Autofahrer Anton K. als Angeklagter, Kradfahrer Clemens G. als Opfer und Nebenkläger.

Nach vier Wochen Fluthilfe einmal abschalten

Es geht um den Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung. Unfallverursacher Anton K. (Namen der Beteiligten geändert) kam aus Richtung Immekeppel und wollte nach links auf den Supermarktparkplatz einbiegen. Er war weder gerast noch hatte er Alkohol getrunken oder während der Fahrt Handynachrichten gelesen. Außerdem ist er vorher, wie er sagt, 60 Jahre unfallfrei gefahren. Und trotzdem war er da, der Fehler, der dazu führte, dass Clemens G., der, aus Hoffnungsthal kommend an der Kreuzung in Richtung Bensberg abbiegen wollte, in das Auto krachte, das ihm die Vorfahrt nahm.

Vorangegangen waren für den 69-jährigen Biker vier äußerst anstrengenden Wochen als ehrenamtlicher Helfer in der Flutkatastrophenbewältigung. Am Unfalltag wollte er einfach mal ein bisschen entspannen, berichtet er als Zeuge.

Vor Augenblicksversagen ist niemand gefeit

Im Prozess bittet Anton K. den Motorradfahrer um Entschuldigung. Man merkt, das ist nicht bloß eine Formsache für ihn. Und der Schwerverletzte, der immer noch nur mit Mühe an Krücken laufen kann, zeigt Größe. Er spricht von einem „Augenblicksversagen“ des Unfallgegners, von dem sich niemand freisprechen könnte, auch er selbst nicht.

Wie sehr er aber auch seelisch noch an den Folgen leidet, wird deutlich, als ihm bei seiner Aussage zum Hergang und dem folgenden achttägigen Koma die Stimme stockt. Seine Ehefrau sitzt neben ihm. Sie fragt, ob sie für ihn weiter sprechen dürfte, doch Richter Güven ermuntert Clemens G., sich alle Zeit zu nehmen, die er brauche.

Erschütternde Nahtod-Erfahrung des Unfallopfers

Die Worte des Zeugen lassen niemanden im Saal unberührt. Wo das Auto bloß hergekommen sei, frage er sich noch heute, und er beschreibt eine Nahtoderfahrung und Träume, die ihn seither drei bis vier Mal pro Woche heimsuchen. Er sehe sich selbst in einer tunnelartigen Unterführung auf dem Weg zu seinem Fitnessstudio, und ein verstorbener Freund spreche ihn an: „Wieso bist du schon hier? Du bist noch nicht dran!“ Und sein einjähriger Enkel rufe ihn im Traum.

Clemens G spricht über die Monate im Rollstuhl und unter starken Betäubungsmitteln, über Therapiefehler und die Schwierigkeit, angesichts der vielen physischen Eingriffe auch an der Psyche zu arbeiten.

Richter schlägt Buße statt Strafe vor

Am Ende bringt Richter Güven die Möglichkeit ins Spiel, das Verfahren gegen Buße einzustellen. Der Angeklagte habe nichts Böses geplant, und trotzdem sei das Unglück passiert. Die Staatsanwaltschaft hat das vor dem Prozess wegen der schlimmen Folgen abgelehnt, doch angesichts der Haltung des Opfers zeigt sich die Anklägerin jetzt doch offen dafür.

Verteidiger Dr. Martin Andreae fragt, ob man seinem Mandanten eine Buße auferlegen könne, die dieser an das Unfallopfer zu zahlen habe, ohne dass diese Buße auf Schmerzensgeldansprüche gegen die Versicherung angerechnet werde.

Opfer will das Geld nicht für sich behalten

Der Nebenklage-Anwalt berät sich mit dem Opfer, der Ehefrau und der Tochter vor der Tür und erklärt anschließend, dass sein Mandant das Geld ungern behalten, sondern es an einen guten Zweck weitergeben wolle.

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Am Ende verhängt der Richter 1500 Euro Buße für den gut betuchten Fahrer. An das Opfer appelliert er, sich weiter mit allen Kräften der Genesung zu widmen und nicht zu resignieren: „Ich wünsche Ihnen alles Gute!“

Beim Herausgehen bedankt sich Anton K. noch einmal leise bei Clemens G. – für sein Entgegenkommen.

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