Islamistische Gefangenschaft überlebtGeflüchtete Jesidin fängt in Hürth ein neues Leben an

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Ameena Misho Amo auf dem Gertrudenhof in Hürth

Ameena Misho Amo, eine geflüchtete Jesidin, fand in Hürth eine neue Heimat

Ameena Misho Amo flüchtete aus islamistischer Gefangenschaft in Syrien. Jetzt arbeitet sie auf dem Gertrudenhof in Hürth.

Ameena Misho Amo wählt sie ihre Worte mit Bedacht. „Gefällt mir gut. Es ist schön hier. Die Leute von der Arbeit sind nett.“ Sie überlegt kurz. Dann geht sie über das Gelände, auf dem sie vor einem Jahr Arbeit gefunden hat. Der Reihe nach zeigt sie die Buden, Häuschen und Holzwagen, in denen ihre Kollegen tagsüber gekocht, gebacken und frittiert haben. Jetzt, nach Feierabend, glänzt der frisch geputzte Edelstahl.

Ameena überlebte den Völkermord an den Jesiden im Syrien-Krieg

„Waffel, Flammkuchen, Crêpe, Kaffee, Pommes, Grill“, zählt die 43-Jährige auf. Sie kennt all die kleinen Spülküchen hinter den Verkaufsräumen des Gertrudenhofs. Hier macht sie sauber, hier spielt sich ihr Alltag ab, seit sie vor fast einem Jahr nach Hürth gekommen ist. Dass sie damals fast kein Deutsch sprach, war nicht die größte Schwierigkeit, die sie auf dem Weg in einen neuen Alltag bewältigen musste.

Ameena Misho Amo ist eine von rund 1000 jesidischen Frauen, die 2015 auf eine Initiative des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann aus der Sklaverei gerettet wurden. IS-Truppen hatten sie 2014 beim Überfall auf die Dörfer im Shingal-Gebirge gefangen genommen. „Wir Mädchen sind nach Syrien gebracht worden. Meine Mutter, mein Vater und zwei Brüder sind weg“, erzählt sie. Gestorben? „Nein“, plötzlich wird ihre sonst so sanfte Stimme energisch: „Nicht gestorben. Getötet.“ Die Vereinten Nationen erkennen das Schicksal der Jesiden als Genozid an.

Nach ihrer Zeit in islamistischer Gefangenschaft war sie in Baden-Württemberg sicher – aber einsam. Eine Schwester und ein Bruder leben in Köln, dorthin wollte sie auch. Doch eine Wohnsitzauflage band sie an Baden-Württemberg, solange sie nicht in der Lage war, sich mit eigenem Einkommen über Wasser zu halten. Aber wer beschäftigt einen Menschen, der schwere Kriegstraumata hinter sich hat, Hunderte Kilometer entfernt gemeldet ist und nicht die Landessprache beherrscht?

Durch ihre Schwester in Köln kam der Kontakt zum Gertrudenhof zustande

Nach jahrelanger Ratlosigkeit ergab sich über einen Kontakt ihrer Schwester die Chance, auf dem Gertrudenhof zu arbeiten. „Wir setzen auf Vielfalt und Nachhaltigkeit – in der Natur, bei den Tieren unseres Gnadenhofes und auch beim Team“, sagt Peter Zens, der den Hof betreibt: „Wir möchten Chancengeber sein. Es ist schön, wenn Menschen, die aus der Not kommen, hier eine Gelegenheit finden, im neuen Land Fuß zu fassen.“

Trotz seiner Zusage gab es aber noch eine heikle Klippe zu bewältigen, bevor Ameena Misho Amo im vergangenen Frühjahr ihren Arbeitsvertrag unterschreiben konnte: die Wohnungssuche, denn ihre Schwester, die selbst in einer Flüchtlingsunterkunft lebt, durfte sie nicht bei sich aufnehmen. Aber welcher Vermieter lässt sich auf einen Deal mit so vielen Unbekannten ein?

Die Vermieterin, die schließlich die letzte entscheidende Weiche für Ameena Misho Amos Neustart stellte, will anonym bleiben. Der Kontakt zu ihr entstand durch puren Zufall. „Jeder Mensch aus Kriegsgebieten braucht Hilfe. Wir kamen selbst 1979 aus dem Krieg hierher. Nur, dass jemand keine Schufa oder ähnliches besitzt, bedeutet nicht, dass er kein guter Mensch ist“, sagt sie. Bis mit den Behörden alles geklärt war, hielt sie ihre Wohnung frei, bestand auch nicht auf Zahlung der Kaution.

Mittlerweile steht Ameena in Hürth auf eigenen Füßen – Mit Job, Wohnung und Freunden

„Ich mag putzen“, sagt Ameena Misho Amo. „Ich habe zu Hause auch sauber gemacht. Die Leute sagen, ich putze gut.“ Ihr Vollzeitvertrag, mit dem sie seit ihrer Ankunft in Hürth auf eigenen Füßen steht, wurde jetzt gerade verlängert: Für ein weiteres Jahr ist ihre Zukunft gesichert. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich danach ein unbefristeter Vertrag für sie anschließt, sei nicht schlecht, sagt Peter Zens.

Die zierliche Frau lächelt, wenn sie über ihre Arbeit spricht, doch die Traurigkeit weicht nie ganz aus ihren dunklen Augen. „Wenn ich sehe, wie die Familien hier Spaß haben, denke ich: „Das geht für uns nicht mehr. Ich kann die Vergangenheit nicht zurücklassen.“ Aber es ist gut, dass ich hier arbeite. Wenn ich arbeite, kann ich vergessen, was ich Schlimmes erlebt habe.“

Ihre Pläne für die Zukunft? „Ich möchte Ausflüge machen und mich mit Leuten treffen. Vielleicht einmal zu Hochzeiten oder anderen Feiern gehen. Wie andere Leute.“ Ein Anfang ist immerhin gemacht: „Ich habe hier Freunde gefunden.“

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