Ermordete erhielten ein Gesicht

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Für die Nacht des Erinnerns war St. Laurentius aufwendig illuminiert. Etwa 250 Gäste füllten die Kirchenbänke.

Für die Nacht des Erinnerns war St. Laurentius aufwendig illuminiert. Etwa 250 Gäste füllten die Kirchenbänke.

Niederkassel – Das Mannschaftsfoto des TuS Mondorf schwebt scheinbar im Kirchenraum, mittendrin Max Wolff. „Ich habe gespielt, bis es nicht mehr erlaubt war“, steht unter dem Bild der Kicker auf der großen Leinwand. Die Jüngeren auf den voll besetzten Bänken schauen verwundert. Ja, die Schikanen gegen Juden in Mondorf begannen schon kurz nach der Machtergreifung 1933 und durchdrangen das ganze Leben, auch den Sport. Die meisten Mitbürger jüdischen Glaubens – Nachbarn, Mitschüler, Bekannte und Freunde – wurden ermordet. Die „Nacht des Erinnerns“ gab ihnen ein Gesicht.

80 Jahre nach der Reichspogromnacht haben sich einzelne Bürger zusammengetan, haben nach den Spuren jüdischen Lebens gesucht im beschaulichen Örtchen am Rhein. Haben im NS-Dokumentationszentrum in Köln „Todesfallanzeigen“ gefunden, Karteikarten aus den Lagern und Ghettos. Darauf die Porträts der Ausgelöschten – von den Familien Frenkel, Levy, Schmitz, Wolff, Hirsch und Gottschalk hat kaum jemand überlebt. Im August 1942 meldete Amtsbürgermeister Baumgärtl lapidar und verharmlosend: „Die Juden sind alle evakuiert.“

„An diesem Abend geht es um Ruhe, Nachdenken, Gedenken“, begrüßte Christian Frevel die Gäste im illuminierten Kirchenschiff von St. Laurentius. „Nicht um Erklären, Anklagen, Rechtfertigung.“ Es bleibe Unverstehbares, Unerklärliches. „Alles zu verstehen hieße, alles zu verzeihen.“

Dass es so einfach war, jüdisches Leben auszulöschen, das sollte auch heute noch zu denken geben. Oder gerade heute, wo die Rechten in Wuppertal demonstrieren und in Chemnitz, wo Juden auf der Straße angegriffen werden wie in Bonn, wo Synagogen geschändet und Gläubige erschossen werden wie in Pittsburgh. Angesichts des zunehmenden Antisemitismus „müssen wir Mut und Courage zeigen“, sagte Frevel. „Sie alle, die heute Abend hier sind, zeigen Courage.“ Es waren eindrucksvolle drei Stunden mit Musik, mit Gedichten, mit Einblicken in die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Mondorf, von der nur noch Fragmente geblieben sind. Reste der Westmauer der Synagoge, zu sehen von der Meindorfer Straße aus, und der jüdische Friedhof, Ziel des abschließenden Schweigegangs um Mitternacht. Ältere und Jüngere gestalteten das Programm, so der Crescendo, Jugendchor der katholischen Pfarreiengemeinschaft Siegmündung, VoCapella, die Singgemeinschaft der evangelischen Kirchengemeinde Niederkassel, und das Lewandowski-Ensemble aus Düsseldorf. Gabriele Karbe, Barbara Lülsdorf und Angela Grommes-Medori erinnerten an eine der ältesten israelitischen Gemeinden im Rheinland, an die 50-Jahr-Feier 1910, die mit Musik und Tanz im Gasthof „Zur Post“ begangen wurde. Zu der Hunderte von Gästen von der anderen Rheinseite mit der Fähre kamen. Die Tageszeitung berichtete groß.

Die „Nacht des Erinnerns“ war die erste große Veranstaltung dieser Art. Die katholische Gemeinde stellte ihre Kirche zur Verfügung, es gab Brot und Wein. Am Samstag führte Georg Langen zweimal Interessierte über den jüdischen Friedhof, Gabriele Karbe zwei Gruppen zur jüdischen Synagoge.

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