Handball-EMWie Köster und Wolff die Arena zum Kochen brachten

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Pure Freude: Julian Köster nach dem entscheidenden deutschen Tor, sechs Sekunden vor Schluss der Partie.

Pure Freude: Julian Köster nach dem entscheidenden deutschen Tor, sechs Sekunden vor Schluss der Partie.

Deutsche Handball-Nationalmannschaft gewinnt nach großem Kampf gegen Island und darf weiter vom Halbfinal-Einzug träumen.

Island kommt noch einmal heran, 24:25, zu spielen sind noch 48 Sekunden, offensive Deckung, Angriff auf die ballführenden Deutschen. Deren Spielmacher Juri Knorr rutscht plötzlich aus, zehn Sekunden vor der Schlusssirene. Doch irgendwie schafft es Knorr seinen Teamkollegen Julian Köster anzuspielen, den zwei Meter großen Kölner, der gerade zum ersten Mal in der größten Halle seiner Stadt spielt, und nun erleben darf, was für ein Dezibel-Spektakel die Zuschauer in ihr veranstalten können.

Sechs Sekunden vor Schluss eruptiert der Stimmungsvulkan als Köster durchbricht und alleine vor Islands Klassekeeper Viktor Hallgrimsson auftaucht, abspringt, ausholt – und trifft. Köster, ansonsten ein ruhiger, besonnener Mann, jubelt wie wahrscheinlich noch nie in seinem Leben, schreit, läuft, die Arme weit ausgebreitet, über das Spielfeld zurück, hüpft durch den eigenen Kreis und wird von seinen Kollegen eingefangen. Doch noch gewonnen, 26:24, erstes Spiel der EM-Hauptrunde, erster Sieg. Was für ein Finale. Und was für ein Erlebnis für Julian Köster (23), den Star des VfL Gummersbach.

Kösters fabelhaftes Debüt in der Arena

Nach dem Spiel ist Köster wieder im Köster-Modus, sichtbar erfreut natürlich, still lächelnd, aber ganz bei sich. Erstaunlich ruhig im Ton schildert er sein großes Erlebnis, das erst ein paar Minuten zurückliegt: „Unbeschreiblich war das. Ich freue mich einfach, dass das Ding reingegangen ist. Dann kamen die Emotionen heraus.“ Und sein Debüt in der Lanxess-Arena vor 19 750 sich exaltiert freuenden Menschen, die meisten in schwarz-rot-gold kostümiert? Einfach toll seien seine Erlebnisse mit den Zuschauern an den bisherigen EM-Stationen des deutschen Teams in Düsseldorf und Berlin gewesen, „aber das hier heute in der Kölner Arena, das war unglaublich. Die Zuschauer wissen genau, wann wir ihre Unterstützung benötigen, und das lassen sie uns sofort spüren.“

Ich freue mich einfach, dass das Ding reingegangen ist. Dann kamen die Emotionen heraus
Julian Köster

Vor allem in den letzten 15 Minuten war die Halle die erhoffte zusätzliche Kraft für auf dem Parkett hart kämpfende Deutsche gegen mit voller Inbrunst dagegenhaltende Isländer. Beide Teams sind mit null Punkten in die Hauptrunde gestartet, das bedeutete schon vor der Partie: Der Verlierer würde seine Chancen auf das Halbfinale schon am Donnerstagabend aufgeben können.

Zu sehen war deshalb ein verzweifelter Kraftakt auf beiden Seiten, getrieben von enormem Willen, doch noch den kleinen Ball gewinnbringend im Netz unterzubringen. Ein entsprechend spannungsgeladenes Spektaktel   wurde aufgeführt. Island, angeführt von seinen überragenden Rückraumspielern Janus Dadi Simarsson (sechs Tore), Omar Ingi Magnusson und Spielmacher Aron Palmarsson, die ersten beiden Topstars des deutschen Meisters SC Magdeburg, führte nach 52 Minuten mit 21:20, ehe Deutschland bis zur 57. Minute auf 24:22 davonzog.

Und dann riss der erneut überragende deutsche Torhüter Andreas Wolff die Partie endgültig an sich. Er hielt einen Siebenmeter der Isländer (57.), die dennoch auf 24:23 verkürzen konnten. Wieder gab es einen Strafwurf für Island – und erneut parierte Wolff, die Halle tobte, Wolff auch, eine Vorentscheidung war gefallen, ehe Köster die deutschen Fans erlöste.

Wolff, 13 Paraden, drei parierte Siebenmeter, war nach seinem großen Spiel, ähnlich bei sich wie Köster. Emotional sei er sehr mitgenommen erzählte er, um allzu bescheiden zu ergänzen: „Es freut mich, dass ich ein paar entscheidende Akzente setzen konnte.“ Seine Mannschaft wiederum habe „Charakter bewiesen, Moral gezeigt und verdient gewonnen“.

Überragend im Tor, 13 Paraden, drei gehaltene Siebenmeter: Andreas Wolff.

Überragend im Tor, 13 Paraden, drei gehaltene Siebenmeter: Andreas Wolff.

Das deckt sich in etwa mit den Eindrücken, die Bundestrainer Alfred Gislason gewonnen hatte. Der Isländer hatte seine Landsleute „bisher noch nicht so stark in diesem Turnier“ gesehen, das Spiel „war ein Abwehrkampf von beiden Seiten“ und wegen seiner Spannnug auch eine Werbung für die Sportart Handball. Aber vieles sei auch nicht gerade top gelaufen. Der Angriff etwa: „Der war in der ersten Halbzeit nicht gut genug.“ Der Spielfluss: „Von den Isländern unterbunden.“ Die zweiten Bälle: „Nicht gut und schnell genug gespielt.“ Aber: Die Defensive habe funktioniert und am Ende den Ausschlag gegeben, vor allem dank Wolff, der für Gislason „derzeit der beste Torhüter der Welt“ und so gut ist, dass wir „fast schon jedes Mal davon ausgehen können, dass er uns 15 Bälle hält“. Eine Einschätzung, die Aron Palmarsson unbedingt teilt. Warum seine Mannschaft doch noch verloren habe? Antwort: „Wolff.“

Ein derart enges, knappes Match, bei dem letztlich der Wille die Entscheidung provozierte, „bringt meiner jungen Mannschaft extrem viel. Das ist eine wertvolle Erfahrung“, sagte Gislason. Seine Taktik, früh Topkräfte wie Kreisläufer und Kapitän Johannes Golla, den „Weltklasse-Abwehrspieler“ Köster und Knorr immer mal wieder aus dem Spiel zu nehmen, um sie für die letzte Viertelstunde zu schonen ist aufgegangen.

Vorbereitung auf Österreich

Doch dieser Sieg war erst der Anfang. Um sicher ins EM-Halbfinale zu kommen, müssen drei weitere Siege in Köln gegen Österreich, Ungarn und Kroatien gelingen. Österreich, am Samstag nächster deutscher Gegner, ist für Gislason „die Überraschungsmannschaft des Turniers“ und als solche für weitere Überrumpelungen gut. Gislason erklärte am Freitag nach wenig Schlaf und mit tiefer Stimme, dass er noch in der Nacht nach dem Island-Spiel ein Österreich-Video für das teaminterne Studium zusammengestellt habe. Darin dürften viele Warnungen vor diesem unangenehmen Gegner zu sehen gewesen sein.

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