Handball-Torwart in Weltklasse-FormWie Andreas Wolff die Schweizer entnervte

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Siegerfaust vor Weltrekord-Kulisse: Andreas Wolff zeigte beim 27:14-Auftakterfolg der deutschen Mannschaft gegen die Schweiz bei der Heim-EM eine überragende Leistung.

Siegerfaust vor Weltrekord-Kulisse: Andreas Wolff zeigte beim 27:14-Auftakterfolg der deutschen Mannschaft gegen die Schweiz bei der Heim-EM eine überragende Leistung.

Der deutschen Mannschaft gelingt ein Kantersieg gegen die Schweiz. Tragendes Säulen des Spiels war die Abwehr - und der Torhüter.

Die Partie ist schon über eine Stunde aus, als Andreas Wolff, Handtuch im Nacken, unweit des Spielfeldes von einem Weggefährten aus Wetzlarer Zeiten angehalten wird. Jusko Camdzic hat sich vor den deutschen Torhüter gestellt und begrüßt ihn mit den Worten: „Ich habe ein Monster erschaffen.“ Wolff bleibt stehen und lächelt seinen einstigen Torwarttrainer von der HSG an, der nun, bei dieser Europameisterschaft, die Schweizer Keeper betreut, also die des deutschen Gegners im Eröffnungsmatch.

Die unglaubliche Stimmung, der stürmische Jubel, mit dem 53.586 Zuschauer die deutsche Mannschaft nach ihrem erstaunlich hohen 27:14-Erfolg gefeiert haben und vor allem ihn, Andreas Wolff, ist inzwischen verstummt. Doch all das hallt nach in Wolffs Kopf. Auch jetzt noch wirkt er aufgedreht, ausgelassen, befreit. Er diskutiert Wurfbilder mit Camdzic, Arme hoch beim Wurf dieses Spielers, Beine zusammen bei jenem, abwarten bei einem Dritten.

Andreas Wolff: Weltklasse-Leistung vor Welrekordkulisse

Wolff, das von Camdzic erschaffene Torwart-Monster, hat vor der Weltrekordkulisse eine Weltklasse-Leistung gezeigt, laut offizieller Statistik hat er 13 Würfe der Schweizer gehalten, was einer Quote von 61 Prozent entspricht, das ist sensationell. Bundestrainer Alfred Gislason meinte sogar 64 Prozent gehaltener Würfe errechnen zu können, „denn da waren noch einige Paraden dabei, die von offizieller Seite nicht mitgezählt wurden“.

Gymnastische Höchstleistung: Und wieder hält Andreas Wolff einen Wurf aus nächster Nähe.

Gymnastische Höchstleistung: Und wieder hält Andreas Wolff einen Wurf aus nächster Nähe.

Wolff flogen anschließend viele Worte der Wertschätzung um die Ohren, die er nicht mehr abwehren konnte, die er aber gewiss mit Freude hinter sich einschlagen ließ. Als „phänomenal“, stufte Gislason Wolffs Leistung ein, „besser kann man kaum halten“. „Unfassbare Quote“, sagte Kapitän Johannes Golla. „Unglaublich, einzigartig, von einem anderen Stern“, fiel Juri Knorr noch ein, dem Spielmacher, am Mittwoch mit sechs Toren der erfolgreichste deutsche Torschütze. „Der Andi ist eine Wand“, stellte schließlich Linksaußen Rune Dahmke anerkennend fest.

Wolff hat die Halle sofort hinter sich

Tatsächlich war Wolff, im Hauptberuf Torwart bei Industria Kielce in Polen, mit dem Beginn dieses außergewöhnlichen Spiels im Düsseldorfer Fußballstadion mit seinen für Handball-Verhältnisse riesigen Ausmaßen, sofort in der Partie. Sammelte schon in den ersten Minuten immer wieder neue Paraden, fing, wehrte ab, schmiss sich erfolgreich in die Bälle – und hatte sofort die Halle hinter sich, die über 53.000, die ihn feierten wie einen Rockstar. Und später auch seinen Namen im Stakkato riefen. Wolff selbst, nach dem Gespräch mit Camdzic nüchtern in der Analyse, nahm sich und seine Leistung zurück in der Bewertung des Spiels. Er lobte stattdessen die in der Tat großartige Arbeit des vor ihm stehenden Mittelblocks mit Golla und dem ebenfalls in herausragender Form auftretenden Julian Köster vom VfL Gummersbach. „Fantastisch“ habe die Defensive gearbeitet, und na gut, „ein, zwei schöne Bälle für mich waren auch dabei“, was für eine Untertreibung.

Jubel im Kreis nach gelungenem Auftakt: Die deutschen Spieler tanzen auf der Platte von Düsseldorf.

Jubel im Kreis nach gelungenem Auftakt: Die deutschen Spieler tanzen auf der Platte von Düsseldorf.

Es war Wolff, der die Schweizer entnervte, weil er einfach fast immer dort stand, wo der Ball auftauchte. Nach 26 Minuten hatten die braven Gäste gerade mal sechs Törchen geworfen, eine unterirdische Zahl im modernen Hallenhandball. Deutschland hatte da schon zwölf Tore erzielt und segelte klar auf Siegkurs. Was neben Wolf eben auch an der Arbeit von Golla und Köster lag, die dafür sorgten, dass die Schweizer überhastet abschlossen, in der Hoffnung, dass sie dem Spiel noch mal eine Wende geben konnten. Das, was die beiden durchließen, entschärfte schließlich zumeist Wolff.

Später, in der zweiten Halbzeit schafften es die Deutschen, ihr Tor fast 16 Minuten lang erfolgreich zu verteidigen, zwischen dem zehnten und dem elften Tor des Gegners lagen gut 17 Minuten, auch das ist eine unglaubliche Zahl. 23:11 für Deutschland also stand es nach 55 Minuten, Wolff durfte da schon seit ein paar Minuten pausieren.

Gislason hatte ihm das Bad in der Menge gegönnt, Auswechslung, frenetischer Beifall, stehender Applaus der ausgelassenen Zuschauer. Und dann hielt auch noch David Späth, Deutschlands Nummer zwei, einige Bälle der Schweizer. Und auch der Schweizer Nikola Portner vom SC Magdeburg hielt, angeleitet von Jusko Camdzic herausragend: elf Paraden. Was für ein Torhüter-Abend.

Ich hatte im August einen Bandscheibenvorfall oben an der Halswirbelsäule zwischen C6 und C7.
Andreas Wolff

Dass Wolff überhaupt mitspielen konnte, war lange gar nicht so klar. Im August hatte er sich schwer verletzt, „ein Bandscheibenvorfall oben an der Halswirbelsäule zwischen C6 und C7“, sagt er, der Schmerz habe zudem in die Schulter und den Unterarm ausgestrahlt. Wenn er in jenen Tagen aufgestanden sei, „konnte ich mich erst mal gar nicht bewegen“. Für einen Weltklasse-Torhüter wie ihn, der in er Lage ist, gymnastische Höchstleistungen zu zeigen, ist das eine furchtbare Diagnose. Doch er kämpfte sich zurück, stand schon im November wieder im Tor der Nationalmannschaft. Gislason war darüber sehr erleichtert, weil er weiß, wie wichtig dieser Mann für das Gefüge seiner Mannschaft ist.

Andreas Wolff: „Wie es im Turnierverlauf weiter geht, werden wir sehen“

In Düsseldorf „war mein Bandscheibenvorfall kein Thema“, erzählt Wolff, sachlich im Ton. Und: „Wie es im Turnierverlauf weiter geht, werden wir sehen. Ich hoffe, das bleibt so.“ Das gelte auch für seine Topform: „Das sehen wir im nächsten Spiel.“ Der Gegner heißt da am Sonntag in Berlin Nordmazedonien.

Gislason wirkte nach der Partie sehr erleichtert. Das Spiel habe ihn schon mächtig unter Druck gesetzt, denn er wusste, dass mit einer Niederlage gegen die sehr stark eingeschätzten Schweizer ein Einzug in die Hauptrunde nach Köln kaum möglich gewesen wäre. Denn zum Abschluss der Vorrunde wartet Frankreich, ein Koloss im Welthandball und einer der Topfavoriten dieses Turniers. Und nur zwei Teams kommen weiter. „Das war heute das wichtigste Spiel seit langem“, sagte er Isländer und „die Steine, die mir vom Herzen gefallen sind, sind sehr, sehr groß.“

Du musst einfach der Rolle des älteren, erfahrenen Spielers gerecht werden.
Andreas Wolff

Vor allem die Abwehrarbeit gefiel Gislason, die vielen Balleroberungen, das schlaue Verhalten in Situationen, in denen die Schweizer ihre Spezialität anwandten, das Spiel Sieben gegen Sechs ohne eigenen Torhüter. „Da waren wir sehr aufmerksam und haben den Schweizern viele Bälle geklaut“, sagt Gislason. Was ihn aber störte, war der Ertrag in der ersten Hälfte: „Da hatten wir zu viele Fehlwürfe“, und das Überzahlspiel: „Das geht besser.“ Andererseits konnte er hervorheben, dass das teaminterne Problem der unerwünschten Schwächephase während einer Partie gegen die Schweizer nicht zu sehen war. „Wir haben uns gezielt darauf vorbereitet, um genau das zu vermeiden“, sagt Golla, denn dieses negative Phänomen sei schon seit geraumer Zeit teamimmanent gewesen.

Die hohe Führung und die klare Struktur im Match ermöglichte es Gislason sogar, viel zu wechseln und wichtige Stützen des Teams wie eben Wolff, Golla, Köster und Knorr auszuwechseln. Am Ende kam jeder der 16 nominierten Spieler zum Einsatz: „Das war extrem wichtig für uns“, sagt Gislason.

Gislason: „Das war extrem wichtig für uns“

Am Donnerstag dann fuhr das deutsche Team trotz des Bahnstreiks mit einem Zug gemäß des Sonderfahrplans nach Berlin, der nächsten Haltestelle der Deutschlandtour des EM-Ausrichters. Um 8:50 Uhr ging es in Düsseldorf los, und im Zug stürzte sich Gislason gleich in die Arbeit: „Auswerten, Szenen zusammenschneiden.“ Sowie das Team vorbereiten auf Nordmazedonien, eine Mannschaft, die ganz anders spielt und auftritt als die Schweizer.

Wolff will dann wieder mit der magnetischen Anziehungskraft, die er auf Bälle ausübt, helfen. Und den Spielern mit seiner Ruhe den Druck nehmen: „Du musst einfach der Rolle des älteren, erfahrenen Spielers gerecht werden.“ Der ältere Spieler Wolff ist aber gerade mal 32, also für einen Torhüter noch sehr jung. Und dennoch: Sein Vorbild-Mantra scheint die anderen zu beflügeln

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