KEC-Mentalcoach im InterviewWas Eishockeyspieler von Astronauten lernen können

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Mentalcoach Ulf Wallisch

Köln – Herr Wallisch, Sie sind mit Haie-Trainer Mike Stewart nach Köln gekommen – als Mentalcoach und ausgebildeter Mediator. Sie schlichten also Streits?

Das habe ich früher getan, 2003 habe ich die Mediator-Ausbildung gemacht, in Österreich ein Master-Studium. Ich habe Streitigkeiten geschlichtet, unter Eheleuten oder unter Nachbarn. Später auch im Business und im Sport. So habe ich begonnen und dann weitere Ausbildungen absolviert, im psycho-sozialen Bereich. Mentalcoaching, und später kam noch Kinesiologie dazu. Ich arbeite mit dem Körper und lasse ihn sprechen, ich mache zum Beispiel Muskeltests. Der Körper speichert alle Informationen ab.

Zur Person

Der Österreicher Ulf Wallisch (50) lebt in Villach und ist gelernter Industriekaufmann, absolvierte später eine Ausbildung zum Zivilrechts-Mediator, es folgte ein Masterstudium, eine Diplomausbildung zum Mentaltrainer, Sportmentalcoach und Sport-Kinesiologen. Seit sechs Jahren arbeitet er zusammen mit Trainer Mike Stewart. (cm)

Wie sieht ihr Job im Eishockey konkret aus?

Wenn jemand sich etwas von der Seele sprechen will, kann er zu mir kommen. Das, was wir besprechen, bleibt hundertprozentig unter uns. Der andere Teil der Arbeit besteht darin, dass ich jemanden behandle und ihn durch gewisse Berührungs- und Bewegungsmethoden am Körper dazu bringe, dass er in eine bessere Regeneration kommt. Regeneration ist im Sport eines der größten Themen. Je besser man regeneriert, desto besser kann man sich fordern.

Sind Eishockeyspieler eine spezielle Spezies von Patienten?

Eishockeyspieler sind Menschen, die sich entscheiden, im August auf ein Schiff zu steigen und acht Monate auf hohe See zu gehen. Diese Zeit sollte möglichst reibungslos verlaufen, ohne Streitigkeiten. Der Kapitän sollte geachtet und respektiert werden, und genauso sollte er die Crew respektieren. Es gibt wenig Freizeit, keine freien Wochenenden, lange Busfahrten. Auch an Weihnachten bleibt kaum Zeit für die Familie. Ich bin sehr gern im Eishockey, weil es ein sehr ehrlicher Sport ist.

Wann werden Sie aktiv?

Meine Aufgabe ist es, Konflikte früher zu sehen als andere. Es ist wie in der Medizin, die Früherkennung macht es aus. Ich beobachte sehr viel. Dankenswerterweise habe ich eine sehr gute Empathie, ich kann sehr gut spüren. Und da ich eine gute Ausbildung genossen habe, kann ich auch sehr diskret auf die Menschen eingehen.

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Sie gehen also auf potenzielle Streithähne zu und sagen: „Wir müssen sprechen“?

Das mache ich auf meine Art, es ist individuell verschieden. Ich frage die Spieler vorab, ob es in Ordnung ist, dass ich auf sie zugehe. Es sind nicht immer sportliche Probleme, die sie belasten, es können auch familiäre Dinge sein. Es ist vorgekommen, dass ich mit der Frau eines Spielers gesprochen habe. Aber natürlich alles auf freiwilliger Basis.

Kommen die Spieler tatsächlich auch von allein zu Ihnen?

Einige öffnen sich gern, andere sind eher verschlossen. Es gibt immer noch die Meinung, dass man nur zum Mentaltrainer geht, wenn man einen Knacks hat, was Quatsch ist. Ein Mentaltrainer gibt dir eine wertfreie Reflexion, die man vom Partner, Freunden oder Eltern nicht bekommt. Sie sagen dir oft nicht die Wahrheit, weil sie dir nicht weh tun wollen. Der Mentalcoach sagt, was er sieht. Er ist ein Spiegel, also jemand, der dir spiegelt, wer du bist. Anders als der Spiegel zu Hause fragt er: Willst du das so lassen?

Bleibt dafür immer Zeit? Im Eishockey wird sehr oft gespielt.

Wenn der Spielplan sehr dicht ist, dann wollen die Jungs ihr Training absolvieren und dann nach Hause gehen. Denn sie brauchen Abstand, und ich erkläre ihnen auch, wie wichtig der Abstand zur Arbeit ist. Wenn man das Trainingszentrum verlässt, sollte man vom Eishockey abschalten. Alles, was Spieler im Kopf mitnehmen, überreizt irgendwann das Gehirn.

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Mentalcoach Ulf Wallisch

Kann es nicht sein, dass man Dinge weiter überdenken und analysieren muss, um sie zu verarbeiten?

Ja, aber Analysieren ist etwas anderes als Zerdenken. Ich empfehle Analysearbeit. Man sieht sich ein Video an und erkennt seine Fehler. Dann folgt die mentale Arbeit. Wie kann ich die Situation richtig bewältigen? Beim Zerdenken denkt man die ganze Zeit über seine Fehler nach.  Und man soll nicht ständig darüber nachdenken, was man falsch gemacht hat. Denn das Gehirn nimmt es als normal hin, es hinterfragt nicht, ob es richtig oder falsch ist. Du schickst dem Gehirn einfach ein Bild. Ein Spieler muss wissen, welche Fehler er begangen hat. Wenn er es weiß, ist es sinnvoll, dass er sich vorstellt, wie er es richtig macht. So trainiert man sein Gehirn und kommt zu einem Automatismus. Darf ich etwas ausholen?

Bitte.

Mentales Training ist bei der Nasa 1962 entwickelt worden. Die Nasa-Astronauten haben, bevor sie in den Orbit geschossen wurden, im Testzentrum trainiert, jede Bewegung mit verbundenen Augen, gedanklich auszuführen – solange, bis sie sie blind beherrschten. Diese Trainingsform wurde Mitte der 60er Jahre vom amerikanischen Olympiateam übernommen und gelangte damit in den Sport. Je besser ich es beherrsche, desto autotelischer wird meine Erfahrung. Das heißt, ich spüre den Moment so, dass er mir langsamer vorkommt als er ist. Das Gehirn arbeitet schneller, ich erkenne mehr Möglichkeiten und wähle die beste. In einer so schnellen Sportart wie Eishockey ist das ein enormer Gewinn. Deshalb sollte das Gehirn nicht mit Sorgen belastet sein. Man kann nicht alle Probleme sofort lösen, sich aber erarbeiten, sie draußen zu lassen.

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