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DFB-Direktor Rudi Völler„Mir soll doch keiner sagen, dass die Argentinier besser sind“

Lesezeit 8 Minuten
20.01.2023, Hessen, Frankfurt/Main: Fußball: DFB-Pressekonferenz im DFB-Campus, Rudi Völler, neuer Sportdirektor der Fußball-Nationalmannschaft der Männer spricht während der Pressekonferenz. Foto: Sebastian Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Neuer Direktor der Fußball-Nationalmannschaft: Rudi Völler

Der frühere Leverkusener Geschäftsführer spricht über seinen neuen Job beim DFB und die Probleme des deutschen Fußballs.

Herr Völler, wir treffen Sie als neuen Direktor der Fußball-Nationalmannschaft in der Bay-Arena. Der Leverkusener in Ihnen bleibt offenbar auch in der neuen Funktion erhalten.

Das ist doch klar, alles andere wäre ja geheuchelt. Ich habe hier wie in Frankfurt ein Büro und werde viel pendeln. Ich hatte mein Büro in Leverkusen auch behalten, als ich im Jahr 2000 Teamchef der Nationalmannschaft wurde, obwohl es damals noch eine andere Geschichte war, weil ich seinerzeit bei Bayer 04 Teil des operativen Geschäfts war.

Dennoch bin ich Werner Wenning, dem Vorsitzenden des Gesellschafterausschusses und Klubchef Fernando Carro sehr dankbar, dass wir jetzt eine solche Lösung gefunden haben. Nach der EM 2024 werde ich wieder als Botschafter und Mitglied des Gesellschafterausschusses zurückkehren. Meine Verbindung zu Bayer wird natürlich auch in der Zwischenzeit besonders bleiben.

Vorfreude auf die Heim-Europameisterschaft 2024

Sie haben einen Rettungsauftrag für den deutschen Fußball und die EM 2024 im eigenen Land übernommen. Erklären Sie uns mit dem Abstand von knapp zwei Wochen, wie es dazu kommen konnte.

Der Begriff „Rettungsauftrag“ ist dann doch ein bisschen übertrieben. Wir haben schließlich immer noch eine gute Mannschaft. Aber es gibt natürlich auch Gründe dafür, dass ich das jetzt mache. 2006 haben wir doch alle erlebt, was die Weltmeisterschaft zu Hause für den Fußball in Deutschland bedeutet hat. Ein solch großes Turnier ist einfach eine riesige Chance. Nicht nur für die sportliche Infrastruktur, auch im gesellschaftlichen Kontext.

Auch die EM 2024 wird ein wunderbares Turnier werden. Und wir als Veranstalter und Gastgeber müssen das bei allem Druck auch genießen und die Leute mit der Nationalmannschaft begeistern. Das müssen wir hinbekommen, daran werden wir arbeiten.

Haben Sie das Gefühl, dem deutschen Fußball Erste Hilfe leisten zu müssen?

Natürlich ist das jetzt eine schwierige Zeit. Wir sind bei drei großen Turnieren früh ausgeschieden, viele schimpfen auf den Deutschen Fußball-Bund. Aber ich werde mich mit aller Kraft für den DFB einsetzen, denn ich finde, der DFB ist nicht an allem schuld.

Dafür, dass wir heute einen Mangel an Mittelstürmern beklagen oder aktuell über zu wenige Außenverteidiger verfügen, tragen auch die Klubs eine Verantwortung, denn sie bilden die Spieler mit aus. Ich komme ja selbst aus einem Verein und weiß, wie einfach es ist, zu sagen: „Der DFB hat alles falsch gemacht.“ Aber einige Vereine haben sicherlich noch ein bisschen Luft nach oben.

Rudi Völler lobt den 1. FC Köln

Als Ausnahme haben Sie bei Ihrer Vorstellung am 20. Januar den 1. FC Köln genannt, aus dessen Jugend Florian Wirtz hervorging, bevor er zu Bayer Leverkusen wechselte.

Genauso ist es. Die Kölner machen es gut, auch die Freiburger und einige andere haben eine hervorragende Nachwuchsarbeit und es in den letzten Jahren besser gemacht. Im Großen und Ganzen hinken da einige Klubs hinterher. Aber Florian Wirtz ist für mich wie Jamal Musiala ein Beispiel für einen Spieler-Typus, den es eigentlich nicht mehr gibt. Den des unangepassten Straßenfußballers, der keine Angst vor Fehlern hat.

Wir sind eine große Fußball-Nation mit 84 Millionen Menschen, es muss möglich sein, mehr solcher Spieler zu finden und auszubilden, ohne ihnen ihre Individualität zu nehmen. Den Verbesserungsbedarf auf dieser Ebene muss nicht nur der DFB erkennen, sondern in enger Kooperation mit uns als Verband müssen das natürlich auch die Vereine.

Worin genau sehen Sie ihre Kernaufgabe als Manager für die Nationalmannschaft und U 21?

Ich habe mir im Laufe der Jahre ein Vertrauensverhältnis zu vielen Vereinsverantwortlichen erarbeitet. Nicht nur zu denen, die jetzt in der Task Force sind wie Hans-Joachim Watzke, Oliver Kahn oder Oliver Mintzlaff.

Ich kenne viele andere Verantwortliche aus den letzten Jahren, und ich werde sie in den nächsten Wochen besuchen. Ich weiß, dass man als Verband etwas geben, aber auch etwas verlangen muss. Ich habe mich darüber schon mit Präsident Bernd Neuendorf und natürlich auch mit Hansi Flick gesprochen – da gibt es bereits einen guten Austausch.

Klare Forderung von Rudi Völler an die Bundesliga-Klubs

Was können die Vereine dem DFB geben außer ihren Spielern?

Wir werden bis Sommer 2024 nur Freundschaftsspiele haben. Hier möchte ich, dass die Vereine sie ganz klar als Pflichtspiele betrachten. Die Nationalmannschaft ist die wichtigste Mannschaft, die wir haben. Und die berufenen Spieler müssen in jedem Freundschaftsspiel so agieren, als wäre es ein Qualifikationsspiel. Natürlich haben die Vereine andere Interessen. Das ist normal, ich kenne diese Interessen, denn ich komme ja aus dem Klubfußball. Hier muss ich die Schnittstelle sein und für Lösungen sorgen, falls es einmal Probleme gibt.

Vielleicht kann ich hier mit meiner Art die Dinge direkt ansprechen, im Negativen wie im Positiven, ohne dass es gleich zu größeren Dissonanzen kommt. Wir müssen alle loyal zueinander sein und uns gegenseitig unterstützen. Aber allen muss klar sein, dass die Nationalmannschaft wichtig ist. Nicht nur für den DFB, sondern auch für die Vereine.

Der als DFB-Direktor zurückgetretene Oliver Bierhoff war ein enger Vertrauter von Hansi Flick. Der Bundestrainer hat nach der Trennung eindeutig seine Trauer darüber geäußert, nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten zu können. Müssen Sie Hansi Flick jetzt von sich überzeugen?

Nein, nein, das muss ich nicht, ich kenne Hansi Flick ja schon sehr lange. Wir haben noch nie in dem Maße zusammengearbeitet wie jetzt, aber wir hatten uns immer wieder getroffen, in der Phase als Co-Trainer bei Joachim Löw und auch, als er Sportdirektor war. Wir hatten immer ein gutes Verhältnis und haben uns immer gut ausgetauscht. Deshalb weiß ich: Das wird gut funktionieren. Ich werde ihn mit allem, was ich habe, unterstützen. Wie auch den ganzen DFB.

Sie werden aber nur einen Teilbereich der Aufgaben von Oliver Bierhoff übernehmen. Der große Rest wie die Frauen-Nationalmannschaft, die Akademie und die sportliche Entwicklung insgesamt soll auf andere Schultern verteilt werden.

Für mich ist es die richtige Lösung. Ich habe sogar schon mit Oliver Bierhoff telefoniert und werde mich bald in München mit ihm treffen – auch um darüber mit ihm zu reden. Im Grunde muss man diese vielfältigen und unterschiedlichen Bereiche trennen. Trotzdem werde ich mir vor Ort beim DFB in Frankfurt alles genau anschauen und mir ein Bild davon machen, wie da gearbeitet wird. Natürlich ist die Funktion, die ich habe, sehr wichtig.

Aber ganz wichtig für die Zukunft ist die Nachwuchsakademie, der Campus. Das ist das Fundament des DFB. Und es muss mit Leben erfüllt werden. Mit dem richtigen Leben. Es ist klar, dass wir uns auch hier verbessern und Dinge verändern müssen. Es wurden in den letzten Jahren Fehler gemacht. Daraus gilt es Lehren zu ziehen, damit sie sich nicht wiederholen.

Von welchen Fehlern sprechen Sie?

Jahrzehntelang haben wir neben guten Stürmern auch wunderbare Verteidiger ausgebildet, die Zweikämpfe gewonnen und das Kopfballspiel beherrscht haben. Heute geht es aber sogar in der Vierten Liga vor allem darum, wie ein Innenverteidiger das Spiel eröffnet. Das ist natürlich wichtig, aber du musst eben auch Zweikämpfe gewinnen. Die Basics müssen stimmen.

Abgesehen von Lionel Messi, der herausragend ist und dem jeder diesen WM-Titel gegönnt hat, soll mir doch keiner sagen, dass die Argentinier besser sind als wir. Die haben aber mit einer unglaublichen Leidenschaft verteidigt. Die haben auf eine Weise verteidigt, die beeindruckend war und sind vor allem deshalb Weltmeister geworden. Dasselbe gilt für Kroatien und Marokko, sie hatten viel Überzeugung und Geschlossenheit, aber fußballerisch waren und sind sie nicht besser als wir.

Wer ist Ihr wichtigster Ansprechpartner beim DFB?

Die wichtigste Person für mich ist der Bundestrainer. Das ist wie im Verein, wo der aktuelle Trainer auch immer die oberste Priorität genießt. Wir müssen wieder eine Begeisterung wecken, im Umfeld, bei den Fußball-Anhängern. Da bin ich mir mit Hansi Flick einig. Am Ende geht das im Fußball zuerst mit Leistung. Und das müssen wir mit allem Elan, aller Wucht und Leidenschaft angehen, mit Fleiß und Ausdauer, um die Leute mitzureißen.

Auf welcher Ebene werden Sie mit Hansi Flick über Fußball diskutieren?

Ich werde ihm im Gespräch natürlich auch meine Meinung sagen, das ist doch selbstverständlich. Aber er ist der Bundestrainer, er trifft die Entscheidungen, und wie ich es immer auch in Leverkusen getan habe, werde ich mich tausendprozentig vor den Trainer stellen und ihn schützen, wenn es nötig ist.

Die Nationalmannschaft wird es allerdings nicht alleine schaffen, alle aktuellen Probleme des DFB zu lösen.

Das stimmt natürlich, aber ich vertraue hier besonders auf Bernd Neuendorf. Mit dem sportlichen Misserfolg steht er als Präsident natürlich auch in der Kritik, aber ich weiß, dass er es richtig gut macht, und er wird immer meine volle Unterstützung bekommen. Zwischen uns stimmt die Chemie, dasselbe gilt übrigens für Aki Watzke als Vizepräsident. Wir werden viele Dinge gemeinsam angehen.

Bei einigen werde ich mit meinen mir eigenen Stärken sicherlich vorangehen. Für die anderen Dinge brauche ich meine Leute. Gute Leute, die gleichsam Verantwortung übernehmen müssen. Anders – als Einzelkämpfer – würde ich es auch gar nicht machen.

Und was sagte Ihre Frau Sabrina, nachdem Sie so jäh aus dem vermeintlichen Ruhestand gerissen wurden?

Sie unterstützt mich wie immer, egal in welcher Funktion. Unser regelmäßiger Cappuccino am Colosseum in Rom muss nun eben noch anderthalb Jahre warten.

Zur Person: Rudi Völler (62), geboren in Hanau, ist neuer DFB-Sportdirektor. Als Aktiver absolvierte der Stürmer 671 Vereinsspiele (u.a. für Rom, Bremen, Leverkusen) und 90 Länderspiele (47 Tore). Nach dem Karriereende war Völler, Weltmeister von 1990, als Sportdirektor, Interimstrainer und Geschäftsführer für Bayer 04 tätig. Zwischen 2000 und 2004 betreute er die Nationalmannschaft als Teamchef und führte sie 2002 zur Vizeweltmeisterschaft. Seit Sommer 2022 war Völler im Vorruhestand – bis der DFB anfragte.

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