GewaltpräventionJunge Friedensengel

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Die Champs führten bei der Feier ein kleines Theaterstück auf, in dem es um die Verteidigung der demokratischen Werte ging. Mit dabei waren Felix Abels (3.v.r.) und Belange Biteke (2.v.r.).

Die Champs führten bei der Feier ein kleines Theaterstück auf, in dem es um die Verteidigung der demokratischen Werte ging. Mit dabei waren Felix Abels (3.v.r.) und Belange Biteke (2.v.r.).

Köln – Die Gewalt kam früh in das Leben von Sonja Bläser. Sie war gerade einmal acht Jahre alt, als die gebürtige Kurdin Zeugin einer Steinigung einer schwangeren Frau in Ostanatolien war. „Das sind Bilder, die ich nicht wieder vergessen habe.“ Gewalt gegen Frauen hat Bläser auch später auf ihrem Lebensweg leidvoll begleitet. Das Mädchen, dass bei Verwandten aufwuchs – während ihre Eltern als Gastarbeiter in Deutschland waren –, wurde Oper sexueller Übergriffe. Mit 18 Jahren wurde Bläser zwangsverheiratet.

Ausbruch aus der Zwangsehe

Die Feier fand in der Synagoge an der Roonstraße statt.

Die Feier fand in der Synagoge an der Roonstraße statt.

Sie unternahm einen Selbstmordversuch, die Ärzte konnten sie aber retten. Damals schwor sie sich, fortan etwas aus ihrem Leben zu machen und brach sie aus der Zwangsehe aus. „Eines morgens habe ich meine Tasche gepackt und bin gegangen.“ Zuerst kam sie bei Freundinnen unter, später bei einem deutschen Mann, mit dem sie eine Zeit lang schon liiert war und den sie später heiratete. Das war 1986.

Junge Frauen in Zwangslagen

Bläser ist mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen, hat nicht nur ein Buch geschrieben, sondern war anschließend als Dolmetscherin und Beraterin für verschiedene Einrichtungen tätig. Im Jahr 2006 gründete sie den Verein Hennamond, der junge Frauen beriet, die sich in ähnlichen Zwangslagen befanden wie sie einst. Erst kamen die jungen Frauen, später die jungen Männer. Viele von letzteren fühlten sich von den Traditionen, den Erwartungen der Familie ebenso eingeengt wie die Frauen. Der Verein, der seit einigen Jahren sein Domizil in Köln-Longerich hat, berät pro Jahr 300 bis 400 Menschen. 2018 kamen 318 Frauen und 83 Männer. Die Themen reichten von häuslicher Gewalt und psychischen Problemen über Missbrauch und Genitalverstümmelung bis hin zu Kinderehen.

Gegen die Radikalisierung

Nun tüftelt der Verein Hennamond, der auch von "wir helfen" unterstützt wird,  seit einem Jahr an dem Projekt „Champs“. Hier werden Jugendliche ein Jahr lang zu Multiplikatoren ausgebildet, die mit jungen Menschen in Jugendzentren, Schulen, Justizvollzugsanstalten und anderen Einrichtungen über Werte in der Demokratie, Gleichberechtigung von Frau und Mann und Toleranz zwischen den Religionen unterhalten. Es geht auch um Präventionsarbeit gegen die Radikalisierung von Jugendlichen durch Salafisten. Die ersten zehn Champs, zehn junge Männer, wurden nun im Rahmen einer Feier in der Synagoge an der Roonstraße zertifiziert. Eine Mädchengruppe wird derzeit geschult und kann im kommenden Jahr die Arbeit aufnehmen.

Hennamond-Gründerin Sonja Bläser

Hennamond-Gründerin Sonja Bläser

Unterstützung erhielten die Champs von Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes: „Für mich seid ihr Champions.“ Staatssekretärin Serap Güler sagte: „Es darf in unseren Städten keinen Platz für Rassismus und Antisemitismus geben.“ Die Champs trügen mit ihrer Arbeit dazu bei, dass demokratische Werte an Jugendliche weitergegeben würden. „Wir brauchen noch viele solcher Projekte“, so Güler.

Ins Nachdenken geraten

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Sonja Bläser von Hennamond und ihre "Champs".

Felix Abels (21) und Belange Biteke (22) haben schon bei einem anderen Projekt mit dem Namen „Heroes“ mitgemacht und sich nun binnen eines Jahres zum Champ ausbilden lassen. Biteke hat schon früher in seinem Umfeld beobachtet, dass „Frauen anders aufwachsen als Männer. Sie müssen sich oft erklären, wenn sie abends mal rausgehen wollen. Da wird mit zweierlei Maß gemessen“, sagt er. In der Ausbildung haben sie durch Diskussionen, Workshops, Rollenspielen und vielem mehr das Rüstzeug erhalten, um mit anderen Jugendlichen zu diskutieren. Ziel sei aber nicht, dass die Schüler nach einem zweistündigem Workshop, den Inhalten der Champs zustimmten. Vielmehr sollte sie ins Nachdenken geraten. Wichtig sei, den Jugendlichen auf Augenhöhe und Respekt zu begegnen. Nur so könne man eine Brücke zu ihnen bauen.

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Die Champions von Champs

Intoleranz hat Konjunktur

Die Arbeit der Champs tut laut Gründerin Bläser mehr denn je Not, denn Intoleranz habe wieder Konjunktur: Die AfD, der Streit in der türkischen Community ob der Politik Erdogans, religiöse Verbände, die versuchten, Jugendliche auf den falschen Weg zu bringen, vermehrter Antisemitismus seien nur einige Facetten der fehlender Toleranz. „Viele Familien erziehen ihre Kinder noch patriarchalisch“, so Bläser. „Wir werden noch zwei oder drei Generationen brauchen, um das zu überwinden.“

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