wir helfenSamir kickt sich nach oben

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Junger_Fussballspieler

(Symbolbild)

Sein Vorbild ist Lionel Messi. So gut wie der argentinische Fußballstar ist Samir (Name geändert) freilich nicht, aber schon mit 13 Jahren eine Stütze seiner Mannschaft von Arminia 09 Zollstock. „Samir ist eines der Vorbilder in unserem Team – auf dem Platz, aber auch menschlich“, sagt sein Trainer und Integrationslotse Guillaume Mozokina über den 13-jährigen Kosovaren.

Vom Balkan nach Zollstock – eine weite Reise für Samir. Einst im Kosovo hatte Vater Amir Rudovo (Name geändert) einen Bauernhof mit Ziegen, Schafen, Kühen und einem dreigeschossigen Haus. Rudovo baute Kartoffeln, Mais und Gemüse an, verkaufte vieles auf dem Markt und ernährte mit dem Rest die Familie. „Ich bin ein Mensch, der die Natur im Blut hat“, sagt Rudovo (37). Das Leben auf der Farm, es sollte nicht lange währen. Als Roma-Familie standen die Rudovos stets zwischen den Fronten. Viele Sinti und Roma werden in den Staaten des Balkans diskriminiert. Viele von ihnen leben am Rand der Städte, haben wenige Möglichkeiten, ihre Kinder in gute Schulen zu schicken. Viele sind arbeitslos und leiden unter bitterer Armut. Weil die Familie Rudovo serbisch spricht, sei sie von den Albanern nicht akzeptiert worden. Als Roma wurden sie von den Serben ebenso gemieden.

Flucht aus dem Kosovo

Die Lage eskalierte, als der Kosovo-Krieg 1999 ausbrach, in dessen Verlauf 3500 Menschen getötet und 10 000 verletzt wurden. Familie Rudovo verlor damals alles: Albaner überfielen ihren Hof, zündeten ihn an, stahlen alle Habseligkeiten und die Tiere. Die Rudovos konnten nur ihr Leben retten, flüchteten über Montenegro nach Serbien. Dort lebten sie von der Hand in den Mund, kamen mal bei Bekannten unter, mal auf der Straße. „Wir haben wie Nomaden gelebt“, sagt Rudovo. Es war die Zeit, in der sechs seiner sieben Kinder, darunter Samir, geboren wurden. Viele Familienmitglieder wurden im Krieg und der Zeit danach traumatisiert. 2010 schaffte es die Familie nach Deutschland. In Köln lebte sie zunächst im Flüchtlingswohnheim, später in einer sehr kleinen Wohnung. Acht Personen auf 25 Quadratmetern, ein Zimmer, eine Küche. Heute wohnt die Familie in einer 100-Quadratmeterwohnung in der Innenstadt.

Die Zeit auf der Flucht und danach ist auch an den Kindern nicht spurlos vorbeigegangen. Als Samir 2011 eingeschult werden sollte, sprach er kein Wort deutsch. „Ich habe nichts verstanden und konnte nicht mitmachen.“ Der Junge war damals aggressiv und hyperaktiv. Dass Samir später bei Amaro Kher zur Schule gehen konnte, war ein Glücksfall für ihn. Das Projekt des Trägers Rom e. V. kümmert sich seit 2004 um Kinder aus Roma- und Flüchtlingsfamilien. Derzeit werden am Venloer Wall ein Dutzend Kinder fit gemacht für den Einstieg in die Regelschule, es gibt einen Kindergarten und „Amen Ushta“ – ein Projekt für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf in Regelschulen.

Regelschulen sind oft voll

Die Hilfe tut Not. Denn in Köln leben viele Roma-Familien in prekären Verhältnissen, sie verdingen sich als Tagelöhner, ihre Kinder sprechen wenig Deutsch und manche sind Analphabeten. Weil in Köln die Bevölkerung steige, sind die Regelschulen oft voll. Traumatisierte Kinder ohne Deutschkenntnisse zu integrieren, trauen sich nicht alle Schulen ohne weitere Hilfen zu.

Bei Amaro Kher werden Kinder in kleineren Klassen unterrichtet – 15 Mädchen und Jungen werden von einem Lehrer betreut. „Wir versuchen, die Kinder dort abzuholen, wo sie sind“, sagt Mitarbeiterin Ruza Andlar. Das Projekt integriert auch verschiedene Angebote in den Tagesablauf. Etwa die Reittherapie, dank der ein fast verstummtes Mädchen zum ersten Mal seit langem wieder lachen konnte. Andere Kinder malen Wörter in den Sand eines Sandkasten. Das haptische Lernen sei lockerer und sinnlicher als der reine Blick auf die Tafel, so Andlar. Sport als Therapie

Viel Sport im Stundenplan

„Samir hat fünf Jahre seines Lebens auf der Straße gelebt, das Problem war, dass er nicht drei Stunden lang still sitzen konnte“, sagt Andlar. Dem hätten sich die Pädagogen von Amaro Kher angepasst und viel Sport in seinen Stundenplan eingearbeitet – Turnen und Fußball. Durch die Erfolgserlebnisse und den gezielten Deutschunterricht war der Junge binnen eines Jahres fit für die Regelschule. Amaro Kher unterstützte die Familie Rudovo auch durch Elternarbeit und psychologische Hilfe.

Amaro Kher war es auch, der den Jungen mit seinem Bruder (12) zum Fußball schickte. Der Verein Rheinflanke, bekannt durch seine Straßenfußball-Turniere in Kölns sozialen Brennpunkten, kickt mit jungen Talenten auch in Zollstock, nutzt dort ein Gelände der Spielvereinigung Arminia 09 Köln und hat eine U17-Mannschaft aufgebaut. Samir hat sich dort zu einem der Führungsspieler entwickelt und wünscht sich sehnlichst, mit der Mannschaft bis in die Kreisliga aufzusteigen.

Auch sonst macht sich der 13-Jährige viele Gedanken um seine Zukunft. Er will die Schule beenden und anschließend eine Lehre machen. Vielleicht als Automechaniker. „Oder Arzt “, wirft der Vater ein. Samir rollt die Augen. „Dafür müsste man ja studieren.“

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