Kiffen auf RezeptKölner Cannabis-Importeur bereitet sich auf Ansturm vor

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Cannabispflanzen (ca. 4 Wochen alt) in ihrer Wachstumsphase stehen unter künstlicher Beleuchtung in einem Privatraum. Aus der Cannabis-Pflanze werden Haschisch und Marihuana hergestellt.

Medizinal-Cannabis fällt nun nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz.

Künftig dürfen Ärzte Medizinal-Cannabis so leicht verschreiben wie eine Schmerztablette. Bei den Cannabis-Importeuren klingeln die Kassen.

„Es ist der totale Wahnsinn“, sagt David Henn. Der Gründer und Geschäftsführer des Kölner Unternehmens Cannamedical Pharma kann den Beschluss des Bundesrates kaum fassen. „Ärzte können medizinisches Cannabis jetzt so leicht verschreiben wie eine Ibuprofen 600.“

Der Bundesrat hat vergangene Woche nämlich nicht nur den Konsum von Cannabis in der Öffentlichkeit unter bestimmten Bedingungen legalisiert, sondern mit einem zweiten Gesetz den medizinischen Gebrauch deutlich liberaler gestaltet. „Medizinal-Cannabis dürfen künftig Ärztinnen und Ärzte verschreiben, ohne an die bis dato geltende betäubungsmittelrechtliche Hürde der THC-Verordnung, nämlich die therapeutische Alternativlosigkeit, gebunden zu sein“, heißt es von der Ärztekammer Nordrhein. 

Zur Erklärung: Ärzte dürfen schon seit 2017 Cannabis als Arzneimittel verordnen, bislang fällt der Stoff allerdings unter das Betäubungsmittelgesetz. Er darf nur für Patienten eingesetzt werden, die beispielsweise chronische Schmerzen haben, die sonst auf keine andere Behandlung anschlagen. Und: Es gelten strenge Vorgaben und Dokumentationspflichten - zumindest noch bis Ende März.

Nachfrage nach Medizinal-Cannabis könnte stark wachsen  

Der Markt für Medizinal-Cannabis wächst gewaltig. Im Jahr 2020 wurden laut Statista auf dem legalen Cannabis-Markt in Europa rund 231 Millionen Euro umgesetzt. Prognosen zufolge könnten sich die Umsätze bis zum Jahr 2025 auf mehr als 3,1 Milliarden Euro mehr als verzehnfachen.

Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, geht kurzfristig von einer Verdoppelung der Privat-Verordnungen aus. „Bei Verordnungen für gesetzlich Versicherte wird sich bei den Verordnungszahlen nicht so schnell etwas ändern“, sagt Preis. Denn Therapien mit Cannabis müssen weiter durch die Krankenkassen genehmigt werden. Mit den Genehmigungen gehen gesetzliche Krankenkassen sehr restriktiv um und genehmigen nur wenige Fälle. Doch der Druck, diese Genehmigungspflicht auszusetzen, wächst.

Papierrezepte für Kassen- und Privatpatienten lassen sich leichter fälschen
Thomas Preis, Apothekerverband Nordrhein

Anders sieht es bei Privatversicherten und Selbstzahlern aus. „Ärzte müssen bei der Verordnung auf ein Privatrezept nicht mehr darauf achten, ob es andere Therapiemöglichkeiten abseits einer Therapie mit Cannabis gibt. Das war bisher ein Hindernisgrund für mehr Cannabisverordnungen“, sagt Preis. Durch die Entstigmatisierung von Cannabis in der Öffentlichkeit geht er auch von einem steigenden Nachfragedruck der Patienten in Arztpraxen aus.

Apotheken rechnen jetzt auch mit mehr Rezeptfälschungen, sagt Preis: „Die üblichen Papierrezepte für Kassen- oder Privatpatienten lassen sich leichter fälschen als Betäubungsmittelrezepte, die immer mit einem besonderen Durchschlag in der Apotheke vorgelegt werden müssen und dort sowie in der Arztpraxis archiviert werden müssen.“

Cannamedical Pharma rechnet mit Rekordumsatz

Die Cannabisreform dürfte auch dem Kölner Unternehmer Henn ein goldenes Jahr bescheren: 2023 hat Cannamedical Pharma 20 Millionen Euro Umsatz gemacht, in diesem Jahr rechnet Henn mit 50 Millionen Euro. „Wir haben uns seit Monaten auf das neue Gesetz vorbereitet“, sagt er.

Bislang importiert das Unternehmen jeden Monat rund 300 Kilogramm Cannabis, vorzugsweise aus Kanada, Australien und den Niederlanden. Ab April sind es fünf Tonnen monatlich. In Erwartung der Legalisierung hat Cannamedical Pharma eigenen Angaben zufolge zudem schon 5.000 Paletten-Stellplätze zugebaut. „Unser Vorteil ist, dass wir viele Lieferanten haben, die schon auditiert sind. Wir sind also startklar“, sagt Henn. Sein Unternehmen habe hierzulande einen Marktanteil von 20 bis 25 Prozent. 

Düsseldorfer Cannabis-Spezialist: „Entscheidender Wendepunkt“

Konkurrent MH Medical Hemp aus Düsseldorf hat sich ebenfalls in Stellung gebracht. „Diese legislative Veränderung markiert einen entscheidenden Wendepunkt nicht nur für die Cannabisbranche, sondern auch speziell für unser Unternehmen“, sagt Geschäftsführer Daniel Kruse. Seit 2021 gehört sein Unternehmen zur Synbiotic SE, der größten europäischen börsengelisteten Cannabis-Unternehmensgruppe.

„Die Entscheidung des Bundesrates eröffnet uns erweiterte Möglichkeiten in Forschung und Entwicklung, Produktion und Vertrieb“, sagt Kruse. „Insbesondere erwarten wir eine Beschleunigung unserer Innovationszyklen und eine Ausweitung unserer Geschäftsmöglichkeiten, da die Legalisierung den Zugang zu Cannabis für medizinische Zwecke vereinfacht und das Bewusstsein für die therapeutischen Potenziale der Pflanze erhöht.“

Nicht alle Cannabis-Blüten sind medizinisch unbedenklich

Im Jahr 2022 haben deutsche Firmen rund 25 Tonnen Medizinal-Cannabis importiert, zeigen Zahlen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Während das für die Importeure gute Nachrichten sind, schlägt der Bund Deutscher Cannabis-Patienten (BDCan) Alarm. Die „komplizierten Clubmitgliedschaften und den für viele unzumutbaren Eigenanbau“ dürften laut BDCan dafür sorgen, „dass sich ein signifikanter Teil des Marktes auf pseudomedizinische Strukturen verlagert“, kritisiert der Verein.

Eine Analyse des BDCan zeigt einen sprunghaften Anstieg der am Markt verfügbaren Cannabis-Blüten von rund 100 Sorten im Jahr 2022 auf nunmehr über 400. „Davon sind 259 Sorten lediglich nach laxen Arzneibuchstandards geprüft und dürfen somit hohe mikrobiologische Belastungen enthalten, die für die Inhalation ungeeignet und gesundheitsschädlich sein können“, heißt es vom BDCan. „Solche Ware ist offensichtlich nicht auf medizinische Behandlung ausgerichtet.“

Telemedizin-Anbieter nur für Cannabis-Rezepte

Gleichzeitig haben sich eine Vielzahl von neuen telemedizinischen Diensten in Stellung gebracht, um Kunden privatmedizinisch zu versorgen. Der Berliner Cannabis-Importeur Cantourage beispielsweise betreibt das Telemedizin-Portal „Telecan“, wo sich Patienten Medizinal-Cannabis verschreiben lassen können. Dafür müssen sie sich zuerst online registrieren und mit dem ärztlichen Fachpersonal sprechen. Dank E-Rezept können Patienten ihr Medizinal-Cannabis direkt in der Apotheke abholen.

„Cannabis kommt entgegen der landläufigen Meinung nicht ausschließlich bei unheilbaren oder lebensverkürzenden Erkrankungen als Therapieoption infrage“, sagt Florian Wesemann, medizinischer Direktor von Telecan, in einer Mitteilung. „Auch alltägliche chronische Beschwerden wie Rückenschmerzen, Endometriose, Schlafstörungen und Migräne können eine Behandlung mit Cannabis medizinisch rechtfertigen.“

Der Bund Deutscher Cannabis-Patienten findet klare Worte: „Wir sind überzeugt, dass sich die niedergelassenen Fach- und Hausärzte, die ihre Patientinnen und Patienten gut kennen, kaum instrumentalisieren lassen. Bei vielen kürzlich entstandenen Telemedizinanbietern sind allerdings erhebliche Zweifel angebracht.“

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