„Der große E-Mail-Simulator“Vorsätze: eine Abschweifung

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Ein Jogger läuft bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein an der Dreisam in Freiburg (Baden-Württemberg).

So viele Vorschläge gibt es derzeit, wie man körperlich und seelisch gesund bleiben kann. Unser Autor sagt:„ Mich würde ja eher interessieren, wie man es schafft, sich gar nicht mehr zu bewegen.“ (Archivbild)

Das Internet ist voll von Schlaubi-Schlumpf-Vorschlägen, was man alles tun oder lassen könnte, um an Körper und Seele zu gesunden. Unser Kolumnist nimmt sich vor: weniger Vorsätze.

Zu meinen guten Vorsätzen für das neue Jahr gehört vor allem der Vorsatz, weniger Vorsätze zu fassen. Gute Vorsätze haben die Eigenart, an Dringlichkeit zu verlieren, sobald sie einmal gefasst sind. Das Internet ist voll von Schlaubi-Schlumpf-Vorschlägen, was man alles tun oder lassen könnte, um an Körper und Seele zu gesunden. Die Unsicherheit ist groß da draußen. Früher hat Dr. Sommer das meiste abgefangen, heute liest man in seriösen Medien Artikel wie „Mehr Penisbrüche an den Feiertagen“ und „Hornhautsocken im Vergleich“.

In einer Zeitung las ich jüngst die Überschrift „Wie man es endlich schafft, sich mehr zu bewegen“. Mich würde ja eher interessieren, wie man es schafft, sich gar nicht mehr zu bewegen. Aber Medien schreiben nicht selten an ihrer Leserschaft vorbei.

Der „Rolling Stone“ zum Beispiel. Im neuen Heft las ich einen Hinweis auf den Whatsapp-Channel des Musikmagazins. Dort hieß es: „OMG! (Aufregesmiley) Die Stones haben gestern zum Überraschungskonzert geladen! Wie sah das Ganze aus? Alle Infos, Bilder und Videos bekommt ihr von uns. (Zwinkersmiley) Und falls ihr es noch nicht mitbekommen habt: Wir haben Mick und Ronnie in London getroffen. Schaut mal rein, um alles zu erfahren!“

Yeah. Das ist genau der appellativ-zwangsjuvenile Ranschmeißton, in dem alternde Musikinteressierte beim Abstauben ihrer Neil-Young-Albensammlung angesprochen werden wollen. Im Einzelnen: Erstens ist „ALLE Infos“ eine maßlose Lüge. Zweitens ist die Verwendung des Kürzels „OMG“ oberhalb der 30 peinlich. Und drittens machen übergriffige Schleimkosenamen wie „Ronnie“ aus gestandenen Rockhaubitzen noch lange keine RTL-II-Ballermannpromis für die Knossi-Fangemeinde.

Und während Altrocker aufgeregt angeschnattert werden wie rotwangige Backfische, können es umgekehrt die Jüngeren kaum erwarten, erwachsen zu sein. Mein Sohn etwa spielt auf der Playstation gern das Fußballspiel „EA Sports FC 24“. Und zwar im „Karrieremodus“. Das bedeutet im Kern: Statt Fußball zu spielen, muss er E-Mails beantworten. Andauernd schreibt irgendein virtueller Spielerberater eine Mail. Dann muss er sich durch Listen von Nachrichten klicken wie ich an einem vernebelten Montagmorgen in den Fängen der Erwerbsarbeit.

Es mache ihm Spaß, versichert er. So ist das im Leben: Was man nicht tun muss, behält oft seinen Reiz, bis man es tun muss. Wir sprechen uns in 15 Jahren, was die Attraktivität langer Mail-Listen angeht. Ich nehme allerdings an, er ist dann längst in echt Klubpräsident und muss entscheiden, welchen Superstar er für 500 Millionen Dollar in die Mannschaft kauft, bevor es die Saudis tun.

Möglicherweise wäre ein Spiel wie „Der große E-Mail-Simulator“ eine Weltidee für Acht- bis Zwölfjährige: Die Spieler sitzen in einem virtuellen Büro neben einer böse fauchenden Kaffeemaschine und bekommen alle 40 Sekunden eine Mail. Die müssen sie wegklicken. Wenn wir uns nächste Woche nicht mehr sprechen sollten, habe ich die Idee an EA Games verkauft und meinen Bürocomputer aus dem Fenster geworfen.

Schönes Wochenende!


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