Weil die Einsamkeitskonferenz der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Paritätischen aus organisatorischen Gründen online durchgeführt werden musste, wurde das Programm abgespeckt.
ParitätischerErste Einsamkeitskonferenz in Euskirchen musste ins Netz verlegt werden

Um Einsamkeit ging es bei einer Konferenz der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Paritätischen in Euskirchen.
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Die erste Einsamkeitskonferenz der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Paritätischen in Euskirchen sollte Menschen aus der Selbsthilfe sowie unterschiedlichste Netzwerkakteurinnen und -akteure miteinander in den Austausch bringen. Leider gab es organisatorische Probleme, so dass die Initiatoren auf ein in Pandemiezeiten bestens erlerntes Tool zurückgriffen: Die Konferenz fand online statt, jedoch ohne die geplante Podiumsdiskussion und den gewünschten Austausch zu Strategien und Handlungskonzepten gegen Einsamkeit.
Michael Kehren, Geschäftsführer des Paritätischen Kreis Euskirchen, begrüßte die Teilnehmenden und betonte, dass man dem Thema mit einem Online-Vortrag alleine nicht gerecht werden könne, weshalb man die Veranstaltung mehr als einen ersten Impuls begreifen solle. Im kommenden Jahr soll dann eine Vernetzungskonferenz in Präsenz stattfinden, die mehr Raum zum persönlichen Kennenlernen und Austausch bieten wird. Kehren: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!“
Einsamkeit als gesellschaftliche Herausforderung
Dem angekündigten Expertenvortrag von Prof. Dr. Manfred Borutta, Professor für Gerontologie in der Sozialen Arbeit und der Pflege an der Katholischen Hochschule in Aachen, folgten die Teilnehmenden am Bildschirm. „Die stille Krise – Einsamkeit als gesellschaftliche Herausforderung“ war sein Beitrag überschrieben.
Zunächst beschrieb er die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Einsamkeit. Ein Mensch könne objektiv sozial isoliert sein, sich dabei aber nicht einsam fühlen, weil er sein Alleinsein nicht negativ bewerte. Gleichzeitig gebe es Personen, die objektiv vielen Menschen begegnen, also nicht isoliert seien, und sich trotzdem einsam fühlten, „weil die Intensität der Kontakte nicht ihren Wünschen entspricht“.
Einsamkeit ist ein Zustand, in den Menschen jeden Alters und jeden sozialen Status geraten können. Die Gründe seien dabei vielfältig: „Der Wandel der Arbeitswelt, Tendenzen zur Individualisierung und die nachlassende Bindungskraft sozialer Institutionen und Gemeinschaftsformen“, heißt es in der Einladung des Paritätischen. Besonders beim Älterwerden könne Einsamkeit gravierende Folgen für die seelische und auch körperliche Gesundheit haben.
Mehrheit der Menschen wohnt nicht mehr als Familie zusammen
„Der Einsamkeit haftet ein Makel an, über den nicht gesprochen wird“, sagte Manfred Borutta. Die Tabuisierung entstehe unter anderem deshalb, weil Einsamkeit nicht zu dem Soll-Bild einer sozialfähigen und sozialkompetenten Person passe und in unserer Konsumgesellschaft Kontaktfreude und „Freundschaften“ demonstrativ zur Schau gestellt werden. Doch wie viele Likes und Follower hat ein älterer, alleinlebender Mensch?
Borutta beleuchtete Einsamkeit auch im Kontext der demografischen Entwicklung: „Singularisierung und Alterung der Gesellschaft sind mittlerweile so weit vorangeschritten, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland nicht mehr als Familie in einem Haushalt zusammenwohnt.“
Höheres Risiko, an Depression zu erkranken
Einsamkeit führe zu einer Vielzahl negativer, belastender Aspekte, die sich auf gedanklicher, kognitiver, körperlicher und gefühlsmäßiger Ebene zeigen. „Einsamkeitsgefühle stellen eine starke psychische Belastung dar“, so Borutta. Das Risiko, an Depression zu erkranken oder Süchte zu entwickeln, steige. Durch Gefühle von Minderwertigkeit, Verzweiflung und Sinnlosigkeit steige auch die Suizidalität. Der Pflegewissenschaftler betonte, dass die „Prävention von Einsamkeit für die Gesellschaft als Ganzes und ihre politische Verfasstheit von Bedeutung“ sei. Doch wie kommt man dagegen an? Was genau kann eine Gesellschaft tun, um vor allem auch ältere und alleinstehende Menschen davor zu bewahren?
Manfred Borutta brachte die Bedeutung von Nachbarschaft ins Spiel und verwies unter anderem auf das Nahbar-Projekt in Jena, ein Besuchsangebot für ältere, alleinlebende Menschen. Ehrenamtliche verbringen mit den Betroffenen Zeit, hören zu oder gehen mit ihnen gemeinsam spazieren. Der Wissenschaftler sprach von „sozialen Möglichkeitsräumen“ wie etwa Mehrgenerationen-Wohnprojekten.
Zum Schluss seines Vortrags empfahl Manfred Borutta, Leonard Cohen zu hören, dessen Songs oftmals von Einsamkeit erzählen. Einem Reporter, der den Musiker 1972 gefragt habe, warum er keine politischen Songs schreibe, habe Leonard Cohen geantwortet: „Die Einsamkeit des Menschen ist politisch.“


