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Pro und ContraSind Apps für Kinder sinnvoll?

Lesezeit 4 Minuten

Köln – Pro App

Von Markus Bäcker

Ich kaufe mir keine CDs, sondern Schallplatten. Bücher lese ich nur im gedruckten Zustand. Die Bibliothek unserer siebenjährigen Tochter dürfte schon jetzt umfangreicher sein als die vieler Erwachsener. Ob die Kleine unser iPad nutzen darf? Natürlich, schließlich ist es Teil unseres Alltags. Mir will auch nicht so recht einleuchten, warum sie die vorzügliche Sendung „Wissen macht Ah!“ im Fernsehen schauen darf, nicht aber auf diesem überaus nützlichen, formschönen Gerät, das man überallhin mitnehmen kann. Was soll man einwenden gegen liebevoll gestaltete Apps, die eine nur bedingt mathematikaffine Siebenjährige dazu veranlassen, mit Feuereifer Rechenaufgaben zu lösen? Und wenn man es nicht in Ordnung findet, dass das iPad mal die Aufgabe des Geschichtenerzählers übernimmt, muss man dann nicht auch Hörbücher und Hörspiele mit Verachtung strafen?

Multimediale Welt

Natürlich sprüht mein für Idealismus (und möglicherweise auch für Nostalgie und Sentimentalität) zuständiges Hirnareal vor Vergnügen Funken, wenn ich an handgeschnitztes Holzspielzeug, traditionelle Teddybären-Fauna und Kinderbücher denke, in denen jedes Bild aussieht wie soeben handgemalt. Tatsache aber ist nun mal, dass wir uns in einer multimedialen Welt bewegen (und nicht in einer Mischung aus Bullerbü und Manufactum-Kaufhaus). Das Digitale ist fester Bestandteil unseres Lebens, und mir fällt kein guter Grund ein, diesen vor meinem Kind geheim zu halten.

Im Gegenteil, ich finde es wichtig, unsere Tochter mit allen relevanten Medien vertraut zu machen. Wir haben es in der Hand, wofür sie das iPad nutzt und wie lange. Wir können ihr beibringen, wie man verantwortungsvoll damit umgeht. Und wenn wir das Gefühl haben, dass es jetzt auch mal reicht mit digitalen Faltmännchen-Malereien, Rechenspielen und Online-Geschichten, dann kommt das gute alte, nach Papier und Druckerschwärze duftende Buch zum Vorschein. Dass sich unsere Kleine darüber noch nie beschwert hat, zeigt: Frühe iPad-Nutzung führt nicht zwangsläufig zur digitalen Versaubeutelung.

Contra App

Von Michael AustAls ich zwei Jahre alt war, war die Technik schon nah an den Bauernhof herangerückt. In meinem Bilderbuch von damals beginnt die Autobahn gleich hinterm Weidezaun. Ende der 70er Jahre galten schnelle Autos noch nicht als Klimasünde, sondern als Wunder der Technik, ihre Abgase rochen nach Freiheit, und nicht nach Dekadenz. Und offenbar wollte man schon Kleinkinder in diesem Fortschrittsgeist erziehen.

Bauernhof aus Pixeln

Heute hat die Technik den Bauernhof längst übernommen. Er besteht nicht mehr aus Farbe auf reiß- und spuckfestem Bilderbuchkarton, sondern aus Pixeln hinter Glas. Fragt man meinen zweijährigen Sohn, ob er seine Kühe und Schafe und Pferde lieber auf dem iPad oder im Bilderbuch sehen will, zeigt er so entschieden auf die schwarz-gläserne Metallscheibe wie sonst nur auf Schokoeis. Schließlich macht die Kuh aus der App ein echtes „Muh“, wenn man sie mit dem Finger berührt. Der Papa kann nur das nachgemachte Muhen, und das macht er auch nicht auf Antippen. Jetzt könnte man sagen: Fantastisch. Der Kleine spielt gern mit dem iPad, er bekommt früh Medienkompetenz und lernt dabei gleich was über Ursache und Wirkung (Antippen und Muhen). Außerdem ist die iPad-Vorlesestunde praktisch für Eltern: Man muss nicht selbst wiehern und miauen. Bei manchen Apps muss man noch nicht mal erklären, was auf den Bildern zu sehen ist. Das übernimmt eine Erzählerstimme.

Glas statt Pappe

Doch die Bequemlichkeit hat ihren Preis. Die Autobahn am Wiesengatter lässt den Bauern zwar schnell aus der Natur in die Stadt kommen, macht aber die Natur selbst ein bisschen zur Stadt. Vorlesespiele auf Tablet und Smartphone bescheren Kleinkindern zwar schnelle Erfolgserlebnisse und Sinneseindrücke, machen diese Eindrücke aber auch gleichförmig und monoton. Wo die Oberflächen von Bilderbüchern mal rau und mal glatt ist, die Pappe mal dick, mal dünn, ist heute nur mehr Glas. Was sich dahinter tut, verstehen nicht mal Erwachsene genau. Und eine automatische Vorleserin kann auch kaum Papas und Mamas Begleitung in die Welt der Fantasie ersetzen.