DunkelheitEin Plädoyer zu Beginn der Winterzeit: Nutze die Nacht!

Hier entstehen neue Sterne – der Orionnebel in einer sternklaren Nacht über der Eifel
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Endlich: Die Nacht wird wieder länger. Am Wochenende – dank Zeitumstellung – erstmal deutlich spürbar, dann bis zum kürzesten Tag des Jahres am 21. Dezember, langsam, aber sicher. Endlich können wir nach der Arbeit einfach nach Hause gehen und uns einen Tee kochen. Kein Draußen-Aktions-Zwang mehr, weil die Sonne ja so schön scheint. Wir können nach Herzenslust auf dem Sofa gammeln, ohne uns rechtfertigen zu müssen. Endlich keine Gute-Laune-Pflicht mehr, weil die Sonne da ist. Die Nacht beginnt so früh, dass wir uns endlich getrost unspektakulären Zeitvertreiben, wie Wollsocken häkeln oder „die Wohnung gemütlich machen“ widmen können. Ganz ohne schlechtes Gewissen. Herrlich!
Die Nacht ist viel mehr als die unvermeidliche Kehrseite des Tages. Mehr als ein notwendiges Übel, sondern ein Wert an sich. Sie ist Ruhe-Insel nach einem turbulenten Tages-Slalom, kann Ausruhzeit nach dem hektischen Hin-und-Her des Alltags sein. Wenn wir sie nur lassen würden. Denn die Nacht ist in Gefahr.
Bloß in der Nacht zu schlafen, hieß die Sache nicht ernst zu nehmen.Douglas Adams, Per Anhalter durch die Galaxis
Gegen der Erde Leid gibt es keinen Trost als den Sternenhimmel Jean Paul
Bei Einbruch der Dämmerung ist mit Dunkelheit zu rechnen.Aus: Dienstvorschriften der Bundeswehr
Drei Uhr morgens ist immer zu früh und immer zu spät für das, was du vorhast.Jean Paul Sartre
Bring on the night. I couldn’t stand another hour of daylightPolice
Organisationen wie die International Dark Sky Association (IDA) aus den USA oder der Forschungsverbund „Verlust der Nacht“, der aus Wissenschaftlern der TU Berlin besteht, haben es sich zum Ziel gesetzt, die Dunkelheit zu schützen und zu bewahren. Ökonomen machen auf die Licht- und Energieverschwendung aufmerksam, Biologen auf die negativen Folgen des künstlichen Lichts auf nachtaktive Tiere, aber auch den Menschen. Denn seit der Erfindung des künstlichen Lichts gegen Ende des 19. Jahrhunderts befinden wir uns in einem andauernden Dämmerzustand. Waren unsere Vorfahren noch einem deutlichen Helligkeitsunterschied von mehr als 100000 Lux am Tag gegenüber weniger als einem Lux bei Nacht ausgesetzt, so sind die Gegensätze für uns heute deutlich geringer: Die Lichtintensität in Büros liegt bei 500 Lux, nachts liegt sie dank künstlicher Beleuchtung im öffentlichen Raum bei circa 10 Lux. Dank flächendeckender künstlicher Beleuchtung haben wir die Nacht zum Tag gemacht, können rund um die Uhr arbeiten, konsumieren, mobil sein. Schlafen ist nur eine von vielen Optionen. Doch dies entspricht dem Rhythmus unserer inneren Uhr am ehesten. Sobald es dunkel wird, wird das Hormon Melatonin gebildet, das uns sanft zur Ruhe kommen lässt. Es sei denn, das künstliche Licht, das von der Straße in unser Schlafzimmer dringt, hindert uns daran, die Nachtruhe zu finden.
Künstliche Beleuchtung führt dazu, dass sich besonders über Städten regelrechte Lichtglocken bilden. Sieben Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland werden für Innen- und Außenbeleuchtung aufgewendet. Das entspricht zwei Millionen Tonnen CO2 oder der vierfachen Energieproduktion des Kernkraftwerks Brockdorf.
Licht gibt uns Sicherheit. Aber jeder der schon mal von einer zu hellen Ampel geblendet wurde oder eine Straßenlaterne vor dem Fenster hat oder von einem übereifrigen Bewegungsmelder geweckt wird, kennt auch die Nachteile. Zu viel Licht lässt die Dunkelheit erblassen. Besonders schlimm finden das die Astronomen, die vor lauter Licht die Himmelskörper nicht mehr sehen: „Die Zahl der sichtbaren Sterne ist in europäischen Großstädten mittlerweile von etwa 3000 auf rund 100 Sterne zurückgegangen“, schreibt Andreas Hänel, Chef der IDA in Deutschland und Direktor im Planetarium am Schölerberg in Osnabrück, in einer Publikation über den Zustand der Lichtverschmutzung in Deutschland. Um gute Sternen-Beobachtungsstandorte zu bewahren und auf das Phänomen der Lichtverschmutzung aufmerksam zu machen, hat die IDA in Deutschland bisher vier Sternenparks zertifiziert: Dark Sky Parks, also Gebiete ohne jegliches künstliches Licht, gibt es in der Schwäbischen Alb, der Rhön, im Westhavelland – und im Nationalpark Eifel. An der Einlassschranke steht eine Sternenwarte, von der aus man die Milchstraße auch mit bloßem Auge sehen kann. Eine Umfrage des Emnid-Instituts ergab übrigens, dass ein Drittel der Deutschen diese noch nie gesehen haben, bei den unter 30-Jährigen waren es sogar 40 Prozent der Befragten.
Natürlich ist Milchstraße-Sehen und Sterne-Gucken nicht überlebenswichtig, aber ein Kulturgut, das uns im Laufe von Jahrtausenden Errungenschaften, wie Orientierung auf See oder den Kalender gebracht hat. Heute sehen wir meist lieber auf flirrende Bildschirme in unterschiedlichsten Größen – als nach oben. Verloren geht damit auch das Gefühl für Dunkelheit. Und die ist beileibe nicht immer gleich. Eine Vollmondnacht in schneebedeckter Landschaft kann gleißend hell sein, eine bewölkte Nacht ist deutlich heller als eine unbewölkte, da das Streulicht der Großstädte von Wolken reflektiert wird.
Die Nacht hat Kreative, Gauner und Säufer von jeher zu Höchstleistungen inspiriert. Ihnen dient die Nacht als Schutzraum, Bühne und produktivste Phase. In seinem Liebeshandbuch Ars Amatoria gab der Dichter Ovid den Kerlen schon vor 2000 Jahren praktische Abschlepp-Tipps, die auch heute noch gelten. „Nachts sind Fehler versteckt, und kein Gebrechen erkennt man, diese Stunde verschönt jede, wie immer sie sei.“ Der dreimal verheiratete Ovid profitierte seinerzeit sicher von besonders dunklen Nächten.
Wie auch immer wir die Nacht nutzen – zum Schlafen allein ist sie nicht da. Ob lesend auf dem Sofa, Sterne zählend im Dark Sky Park, spielend oder liebend: Die Nacht lädt uns ein, zu tun, was uns gefällt. Sonne, du hast jetzt Pause – es ist so schön dunkel!