Erotischer Tanz in KölnDer Reiz der Burlesque

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Bei Burlesque geht es weniger ums Ausziehen - mehr um das Reizen.

Bei Burlesque geht es weniger ums Ausziehen - mehr um das Reizen.

Köln – Am Ende klebt der Glitter auf der nassen Haut, Schweißperlen kullern ins Mieder, und die Federboas sehen aus wie frisch gerupfte Hühner. In den langen Spiegel lachen neun rot lackierte Münder und die Gesichter strahlen. Erleichtert, zufrieden, stolz. Und auf jeden Fall „um eine Erfahrung reicher“, sagt Nicole, die heute ihre ersten Lektionen in erotischem Tanz erhielt – von Kölns prominentester Burlesque-Tänzerin, Kitty Gowild.

Kitty Gowild’s nächster Workshop findet am Sonntag, den 17. November in der Kölner Tanzschule „Salsa in the City“ in der Gladbacher Straße 29 statt. Von 12 Uhr bis 15 Uhr unterrichtet sie Level 1 für Anfängerinnen, der zweite Kurs von 15.30 Uhr bis 18.30 richtet sich an fortgeschrittene Tänzerinnen. Die Teilnahme je Kurs kostet 69 Euro. Der erste Workshop-Termin 2014 ist am 23. Februar.

Kitty Gowild bietet ihr Trainingsprogramm auch für Junggesellinnen-Abschiede (Hen-Partys) an. Anmeldungen und weitere Informationen über Kitty Gowild’s School fo Burlesque pinkpaprika2002@yahoo.de

Weitere Burlesque-Schulen, z.B. The Petit Fours

www.the-petit-fours.de

Es ist eine Tanzschule in der Gladbacher Straße/Innenstadt, die Kitty für ihren Workshop angemietet hat. Sonntagnachmittag, ein Tanzsaal ohne Fenster, in dem sich Kellermuff mit Haarspray mischt. Im Nebenraum machen sich die Schülerinnen parat. Im Nu tauschen sie Jeans, T-Shirt und Sneakers gegen Rüschen, Netzstrumpf und High Heels. Sie bemalen Lippen und Wangen glutrot, legen klimpernde Gürtel an und lange Perlenketten. Kitty zupft ihren Pony zurecht und öffnet die erste Flasche Sekt, „zum Auflockern so wichtig wie ein bisschen Stretching“, sagt sie und schwingt zum ersten Mal die Hüften an diesem Mittag. Schließlich sollen gleich Hüllen wie Hemmungen fallen, „und manche tun sich damit einfach etwas schwerer“, sagt Kitty, 39 , die seit fünf Jahren Profitänzerin ist und seit 2011 ihre Erfahrung in Workshops weitergibt.

Es geht um die Koketterie

Acht Frauen. Die unterschiedlichsten Typen. Von Mitte 20 bis knapp über 40. Hell, dunkel, klein, groß, dick, dünn, schüchtern, forsch. Vor ihnen liegen vier Stunden Eintauchen in eine andere Welt. In die Glitter genauso gehört wie die mit kehliger Stimme gesprochenen Anweisungen ihrer Lehrerin. Choreografie, Mimik, Gestik, kunstvolles Entblättern. „Splitterfasernackt wird auch am Ende keine sein“, beruhigt sie die paar ohne Erfahrung. Denn Burlesque-Tanz ist kein Striptease und kein Gogo. Es ist eine erotische Kunstform, bei der die Weiblichkeit gefeiert und das Selbstbewusstsein gestärkt wird. Und seit Dita von Teese sich lustvoll im Martiniglas räkelte, erlebt der Tanzstil von Hollywood bis Holweide eine Renaissance. „Es geht in erster Linie nicht ums Ausziehen, sondern um den Weg dahin, um einzelne Handlungen wie das Abstreifen des Handschuhs und die Koketterie“, fasst sie das Programm knapp zusammen.

Es sind die ersten Schritte, die Nicole Schwierigkeiten machen. Sie steht in der zweiten Reihe, Kitty hat sie trotzdem genau im Blick. „Mir entgeht hier keine“, sagt sie mit gemeinem Lächeln. Aus den Boxen raunt eine rauchige Jazzstimme, Nicole schaut verkrampft auf den Boden statt in den Spiegel. Es folgen Schritte, Drehungen, Hüftkreisen. „Stellt Euch vor, das Becken fährt Carrerabahn“, ermuntert Kitty.

Und plötzlich werden aus eckigen Bewegungen geschmeidige Kreise. „Damit kann ich was anfangen, ich bin heute morgen erst vom Nürburgring zurückgekommen“, sagt Nicole und lacht herzhaft. Zum Ausgleich zu ihrem Leben hinter der Wursttheke im Supermarkt fährt sie „Renngolf“. Heute nimmt sie zum ersten Mal am Workshop teil.

Alle anderen haben schon zwei, drei, viele Male mitgemacht, oder verfügen sogar über Bühnenerfahrung als Burlesque-Tänzerin. Sie sind vor Publikum aufgetreten, wissen, was es bedeutet, mit Dramaturgie Spannung zu erzeugen, mit Kostüm und Musik die Zuschauer mitzureißen, sich langsam mit Ironie und Geschichte zu entkleiden. Marla Do ist so eine, Lilleth Rockin-Flash auch. Es sind die Künstlernamen der Mädchen, mit ihrem echten Namen wollen sie nicht erscheinen. Das ist ihnen wichtig, nicht weil sie sich schämen, oder befürchten, am nächsten Tag von ihren Chefs und Kollegen komisch angeschaut zu werden. „Es braucht von früher einfach keiner zu wissen, was ich heute in meiner Freizeit so mache“, sagt Marla Do.

Früher, als sie noch gehänselt wurde

Früher heißt zu Schulzeiten, als sie noch in der Nähe vom Bodensee wohnte. Als sie gehänselt wurde. Weil die anderen sie immer zu dick fanden – und sie sich selbst dann auch irgendwann. Weil sie noch nie mit dem Strom schwamm, und schon immer eine große Leidenschaft für die Kostümierung hatte. „Ich machte einfach immer mein Ding und trug in der fünften Klasse schon Leopardenfell.“ Zu diesem Kapitel in ihrem Leben sagt sie abschließend: „Kinder können grausam sein.“ Heute ist Marla Do 26 Jahre alt, trägt immer noch keine Size Zero, aber findet ihren Körper „schön kurvig“. Sie wohnt in Köln, studiert, arbeitet in einer Werbeagentur, interessiert sich für Zombies und begeistert sich fürs Morbide. Bei jeder Bewegung ziehen Horrormonster Fratzen auf ihren tätowierten Oberarmen. Marla Do hat eine besonders freundliche und erfrischende Natur.

Von allen neun im Saal hat sie die üppigsten Hüften. Aber die Zeiten, zu denen sie darunter gelitten hat, sind vorbei. Heute sei sie stolz auf ihr Hinterteil – und der Burlesque-Tanz habe ihr geholfen. Ausgerechnet Burlesque? Ausziehen? Vor Publikum? Natürlich hatte sie am Anfang befürchtet, die Zuschauer fänden sie zu dick und würden sie auslachen, erinnert sie sich an ihre Premiere. „Tatsächlich waren sie begeistert und haben mir Komplimente gemacht.“ Die Bestätigung habe ihr geholfen, sich selbst anzunehmen und ihre Kurven lieben zu lernen. „Schließlich könnte man der hübscheste und süßeste Pfirsich sein, es wird immer Leute geben, die keine Pfirsiche mögen“, zitiert sie Dita von Teese, den Superstar der Szene. Dita, die sie eigentlich gar nicht so sehr verehrt wie die meisten ihrer Kolleginnen, „aber der Spruch ist gut“, sagt Marla. Sie orientiere sich lieber an anderen Stars, Miss Dirty Martini etwa, eine ziemlich feiste Tänzerin aus den USA. „Sie passt viel besser zu mir, ich mag lieber heftige Sachen.“

Im Mai 2012 hatte sie ihr Debüt auf der Bühne, und seit ihrem ersten Act beim „Varieté Nächstenliebe“ hat sich vieles geändert in ihrem Leben. „Ich kann plötzlich meine Weiblichkeit ausleben und habe gelernt, meine Vorteile zu zeigen und die Nachteile zu kaschieren. Das ist sehr schön. Und wann sonst im Leben kann ich schon einen Rock mit Beleuchtung tragen?“

Hüftspeck interessiert plötzlich nicht mehr

Warum sie ausgerechnet diese Form der Bestätigung sucht, und nicht zum Yoga, Ballett oder Profikochkurs geht, erklärt sie simpel: „Weil es Spaß macht. Weil es schön ist, das Publikum zu verführen.“ Ob im kühlen, dominanten Lackkostüm bei ihrer „Queen of Pain“-Nummer oder als lustiges Keks-Mädchen im glitzernden Lichterrock zum Elektroswing „Dixie Biscuit“. „Ich kann in Rollen schlüpfen, bleibe dabei aber immer ich selbst. Je nach Laune und Gefühlslage.“

Mittlerweile sitzt die Grundposition bei allen im Tanzsaal: Bauch rein, Po raus, Körperspannung von den Haarspitzen bis in die Fußsohlen. Sie üben kunstvolle Bewegungen mit den Händen, die fast so geschmeidig aussehen wie bei orientalischen Tänzerinnen. Vom Wimpernschlag bis zum anmutigen Abwinkeln des Knies tobt sich jede vor dem Spiegel aus. Hüftspeck, zu dicke Oberschenkel, zu wenig Busen, Orangenhaut irritieren keine mehr. Perlen klimpern, Boafedern fliegen. „Es dauert immer eine halbe Stunde, bis alle angekommen sind und ihre Hemmungen abgelegt haben“, erklärt Kitty. Sekt hilft also doch.

Kitty selbst hatte nie große Hemmungen sich ausziehen. „Wir sind doch alle nur Menschen“, lautet ihre natürliche Auffassung der Dinge. Obwohl sie in einer katholischen Mädchenschule erzogen wurde, einen muslimischen Vater hat, „setzte sich zum Glück die offene Erziehung meiner Mutter und Großmutter durch“. Bis zu ihrem 32. Geburtstag wusste sie aber nie so recht, was ihr gefällt und was sie begeistert. Als Kind wollte sie Schauspielerin werden, „tatsächlich folgte nach der Schule eine Ausbildung zur Arzthelferin“. Bis sie am Abend ihres Geburtstags in Berlin ihre erste Burlesque-Show gesehen und Feuer gefangen hatte. Darauf besuchte sie selbst Workshops, übte, improvisierte Rollen, schneiderte nächtelang am Kostüm.

Finger zum Mund

Heute gibt sie diese Lebensfreude anderen weiter. „Im Tanzsaal sollen alle negativen Aspekte draußen bleiben“, sagt sie, während sie ihren Schülerinnen zeigt, wie man aufmerksamkeitswirksam den langen Satinhandschuh abstreift. Genüsslich führt sie die Finger zum Mund, zieht mit den Zähnen, zwei laszive Drehungen später rieselt silberner Glitterstaub aus dem Handschuh. Bei Sandra sieht es etwas ungelenker aus, „was aber vollkommen egal ist“. Sie will weder auf die Bühne, noch Männer damit beeindrucken. „Ich besuche die Workshops ausschließlich für mich“, sagt die 32-Jährige. Sechs Tage in der Woche trägt sie Gummistiefel und sitzt auf dem Traktor. „Hier kann ich eine ganz andere Seite an mir entdecken“, sagt die Landwirtin und lässt die Perlen im Hüftgürtel klimpern. „Und darum geht es doch eigentlich“, ermuntert sie Kitty.

Tanzen baut Blockaden ab

Viele, die schon öfter bei Kittys Workshop waren, kommen genau aus dem Grund wieder: Am Ende wollen sie sich besser fühlen. Das Tanzen baut körperliche Blockaden ab, die Schülerinnen überwinden ihren inneren Schweinehund und sind nach den vier Stunden mächtig stolz. „Ich gehe hier raus und fühle mich plötzlich zwei Köpfe größer und toll“, schwärmt Jo-Anna von ihrem Ego-Programm am Sonntagmittag. „Ich mache das nur für mich, ganz sicher nicht für irgendeinen Mann.“ Auch Claudia weiß das bessere Körpergefühl zu schätzen: „Ich kann endlich mal die schöne Seite aus mir rauskehren“, sagt die 31-jährige Grafikdesignerin. „Genießt euren Körper“, haucht Kitty.

Sie wirbeln Tücher, gehen genussvoll in die Knie, schürzen die Lippen bis sie lackierten Herzen gleichen. Zum Höhepunkt der Veranstaltung gehört das Einstudieren der verschiedenen Stile. „Unerlässlich für alle, die auf die Bühne wollen“, sagt Kitty. Denn schließlich geht es – egal wie süß, ulkig, ironisch oder dominant der Act werden soll, um nichts anderes als mit dem Publikum zu flirten. Nacheinander üben sie Mimik und Gestik von Virgin, Diva und Vamp. Kittys Sätze wie „ein Lächeln kostet eine Million“, helfen beim Rollenstudium.

Manche der Schülerinnen sieht Kitty sowieso bei der nächsten Varieté-Show wieder – auf der Bühne wie Marlo Do etwa oder Lilleth Rockin-Flash. Ihr zittern heute noch die Knie, wenn sie an ihr Bühnen-Debüt im September zurückdenkt. „Aber es war toll. Ich fühlte mich danach völlig befreit. Und meine Wildwest-Nummer kam auch gut an“. Lilleth wedelte nämlich nicht mit dem obligatorischen Federfächer, sondern mit Geldscheinen und Revolver. Für eine Frau, die am Strand niemals oben ohne geht und auch die gemischte Sauna meidet, ist diese Art Tanz ziemlich mutig. „Aber ich sehe es als Kunstform. Ich könnte auch ein Gitarrenkonzert geben – Burlesque ist nur ein bisschen geheimnisvoller.“

Bis zum nächsten Auftritt wird Lilleth-Rockin Flash noch ein paar Workshops besuchen und arbeitet zu Hause am Feinschliff. Auch die anderen wollen im Wohnzimmer weiter üben. Zum letzten Mal an diesem Mittag raunt Kitty: „Carrerabahnfahren kann man auch zu Hause im Türrahmen ganz prima trainieren.“

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