Essay zum FleischkonsumWarum gibt es Schockbilder nur auf Zigarettenpackungen?

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  • Fleischessen ist – wie der Klimawandel auch – Teil einer kollektiven Verdrängungskultur geworden.
  • Die vielen negativen Seiten des Fleisches liegen versteckt, weit weg von den deutschen Tellern.
  • Unser Autor plädiert für Schockbilder auf allen Fleischprodukten aus Massentierhaltung.

Kein Tageslicht. Von der Decke hängt eine Eisenkette, ihre Enden sind offen. Das Metall verfängt sich im Ohr einer der hundert Zuchtsauen, bohrt sich ins rosa Fleisch. Das Tier schüttelt sich kurz, dann starrt es nur noch, Gott weiß wohin. Hinlegen geht nicht. Dann wäre das Ohr zumindest zur Hälfte ab. Befreien geht auch nicht. Dafür ist das Gehege zu voll, die Tiere zu gedrängt. In der Ecke stapeln sich fünf Ferkel regungslos aufeinander. Ein Berg schlaffer Muskeln, nur ein paar Rüssel ragen noch heraus. Eine leere Antibiotika-Packung liegt nicht weit entfernt.

Bilder aus einem deutschen Stall in Baden-Württemberg, heimlich gedreht von Aktivisten der Tierrechts-Organisation Peta, im Mai 2017.

Rechtskonform

Was beim Anschauen eine Mischung aus Ekel und Betroffenheit auslöst, ist kein Ausnahme-Zustand – sondern, laut den Behörden, ein rechtskonformer. Und somit mindestens der Standard in der deutschen Massentierhaltung. Und das wissen wir auch alle. Aber wir wollen es nicht sehen.

Ob Menschen Tiere, die Schmerz empfinden, so behandeln und letztlich töten dürfen, ist eine Frage, die in Deutschland selten gestellt, aber jeden Tag aufs Neue geklärt wird – zumindest, was die gesamtgesellschaftliche Meinung betrifft. Millionen Einkaufskörbe und Bratpfannen reichen, so pragmatisch das sein mag, als Antwort. Zu diesem Zeitpunkt sind die Peta-Bilder allerdings schon lang verschwunden. In Zerstückelungs- und Abpack-Vorgängen wurden sie kaschiert, durch Angebotsaufkleber und Preis-Etiketten vollends unsichtbar gemacht. Wer in Deutschland Tiere isst, muss sich dabei keine Tiere mehr vorstellen. Dabei müssen wir dringend lernen, wieder hinzusehen. Das kann man so ganz offen sagen, ohne es auch nur ein bisschen ideologisch zu meinen.

Vielleicht haben Sie es ja auch schon bemerkt: Dieser Planet stirbt. Das ist keine besonders kontroverse Meinung, nicht mal eine überspitzte. Es ist gar keine Meinung. Es ist eine Tatsache. Wer dieser Tage immer noch daran zweifelt, dass es den Klimawandel gibt, wer immer noch all die wissenschaftlichen Beweise ignorieren will, der sollte zumindest kurz aus dem Fenster schauen: Es ist Mitte Oktober und draußen sieht es, nach der desaströsen Dürre von Sommer, immer noch aus, als könnte man mit der Straßenbahn direkt zum Strand fahren.

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Dass die Temperaturen und die Meeresspiegel steigen liegt allerdings nicht nur, wie im öffentlichen Diskurs nahegelegt, an Kohleverstromung und mangelnden Umweltstandards für Pkws. Es liegt vor allem: An einem immensen Fleischkonsum, der in den vergangenen Jahrhunderten zu einer skandalös großen Normalität gemästet wurde, genährt vor allem durch Ignoranz. Die betrübenden Zahlen: Über die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen wird laut dem unabhängigen Worldwatch Institute durch Massentierhaltung verursacht. Fleischessen ist – das muss man sich erstmal in Zeiten der Endlos-Diskussionen über Dieselfahrverbote und den Hambacher Forst bewusst machen - schlimmer als Autofahren und 60er-Jahre-Kraftwerke. Und deswegen geht es hier auch gar nicht nur um Tierschutz oder Ethik. Das Problem ist viel existenzieller.

Es ist das Billigfleisch, was zu Tonnen jeden Tag in die Supermarktregale geliefert wird, das unsere Erde zerstört. Weil diese Tiere, um irgendwann gut – oder zumindest nach irgendwas – zu schmecken, vor ihrem Tod massenweise Ressourcen fressen müssen. Vornehmlich Soja und Mais. Vom weltweiten Ackerland werden über 70 Prozent dafür beansprucht, dieses Futter zu erzeugen. Wälder werden zerstört, Monokulturen entstehen, Arten verlieren ihren Lebensraum und sterben aus, Flugzeuge blasen giftige Gase in die Atmosphäre, wenn sie die Nahrung von Südamerika oder Asien nach Deutschland befördern. Dem fünftgrößten Schweinehalter der Welt übrigens. Nur damit die Tiere hier elendig gehalten werden, damit sie schnell wachsen können, um schnell wieder zu sterben, wird im Amazonas ein Stück Regenwald abgeholzt.

Die vielen negativen Seiten des Fleisches liegen versteckt

Tragisch, verhält es sich da hierzulande mit dem Fleischessen: Es ist – wie der Klimawandel auch – Teil einer kollektiven Verdrängungskultur geworden. Man sieht dem Discounter-Steak für vier Euro eben nicht an, wie viel CO2 dafür produziert wurde. Und: Man sieht auch nicht, wie sehr das Tier selbst dafür zusätzlich noch leiden musste. Die Ställe befinden sich außerhalb der Städte, gut abgeschirmt. Kaum jemand, der nicht in der Agrarbranche arbeitet, weiß wirklich, wie es dort zugeht. Die vielen negativen Seiten des Fleisches liegen versteckt, weit weg von den deutschen Tellern. Wir haben es mit viel Aufwand geschafft die Entstehung unseres Schnitzels vollständig aus der Wahrnehmung zu isolieren. Übrig bleibt nur ein rohes Stück von dem, was mal Tier war und irgendwann von einem Zwinger in eine Plastikverpackung gezwängt wurde. Nur so kann diese Industrie funktionieren, maximales Augenschließen vor dem, was wir natürlich alle als falsch empfinden. Aber es schmeckt halt.

Und mehr ist es ja auch gar nicht. Denn der Glaube, täglich Tiere zu essen, sei notwendig, ist nicht mehr als eine gesellschaftliche Altlast, aus einer Zeit, als Menschen noch hungern mussten und Fleisch ein Zeichen für Wohlstand war. Heutzutage hat sich dieser Wohlstandsbegriff umgekehrt: Der inflationäre Fleisch-Konsum ist ein Bürgeliche-Mitte-Mantra. Nur, wer es „sich leisten“ kann, isst Bio. Unter Intellektuellen ist gar ein Vegan-Chic entstanden.

Verdrängungskult

Bei den Armen hingegen herrscht große Sorge, nicht genug Fleisch zu bekommen, sollten die Standards für Tierhaltung und damit logischerweise auch die Preise erhöht werden. Was natürlich Unsinn ist: Stolze 1000 geschlachtete Tiere isst ein Bundesbürger durchschnittlich in seinem Leben, 60 Kilo Fleisch gar im Jahr - Vegetarier, Veganer und Säuglinge sind da mit eingerechnet. Gesund, das ist die vorherrschende Ärzte-Meinung, wäre etwa die Hälfte. Herz- und Krebsleiden, Übertragung von Viren und Giftstoffen, Gicht, Rheuma, Bluthochdruck, Fettleibigkeit – alles Folgen des Deutschen Fleischeslust. Es würde uns allen gut tun, weniger davon zu essen. Aber nun, über das eigene Körperrisiko darf, zum Glück, noch jeder selbst entscheiden. Aber warum schaffen wir es immer noch nicht aus Liebe zu unserer Umwelt auf die Spottbillig-Salami zu verzichten? Kann etwa eine ganze Gesellschaft kollektiv falsch handeln?

Ja. Aber sie ist nicht selbst Schuld daran. Die individuelle Verantwortung jedes einzelnen, unser Klima doch noch ein bisschen zu retten, ist mittlerweile zu groß gewachsen, als dass man so verrückt sein könnte, sie unter gut 83 Millionen Einzelpersonen aufzuteilen. Und das ist auch in Ordnung, denn dafür haben wir eine Regierung und ein Parlament, die nach dem Grundgesetz die Aufgabe haben, für die Gesundheit ihrer Bürger zu sorgen. Die Koalitionen der vergangenen Jahrzehnte allerdings haben es grandios geschafft, sich dem bundesweiten Verdrängungskult anzuschließen. Vielleicht waren sie sogar seine Anführer. Dabei wäre es doch so einfach.

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Natürlich hilft kein moralischer Zeigefinger. Ideen, wie die der Grünen, einen fleischfreien Tag in den Kantinen einzuführen, sind sinnvoll, rufen aber Empörung in einer Gesellschaft hervor, die in ihrem Geschmacksrausch so lang weggeschaut hat, bis sie sich jeder Erinnerung verweigern konnte. Eine Lösung aber kann erst funktionieren, wenn auch ein Problembewusstsein da ist.

Man muss also den Menschen jede Möglichkeit zur Gleichgültigkeit nehmen. Echtzeit-Aufklärung, ergänzend zu derer in den Schulen, mit geringer Halbwertszeit und großflächigem Effekt: Schockbilder auf allen Fleischprodukten aus Massentierhaltung. Klingt radikal, wäre aber förderlich – und dabei frei von Zwängen. Kaufen dürfte das Fleisch ja jeder immer noch. Der Appetit aber vergeht schnell bei Drahtkäfigen, blutigen Tieren und vergasten Kücken auf der Verpackung.

Denn, da kommen ethische und ökologische Ebene zusammen: Wir würden unser eigenes Essverhalten nicht mehr ertragen. So schädlich es für die Erde ist, so grausam es den Tieren gegenüber ist, so schlecht würde es auch unserem Gewissen gehen, würden wir täglich mit den Zuständen in den Ställen und Schlachthöfen konfrontiert.

Nun werden Kritiker einwerfen, es gebe doch auch noch beachtlich viele Raucher, dafür, dass seit über zwei Jahren EU-weit Schockbilder auf Zigarettenpackungen gedruckt werden. Zum einen haben sich die Raucher-Zahlen seit Einführung der Schockbilder übrigens sehr wohl vermindert, vor allem weil sie zusammen mit Rauchverboten das Image der Kippe gewandelt haben. Zum anderen ist es natürlich etwas anderes, ob man bildlich vorgeführt bekommt, was in ferner Zukunft mit dem eigenen Körper – für den man immer noch die alleinige Verantwortung trägt – passieren kann oder was für eine Grausamkeit einem Tier schon angetan worden ist, gesponsert durch das eigene Geld.

„Petaisierung“ der Masse

Ein neues Bewusstsein für den eigenen Konsum würde durch diesen Schritt entstehen, eine kleine „Petaisierung“ der breiten Masse. Die meisten würden beim Einkauf zu Produkten aus Freilandhaltung greifen, allein des Ekels wegen. Der wäre ja absolut zurecht auch da. Gleichzeitig könnte man Fleisch aus Massentierhaltung aus der Liste der Grundnahrungsmittel streichen, es mit 19 statt sieben Prozent besteuern. Bio-Fleisch würde bei dem alten Satz bleiben. Es wäre ein bedeutender Schritt in die Mäßigung – nicht in den Verzicht.

Denn man mag radikale Veganer für ideologische Spinner halten, radikale Fleischverteidiger sind es aber genauso. Wer nun wirklich noch „Entmündigung“ schreien will, dem sei gesagt: Es gibt keine Legitimation für den Konsum von Billigfleisch – außer vielleicht die des Geschmacks. Bio-Fleisch kostet laut des Interessenvereins „Foodwatch“ oft doppelt so viel wie konventionelle Fleischprodukte. Würden wir alle also unseren Fleischkonsum halbieren, so wie die Medizin es empfiehlt, selbst die Ärmsten könnten sich noch ausreichend leisten. Erst recht, wenn die Politik weiter mitziehen würde – und die mehr als eine Milliarde Euro hohen Subventionen gekürzt würden, die in die Massentierhaltung fließen.

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Nur warum tut sie das nicht? Weil es doch in Deutschland auch eine große Lobby von Landwirten gibt, die vollständig nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft spielen müssen. Wo große Nachfrage, da noch mehr Angebot. Es gilt: Je mehr Fleisch zu immer geringeren Produktionskosten, desto mehr Umsatz.

Ab Beginn des kommenden Jahres hätte ein erster gewinnhemmender Faktor diese Formel durchbrechen können: Die Kastration von Ferkeln ohne Betäubung soll durch einen EU-Beschluss verboten werden. Die Narkosemittel und damit die Schmerzfreiheit der Tiere hätten Landwirte ein paar Cent pro Ferkel gekostet. Was natürlich schnell viel Geld wird, wenn man Tiere nicht allzu alt werden lässt, um sie schnell töten und verkaufen zu können. Die Preise hätten zwangsläufig steigen müssen, um die Margen stabil zu halten. Vielleicht wäre dann sogar letzterdings weniger Billigfleisch verkauft worden. Die Bundesregierung aber verlängerte die Übergangsfrist erneut um zwei Jahre. Die Ferkel müssen weiter leiden.

Es ist ein politisches Statement in zweierlei Hinsicht: Ein anderer, weniger unerträglicher Umgang mit Nutztieren scheint in diesem Land, in unserer Gesellschaft nicht gewünscht. Und die Klimaziele müssen woanders erreicht werden. Mal wieder. Zum Glück, möchte man da fast meinen, gibt es kein krudes Kollektiv-Bedürfnis nach Kohleverstromung.

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