Meditation im AlltagIm Tanz entspannen lernen

Andrea Honrath schwört auf den Meditativen Tanz.
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Ich würde ja gerne lange Röcke tragen, die beim Tanzen mitschwingen“, erzählt Andrea Honrath lachend, während sie eine gelbe Kerze in Engelform anzündet. „Aber dann würden die Leute ja meine Füße nicht sehen.“ Also trägt die Tanzleiterin an diesem Abend im Gemeindesaal der evangelischen Gemeinde Forsbach ein weitschwingendes Oberteil und eine weichfließende Hose. Ein Kompromiss eben, der ihre leichten, fließenden Tanzbewegungen optisch unterstützt, der aber auch den Blick auf ihre Füße frei lässt. Denn auf die kommt es an beim meditativen Tanzen. „Das ist nämlich ein Beten mit den Füßen“, erklärt Andrea Honrath.
Seit drei Jahren unterrichtet die gelernte Sozialpädagogin verschiedene Gruppen in Köln und Umgebung in dieser sakralen Form des Tanzens. Sie selbst habe diese Form des Meditierens, des sich im Moment Fallenlassens, eher zufällig vor 22 Jahren in einer Bildungseinrichtung in Kassel für sich entdeckt. Ursprünglich habe sie dort versucht, im Sitzen und Schweigen zur Ruhe zu kommen. „Das hat mich aber fast wahnsinnig gemacht“, erinnert sich die lebensfrohe 57-Jährige. Also probierte sie ein weiteres Angebot aus, das meditative Tanzen – auch wenn sie anfangs dachte, dass das ja „ein Widerspruch in sich“ sein müsse. Tanzen und gleichzeitig Ruhe finden, das war für sie nur schwer vorstellbar. Schnell aber merkte sie: „Das ist mein Ding!“„Wie bei keiner anderen Meditationsform werde ich beim Tanzen sofort ins Hier und Jetzt versetzt“, erklärt sie. Schließlich müsse man eine vorgegebene Schrittfolge einhalten. „Ich würde sofort einen Fehler machen, wenn die Gedanken abdriften und ich mich nicht mehr auf den Augenblick konzentriere.“ So erlaube der meditative Tanz auf spiritueller Ebene ganz unmittelbar eine „Begegnung mit sich selbst und mit anderen in der Gruppe“.
Lange in Vergessenheit
Begeistert ließ sich Andrea Honrath zur Tanzleiterin weiterbilden, unter anderem bei Gabriele Wosien, der Tochter des Choreographen Bernhard Wosien, der in den 1970er Jahren das viele hundert Jahre in Vergessenheit geratene sakrale Tanzen neu begründete. Wosien hatte in den 70ern das Gebet in Schweigen kennengelernt und wollte diese Erfahrung mit dem Tanzen verbinden. Seine Idee: Die „Meditation des Tanzes“ sollte gleichsam ein Schreiten in die Stille und bewegender Einstieg in die Meditation sein.
Die Choreographien der Tänze, die er dafür entwarf, sind meist klar und einfach. Immer wiederkehrend in vielen Tänzen sind etwa der sogenannte Pilgerschritt (drei Schritte vor, ein wiegender Schritt zurück) oder auch der aus der jüdischen Tradition stammende „Mayim“-Schritt (Hebräisch: Mayim = Wasser), bei dem sich die Tanzenden mit wechselnden nach vorne und hinten überkreuzenden Schritten seitlich bewegen. „Dieser Schritt sieht getanzt aus wie die Bewegung einer Welle“, erklärt Andrea Honrath.
Aber nicht nur die Schritte und Wege des Tanzes durch den Raum, auch die unterschiedlichen Gebärden sollen eine Botschaft transportieren und so zu dem besonderen Meditationserleben beitragen. Ganz zentral beim Meditativen Tanz ist zudem „die Mitte“ – sowohl räumlich als auch spirituell. Das Tanzen soll den Tanzenden helfen, die innere Mitte zu finden. Mit viel Kreativität gestaltet Andrea Honrath so auch für jeden ihrer Kurse eine Mitte – je nach Thema des Abends oder nach Jahreszeit immer ganz unterschiedlich. Passend zum Sonnengesang des Franziskus hat sie an diesem Abend in Forsbach neben der Engelskerze, die sie immer mitbringt, eine Sonnenblume und goldene Sternen-, Sonnen- und Mond-Streuteile in der Mitte des Raumes liebevoll arrangiert. „Das ist für mich wie Schmuck, den ich auf den Esstisch stelle, wenn ich Gäste habe“, erklärt sie. Die gestaltete Mitte sei für die Gruppe ein Ausrichtungspunkt und ganz praktisch auch eine Orientierungspunkt, „damit der Kreis, den die Tanzenden bilden, nicht eiert.“
Mitte gibt Orientierung
Tatsächlich hilft die gestaltete Mitte bei der Orientierung, etwa wenn die Forsbacher Gruppe beim Sonnentanz von der Mitte des Raumes auf imaginären Sonnenstrahlen nach außen tanzt. Sie hilft auch die Zacken des von den Tänzerinnen und Tänzern gebildeten Sternes gleichmäßig erscheinen zu lassen und sie gibt scheinbar der Mondsichel Halt, zu der sich die Männer und Frauen zu beruhigenden Harfenklängen formieren und die sie durch wiederkehrende kleine Schrittfolgen ganz langsam durch den Raum bewegen lassen. Für den Moment scheint es, als ob nicht mehr jeder einzeln für sich tanzt, vielmehr hat sich die Gruppe auf den Weg gemacht. „Man malt die einzelnen Bilder durch die Tanzbewegungen förmlich auf den Boden“, erklärt Tanzleiterin Andrea Honrath. „Wenn man weiß, was die Schritte besagen, dann kann man sie auch leichter nachmachen“, sagt Erika Juckel. Die Pfarrerin der evangelischen Gemeinde in Forsbach nimmt selbst regelmäßig an den Tanzabenden teil – nicht weil sie muss, sondern weil es ihr gut tut. „Das meditative Tanzen ist ganzheitlich und geht ganz ins Innere. Es kann etwas ganz anderes berühren als das, was ich sonntags in einer Predigt mit Worten erreiche“, erzählt sie – und es klingt fast ein wenig neidvoll. Die Kraft der Musik, die Harmonie der Bewegungsabläufe, die klaren Strukturen der Tanzanweisungen und die Einbettung in die Tanzgemeinschaft haben auf sie wie auf die meisten anderen der Kursteilnehmer eine wohltuende Wirkung und ermöglichen ein besonderes spirituelles Erlebnis. Trotzdem betont Kursleiterin Honrath, dass man für den meditativen Tanz nicht zwingend auch religiös verwurzelt sein müsse. „Es braucht allerdings eine spirituelle Offenheit und den Wunsch nach einer Öffnung“, erklärt sie. Wer keine Öffnung suche, für den blieben die Tänze „nur ein Schritte machen“ – und dem bliebe vermutlich auch ein ganz besonders Gruppenerlebnis verborgen. „Wenn man die Schrittfolgen schon gut kann und beim Tanzen die Augen schließt, dann merkt man, wie die Gruppe einen durch den Raum trägt“, schwärmt sie. www.meditatives-tanzen.eu