Starkoch Yotam OttolenghiGrünkohl wird sexy

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Herr Ottolenghi, wenn heute über Essen gesprochen wird, scheinen die Trends und Themen so vielfältig wie nie: von extremem Regionalismus über vegetarisch oder vegan bis zu hochqualitativem Fleisch. Wenn man dann ihre Rezepte anschaut, kehrt eine Art kulinarische Entspannung zurück. Sind Sie die Ikone eines neuen populären Kochens?
Yotam Ottolenghi: Diese Frage macht mich glücklich! Endlich komme ich aus der Defensive. Ich musste meine Rezepte schon so oft verteidigen: Zu viele Zutaten, zu lange Zubereitungszeiten… Also: Ich nehme diesen Status ausgesprochen gerne an, für eine entspannte Küche zu stehen. Aber im Ernst: Ich mag den Begriff kulinarische Entspannung. So habe ich mich eigentlich immer individuellen Gerichten und Zubereitungen angenähert. Es war nie mein Ding, eine Gruppe mit besonderen Vorlieben auszugrenzen oder nur ganz bestimmte Produkte zu essen. Auch wenn es sich wie ein Klischee anhört, für mich gilt: Alles in Maßen.
Yotam Ottolenghi wurde 1968 in Jerusalem als Sohn einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters geboren. Nach seinem Studium der Philosophie und Literatur an der Universität von Tel Aviv absolvierte er 1997 eine Kochausbildung im Londoner Le Cordon Bleu, mittlerweile betreibt er in London ein Restaurant und mehrere Delis, die zu den Kultadressen der britischen Hauptstadt zählen. Er lebt mit seinem Partner und dem gemeinsamen Sohn in London.
Ihr Stil kann für eine zeitgemäße Ernährungsphilosophie stehen: Viel Gemüse, wenig oder kein Fleisch, Salat, Olivenöl… Haben Sie so etwas wie eine Koch-Moral?
Ottolenghi: Ich fürchte, ich lasse mich ausschließlich davon leiten, was ich persönlich kochen und essen will. Bei allen moralischen, ethischen und gesundheitlichen Betrachtungen in der Ernährung geht es irgendwie um Leistung. Bei mir geht es dagegen eher um die Verbindung von gesundem Menschenverstand und dem, was ich lecker finde.
Nervt Sie der Versuch, in eine Kategorie eingeordnet zu werden? Etwa, wenn man Ihre Einstellung zu Fleisch genau wissen will und damit ja auch ein Statement fordert?
Ottolenghi: Ich esse Fleisch und habe großes Vergnügen daran. Was mich aber wirklich inspiriert, was ich aufregend finde – das sind die Dinge, die ich noch nicht wirklich entdeckt habe. Und diese Produkte liegen meist jenseits von Fleisch. Es gibt zum Beispiel Getreidearten, mit denen ich noch kaum gearbeitet habe. Damit möchte ich experimentieren. Michael Pollan (amerikanischer Universitätsprofessor und Autor zahlreicher Food-Essays, Anm. d. Red.) sagt: „Essen Sie. Nicht zu viel. Und vorwiegend Gemüse.“ Das ist eine sehr kurze und sehr kluge Antwort auf eine sehr große und sehr komplizierte Frage.
Sie haben Literatur und Philosophie studiert, Sie hatten eine vielversprechende Journalisten-Laufbahn vor sich als Sie Mitte zwanzig waren – alles sehr akademisch und ernst. Warum zogen Sie schließlich das Kochen vor? Provokation, Selbstfindung, Identitätswechsel?
Ottolenghi: Wahrscheinlich etwas von allem. Aber die Entscheidung wurde von mir damals nicht so bewusst getroffen, wie es aus heutiger Sicht erscheint. Ich schrieb mich für die Koch-Ausbildung ein, weil ich davon irgendwie angefixt war. Das war kein großer Plan, da steckt keine aufregende Geschichte dahinter. Wahrscheinlich dachte ich sogar, ich würde das aus meinem System wieder rausbekommen und dann zurück Richtung Bibliothek gehen. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich seitdem keine Zeit, zurückzublicken und darüber nachzudenken.
Sie sind am legendären Institut Le Cordon Bleu ausgebildet worden, das heißt: klassisch-französische Küche. Ihre Rezepte sind mediterran-arabisch basiert. Können Sie heute noch etwas mit der klassischen Cuisine anfangen?
Ottolenghi: Ich sage mal so: Diese Ausbildung war sehr nützlich, besonders um die Techniken der Pâtisserie zu lernen. Aber meine erste und hauptsächliche kulinarische Bildung und auch der meiste Einfluss kamen von meinen Eltern, vom Kochen und Essen in Jerusalem, wo ich aufgewachsen bin. Das ist sozusagen das eine Bein, auf dem ich stehe. Das andere ist mein Partner Sami, oder besser gesagt alle Köche, die in meinem Restaurant und den Delis in London arbeiten. Sie inspirieren und beeinflussen mich jetzt. Sie bringen mir neue Zutaten. Sie bringen mir neue Zubereitungsarten. Es ist also immer nützlich, die Regeln zu lernen – so wie das eben damals war. Aber französische Küche wäre nie mein Weg gewesen.
Im Zentrum Ihrer Gerichte stehen oft scheinbar banale Gemüse wie Lauch oder Blumenkohl – in Deutschland vielleicht das Gemüse mit dem langweiligsten Image überhaupt. Es geht Ihnen doch wohl ganz ernsthaft um die Demokratisierung des Gemüses.
Ottolenghi: Genau! Sie kennen vielleicht den Speakers’ Corner im Hyde Park. Ein Platz wo jedermann ohne das vorher anzumelden eine Rede halten kann – egal über was, egal wie lange. Vielleicht sollte ich dort auftreten und natürlich würde ich nur für eines kämpfen: die Demokratisierung der Gemüsesorten. Es ist Zeit für sexy Grünkohl, süße Tomaten und sprießenden violetten Broccoli! Es ist Zeit für Weiße Rüben, für Steckrüben, für Knollensellerie, Porree und Blumenkohl!
Aber ganz ernsthaft: Einige der Lieblings-Rezepte in meinem neuen Buch setzen sich regelrecht für Sorten ein, die oft als trivial oder kulinarisch unattraktiv angesehen werden. Dabei wissen wir doch alle: Stille Wasser sind tief. Ich glaube, dass es genau diese stillen Gemüse sind, deren Zeit jetzt kommt.
Was erwartet die Leser in „Vegetarische Köstlichkeiten“?
Ottolenghi: Erwarten Sie Pracht und Herrlichkeit und alle guten Dinge! Ich liebe einfach alle Rezepte darin. Die, die bekannte Zutaten neu kombinieren und damit auch neu beleuchten, wie etwa das Zucchini-Babaganoush. Aufregend! Die, die weniger übliche Produkte ins Rampenlicht stellen, zum Beispiel Auberginen mit schwarzem Knoblauch und Joghurt-Sauce. Und dann gibt es noch die echten Überraschungen: Berberitzen im Auberginen-Kuku – um nur eine zu nennen. Schließlich die Tröstlichen, wie das Wurzelgemüse-Püree mit geschmorten Schalotten… Ich könnte noch Stunden darüber reden. Ich bin echt in dieser stolzen Frischgebackener-Vater-Stimmung: Schaut Euch alle unsere Baby-Fotos an! Aber ich höre jetzt auf damit.
Sie haben deutsche Wurzeln. Gibt es eine Verbindung zu Deutschland – kulturell, kulinarisch?
Ottolenghi: Ich bin nicht mit der deutschen Sprache aufgewachsen, aber natürlich interessiert mich jede kulinarische Tradition. Letztens habe ich versucht, das Hoppel Poppel meiner Mutter neu zu erschaffen – ursprünglich ein typisches Reste-Essen. Aber ich ließ alle geografischen Grenzen fahren und hatte schließlich Paneer-Stücke, Kurkuma, Kümmelsaat, Chili-Streifen, frische Kräuter und alle möglichen andere Sachen zusammengemixt. Aus Angst, Hoppel-Poppel-Anhänger weltweit gegen mich aufzubringen, habe ich das Gericht umbenannt.
Wenn man mit Deutschen spricht, die Ihre Bücher mögen, kommt oft die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Ihrem palästinensischen Partner Sami Tamimi auf. Irgendwie taucht immer Politik auf. Ist das für Sie eine Last oder normal?
Ottolenghi: Unsere Zusammenarbeit ist total normal. Sami und ich sind beide schon sehr viele Jahre in London und unsere Leben verlaufen völlig anders, als wenn wir immer noch im Nahen Osten wären. Als wir unser letztes Buch „Jerusalem“ schrieben, hatten wir aber auch alle möglichen interessanten Gespräche zu diesem Punkt. Die Frage kam auf, ob Essen eine wenn auch nur winzige Rolle dabei spielen kann, Menschen zusammenzubringen, die sich sonst nicht mal in die Augen sehen können. Wir kamen zu dem Schluss, dass die Situation im Nahen Osten bestimmt nicht mit Granatapfelkernen und Hummus gelöst wird. Aber an einem Tisch zusammenzusitzen und gemeinsam zu essen ist wahrscheinlich nicht die schlechteste Idee.
Ihr kleiner Sohn Max wächst mit einem Profi-Koch als Vater auf. Ist er auch ein Foodie?
Ottolenghi: Wenn Sie damit eine absolut gefräßige Person mit wahlloser Ess-Lust meinen – dann ja: Er ist ein eingeschriebenes Mitglied im Club.
Das Gespräch führte Maria Dohmen
Yotam Ottolenghi: „Vegetarische Köstlichkeiten“, Dorling-Kindersley-Verlag München, 26,95 Euro