Christoph Kuckelkorn/Peter Brings„Früher war die Straße unser Leben“

Gesprächstermin in der Friesenstraße: Peter Brings (l.) und Christoph Kuckelkorn haben sich gegenseitig eingeladen.
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Herr Brings, Herr Kuckelkorn, herzlichen Glückwunsch zum 100. Geburtstag. Bleibt nur die Frage, wer wird 70 und wer wird 30?
Peter Brings: Das knobeln wir gleich noch aus.
Christoph Kuckelkorn: Das Älterwerden ist heute nicht mehr so sichtbar. Früher galt man mit 50 und drüber als alt. Heute sind wir super aktiv. Da fühlt man sich durchaus wie 30, allerdings mit mehr Erfahrungen.
Brings: Selbst merkt man das doch nur, wenn man in den Spiegel guckt. Deshalb mache ich das nur noch einmal am Tag: beim Rasieren. Die Generation unserer Eltern und Großeltern ist anders alt geworden. Zum Teil zwei Weltkriege erlebt, waren die irgendwie traumatisiert und sind auch in der Seele gealtert. Wenn wir Glück hatten, hieß es 50 Jahre lang: Poppe, Kaate, Danze. Wir haben unser Leben leben können. Was hat mich früher interessiert, was meine Eltern sagten? Ich hab nur mal zugehört, wenn die den Proberaum abgeschlossen oder mir die Gitarre weggenommen haben. Ansonsten habe ich mein Ding gemacht.
Kuckelkorn: Ich komme ja aus einer gutbürgerlichen Familie. Aber mit Jeans, Parka und langen Haaren konnten wir uns früher von den Eltern abgrenzen. Das geht heute nicht mehr. Sich äußerlich abzuheben, ist schwierig. Kinder und Jugendliche leben zudem heute vielfach in virtuellen Welten, früher war die Straße unser Leben.
Und wo war das?
Brings: Ich bin zwischen Ehrenfeld und Bickendorf groß geworden, dann in Nippes. Da besuchte ich mit meinem Bruder Stephan die Grundschule in der Bülowstraße, weil mein Vater an der benachbarten Hauptschule als Lehrer unterrichtete. So hatte der uns im Auge. Schule war für mich ein schlimmes Kapitel.
Kuckelkorn: Für mich gar nicht. Eingeschult wurde ich an der Friesenstraße. Da war das noch so richtiges Rotlicht-Milieu. Dann sind wir nach Ehrenfeld umgezogen. An der Realschule waren in meinem Jahrgang einige Karnevalskollegen: Ex-Prinz Frank Steffens, die Präsidenten Markus Wallpott (Bürgergarde) und Klaus Salzsieder (Lyskircher Junge) sowie Ute Geller, die Sängerin von Colör.
Sind Sie beide sich in Ehrenfeld damals schon über den Weg gelaufen?
Brings: Bewusst nicht. Erst vor einigen Tagen mal, als er seine Mutter besuchte. Die wohnt bei mir gleich um die Ecke.
Kuckelkorn: Früher war man viel mehr in seinem engen Veedel verhaftet. Jeder Straßenzug hat zusammengehalten. Nach Stationen in Dünnwald und Stammheim wohne ich wieder in der Friesenstraße. Als ich dort das erste Mal übernachtete, wurde ich am Sonntagmorgen durch die Glocken von St. Gereon geweckt. Der Klang war mir noch aus der Grundschulzeit vertraut. Damals ging es dann in die Kirche – natürlich in speziellen, feinen Sonntagssachen.
Brings: So etwas hatte ich nicht. Ich kam ja aus einer 68er-Familie, hatte so Hippies als Eltern. Nur meine Oma legte Wert auf Äußerlichkeiten. „Sprich ödentlich“ hieß es immer. Das hab ich in unserem Song vom „Kölsche Jung“ verarbeitet. Nur zur Kommunion gab es einen Anzug, aus hellgrauem Cord, weil man die Hose ja auch hinterher noch anziehen könnte. Ich bin nur zur Kommunion gegangen, weil ich die Uhr haben wollte, die damals Standardgeschenk war. Ansonsten durfte ich immer anziehen, was ich wollte.
Kuckelkorn: Ich nicht. Ich wurde zumeist in pflegeleichte Sachen gesteckt – und im Sommer in eine Lederhose. Da ich Telefondienste und ähnliches für unser Bestattungshaus übernehmen musste, war ich oft recht förmlich gekleidet. So habe ich mein erstes Taschengeld verdient – Leichenwagen waschen, auf Melaten Teppiche fegen und Kerzenhalter in die Trauerhalle rein- und raustragen.
Brings: Mein erstes selbst verdientes Geld gab es erst in der Zivildienstzeit. Über den Arbeiter-Samariter-Bund habe ich alte und kranke Menschen betreut.
Kuckelkorn: Ich habe keinen Zivildienst gemacht und war auch nicht bei der Bundeswehr. Da war ich vorzeitig ausgemustert worden wegen einiger Allergien.
Uniformen tragen Sie trotzdem.
Kuckelkorn: Die von den Blauen Funken. Bei dem Traditionskorps ist mein Vater schon als Jugendlicher eingetreten. So war der Karneval bei uns zu Hause stets präsent. 1972 kam ich in die Kindergruppe und ins Kindertanzpaar.
Gerade die Blauen Funken waren zu der Zeit weit weg von der Persiflage.
Kuckelkorn: Das war sehr militärisch. Ich bin dann auch jahrelang ausgestiegen und habe mir als „Sohn“ nur die Rosinen rausgepickt: das Fest in Blau, weil es da so schön chaotisch war, und natürlich immer der Rosenmontagszug.
Brings: Ich war höchstens Cowboy oder Indianer – ab Weiberfastnacht. Mit dem traditionellen Karneval hatten wir nichts zu tun. In den 70er und 80er Jahren waren die Sitzungen oft nicht zu ertragen – frauenfeindlich mit dem Mief der 50er Jahre. Meine erste Karnevalssitzung habe ich auf der Bühne erlebt – im Gürzenich. Wir waren als Geschenk für einen Präsidenten gebucht. Doch der drehte sich weg: „Nä, dat is nit mieh minge Fastelovend“. Anfangs fanden das nicht alle klasse, was wir machten. In den ersten Jahren habe ich oft im Bus gesessen, geheult und gedacht: „Die verstehen mich nicht.“ Der damalige Festkomitee-Präsident Hans-Horst Engels hat sogar jedes mal den Saal verlassen, wenn wir gekommen sind.
Kuckelkorn: Das ist mega-unprofessionell. Aber das Gefühl des Nicht-Verstandenseins kenne ich. Meine Ideen stehen oft in der öffentlichen Kritik: mal das Motto, mal einzelne Wagen. Dazu kommt ordnerweise Post. Darunter habe ich in den ersten Jahren als Zugleiter gelitten. Inzwischen macht es Spaß, zu inszenieren und gestalten.
Der Karneval hat sich verändert, eine neue Generation ist an der Macht.
Kuckelkorn: Der Karneval ist ein Spiegelbild der Gesellschaft und muss daher alle Trends mitnehmen, um eine Zukunft zu haben. Zusammen feiern, zusammen singen ist ein wichtiges Element.
Brings: Als Markus Ritterbach Festkomitee-Chef wurde, ging es für uns als Band richtig los. Auf einmal waren wir salonfähig. Auch Hans-Günter Hunold von den Roten Funken hat uns immer gefördert. Und Bewegungen wie „Loss mer singe“ sind total wichtig. Man erreicht ein anderes Klientel und es wird verstärkt auf Texte geachtet. Heute werden wir vom Publikum durch die Session getragen. Rückblickend wollte ich nicht alles nochmals machen. Aber so, wie es jetzt ist, ist es schön.
Kuckelkorn: Trotz allen Revoluzzertums haben wir die gleichen Ideale. Ich bin Brings-Fan, und wir verstehen uns. Daher haben wir uns gegenseitig eingeladen: Peter kommt am Sonntag zu meinem Fest und ich feiere anschließend mit ihm in den Geburtstag hinein.
Das Gespräch führten Norbert Ramme und Stefan Worring