„Weiterhin im Lockdown“Millionen Risikopatienten können sich nicht vor Covid schützen

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Intensivstation Symbolb

Mediziner helfen einem Corona-Patienten auf einer Intensivstation. (Symbolbild)

Herr Cornely, wieso können sich einige Menschen vor Covid-19 schützen und andere nicht?

Prof. Oliver Cornely: Eine Impfung gaukelt dem Immunsystem eine Infektion vor, die nicht stattfindet. Wenn das Immunsystem gesund ist, reagiert es und bildet Antikörper und T-Zellen aus. Die führen dazu, dass der Erreger – wenn wir ihm begegnen – sofort bekämpft wird und verhindern in aller Regel, dass wir erkranken. Wenn das Immunsystem nicht funktioniert, greift auch dieser Mechanismus nicht. Dazwischen gibt es auch viele Fälle von Immunschwäche, die eine Impfstoff-Wirkung teilweise verhindern.

Was kann man dagegen tun?

Nicht so sehr viel. Man kann Antikörper messen und so sehen, ob Patienten auf die Impfung ansprechen. Auch, wenn Antikörper nur die halbe Immunreaktion abbilden: Sind sie überhaupt nicht nachweisbar, besteht auch kein verlässlicher Schutz. Bei einigen Gruppen – Menschen mit Lymphdrüsenkrebs etwa – werden Antikörpertests nach der Impfung sogar empfohlen, um zu kontrollieren, ob sie überhaupt etwas bewirkt hat. Wenn ein wenig Schutz da ist, ist es ratsam, schnell die zweite und eventuell eine dritte Dosis zu spritzen, um eine Immunität aufzubauen. Bei anderen Betroffenen – sehr alten Menschen zum Beispiel – hilft eine dritte Impfung nachweislich.

Sind alle Krebspatienten dem Risiko ausgesetzt, dass Impfungen nicht wirken?

Nein. Es gibt auch viele, die eine Krebserkrankung überstanden haben und relativ zuverlässig auf Impfungen reagieren. Das gilt oft bei Darm- und Lungenkrebs.

Wie viele Menschen sind es denn, die sich nicht schützen können?

Eine genaue Zahl haben wir nicht, klar ist aber: In Deutschland ist sie siebenstellig. Wir sprechen hier von mehreren Millionen Menschen. Die wissen in aller Regel durch ärztliche Beratung um den fehlenden Schutz. Beim Großteil derjenigen, die sich schützen können, ist dieses Thema aber kaum präsent: Mit einer hohen Infektionslast gefährden wir auch viele Menschen, die besonders anfällig für Infektionen sind und sich nicht mit einer Impfung schützen können.

Wie gehen die Patienten, mit denen Sie arbeiten, mit diesem Risiko um?

Für sie hat sich seit März 2020 nicht viel verändert. Das Risiko ist weiterhin da. Von den Betroffenen, die ich kenne, geht niemand einkaufen, wenn es nicht zwingend nötig ist. Im Prinzip sind diese Menschen weiterhin im Lockdown. Restaurants oder Kultureinrichtungen stehen da überhaupt nicht zur Debatte. Ich kann ihnen auch guten Gewissens nicht empfehlen, noch nicht geimpfte junge Enkelkinder einzuladen oder in den Urlaub zu fahren. Das ist eine massive Einschränkung der Lebensqualität.

Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für alle anderen?

Die Pandemie wird von zwei Gruppen unterhalten. Zum Großteil von ungeimpften Menschen, die sich infizieren und zwei Wochen lang das Virus verteilen. Zum kleineren Teil von Geimpften, die sich anstecken und dann sehr kurz infektiös sind, nicht länger als zwei Tage. Wären alle Menschen geimpft – also alle, die sich bislang gegen eine Impfung entschieden haben und auch Kleinkinder, die noch keine Impfung erhalten dürfen –, dann würde sich dieses Virus spätestens innerhalb von acht Wochen totlaufen.

Zur Person

Prof. Oliver Cornely ist Infektiologe an der Kölner Uniklinik. Er leitet und plant verschiedene europaweite Studien zum Schutz von Menschen mit schwachem Immunsystem.

Weil ein Geimpfter im Durchschnitt weniger als eine Person infizieren würde. Wir könnten dann alle Maßnahmen aufheben, auch die Masken weglassen. Das ist wichtig, um zu verstehen, wie der Zusammenhang zwischen Impfung und Pandemie ist. Dass sich Menschen mit Impfangebot nicht impfen lassen, ist eigentlich grotesk.

Was meinen Sie damit?

Ich gehe davon aus, dass viele Ungeimpfte die Situationen der Immungeschwächten nicht bedenken. Eigentlich kennt ja jeder jemanden mit einem Tumor oder einer Immunschwäche oder in hohem Alter. Stellen Sie sich vor, Sie sind ungeimpft und stecken jemanden an, der an dem Virus stirbt, weil er sich nicht schützen konnte. Da wird man doch seines Lebens nicht mehr froh. Ich möchte einfordern, dass sich jeder Ungeimpfte damit auseinandersetzt, was das für die zwangsweise ungeschützten Menschen in seinem persönlichen Umfeld bedeuten kann. Und dass wir alle weiterhin alle Masken tragen.

Wie lange dauert es bis zum Ende der Pandemie, wenn sich die Impfverweigerer – wie es gerade passiert – massenhaft infizieren?

Hierzu liegen mir keine Modellierungen vor. Aber natürlich ist das der zweite Weg. Wir sind gerade dabei, die ungeimpfte Bevölkerung mit Delta zu durchseuchen. Geht das so weiter, dann sind tausende weitere Todesfälle zu erwarten.

Gibt es eine politische Verpflichtung, die unfreiwillige Risikogruppe gezielt zu schützen?

Ich denke ja. Zum einen mit flächendeckender 2G-Regel, das ist offensichtlich. Zudem hilft Immungeschwächten nach der Infektion eine Behandlung mit Medikamenten, wenn sie sehr schnell behandelt werden. Bis Ende des Jahres werden wir zwei weitere Medikamente zur Verfügung haben. Das ist für Immungeschwächte gerade das Licht am Ende des Tunnels. Außerdem können in einigen Fällen spezielle Antikörper-Therapien helfen.

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