Der Film ist derzeit in den deutschen Kinos zu sehen. Wir haben mit dem in Köln lebenden Regisseur Mehmet Akif Büyükatalay gesprochen.
Kinofilm „Hysteria“ mit Netflix-StarKölner Regisseur kritisiert toxische Debattenkultur

Devrim Lingnau Islamoglu ist die Hauptdarstellerin in Mehmet Akif Büyükatalays neuem Kinofilm „Hysteria“
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Die Stadtbild-Debatte, ausgelöst von Kanzler Merz, hat gezeigt: Ein Trigger-Wort kann genügen und die gesellschaftliche Stimmung kocht hoch. Festgefahrene Positionen verhärten sich weiter. In seinem neuen Film „Hysteria“, der derzeit bundesweit in den Kinos läuft, macht der Kölner Regisseur Mehmet Akif Büyükatalay („Oray“, „Ask, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“) genau diese toxischen Dynamiken zum Thema. Der Plot: Ein deutsch-türkischer Regisseur dreht einen Film über den rechtsextremen Brandanschlag auf ein Solinger Wohnhaus im Jahr 1993, bei dem fünf türkischstämmige Menschen ums Leben kamen.
Auf dem Set des fiktionalen Drehs wird ein Koran verbrannt. Heftige Diskussionen entstehen darüber, als einige Komparsen, die in einem Flüchtlingsheim leben, das erfahren. Die weibliche Hauptfigur Elif wird gespielt von Devrim Lingnau Islamoglu, der Hauptdarstellerin in der Netflix-Serie „Die Kaiserin“. Sie ist in „Hysteria“ die Regieassistentin und verteidigt den Regisseur: Als sie dessen Wohnungsschlüssel verlegt und Filmrollen verloren gehen, entsteht ein Klima aus gegenseitigen Verdächtigungen, Beschuldigungen und Misstrauen.

Kölner Regisseur Mehmet Akif Büyükatalay
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Film „Hysteria“ feierte 2025 Premiere bei der Berlinale
„Hysteria“ feierte 2025 seine Premiere bei der Berlinale. Auf dem Filmfestival Cologne gewann er den Filmpreis NRW. „Im Film geht es darum, wie eine Dynamik entsteht, die zu Paranoia und gesellschaftlicher Hysterie führt. Ein und dasselbe Ereignis wird von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich aufgeladen und beurteilt. Alle haben irgendwie recht, doch alle kämpfen darum, dass nur sie selbst recht haben. Sie verunglimpfen ihr Gegenüber, machen ihn schlecht, reden über- statt miteinander“, sagt Büyükatalay im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Der 38-Jährige zieht selber die Parallele zur Stadtbild-Debatte: „Das ist unsere derzeitige Realität. Alle haben eine Meinung, alle beschimpfen sich – obwohl die Polarisierung beabsichtigt war, fällt man drauf herein. Wir können nicht debattieren, ohne uns zu Feindbildern zu machen. Der verbrannte Koran ist ein wuchtiger Einstieg: Aber wie man darüber spricht, ist noch brutaler“, so Büyükatalay.
Mit seiner Arbeit möchte er Komplexität abbilden, die Vielschichtigkeit der Realität zeigen, abseits von Klischees und Meinungen, die man sich etwa über Muslime in Deutschland bildet. „Ich spreche eine große Mitte an, die für Ambivalenz offen ist. Dass sich der Film einer eindeutigen Beurteilung entzieht, findet sie gut“, so der Regisseur. Auf seiner zweiwöchigen Film-Tour sei er ins Gespräch mit dem Publikum gekommen, die genau das schätzten.
Büyükatalay ist in Hagen geboren und vor 15 Jahren zum Studium an die Kunsthochschule für Medien (KHM) nach Köln gekommen. Köln sei für sein Schaffen „perfekt“, auch mit der Hochschule sei er emotional verbunden. Aus ihr sei eine Clique von Filmschaffenden hervorgegangen, die sich gegenseitig unterstützt. Er betreibt mit dem KHM-Absolventen Claus Reichel die Produktionsfirma „Filmfaust“, die nicht nur „Hysteria“, sondern auch Filme von Kollegen produziert. Daneben begleitet Büyükatlay auch Studierende an der Internationalen Filmschule Köln (IFS).
Arbeiterkind, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg: Mehmet Akif Büyükatalay wollte sich schon immer künstlerisch ausdrücken
Derzeit schreibt er an einem Roman, der im Frühjahr 2027 im Ullstein-Verlag erscheinen soll: ein Coming-of-Age-Roman über drei deutsch-türkische Jugendliche, inspiriert von der eigenen Biografie. Büyükatalay ist ein „Arbeiterkind“, wie er sagt; als solches sei es nicht selbstverständlich gewesen, den Weg der Kunst einzuschlagen. „Ich habe als Kind Comics gezeichnet. Meine Lehrer auf der Abendschule haben mich dann ermutigt, den Weg zu gehen“, so der 38-Jährige, der auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur gemacht hat.
Heute zählt er zu den spannenden, aufstrebenden Regisseuren eines postmigrantischen Kinos. „Im Migrantenkino der ersten und zweiten Generation ging es darum, sich dem deutschen Publikum zu erklären. Jetzt ist man weiter: Ich möchte Geschichten erzählen, die mich beschäftigen. Es ging viel um Ehrenmorde, die Unterdrückung der Frau – Themen, die bei uns türkischen Migranten nie so groß waren, Einzelfälle haben die Mehrheitsgesellschaft mehr beschäftigt. Die Perspektive hat sich verändert, das ist eine große Entwicklung.“
Der Film läuft bis zum 16. November in der Filmpalette Köln (Freitag bis Samstag jeweils um 19 Uhr, Sonntag um 18.15 Uhr) und im Kino Lichtspiele Kalk (Donnerstag bis Samstag 21.45 Uhr, Montag um 15 Uhr, Mittwoch, 19. November um 21.45 Uhr).

