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Karneval in KölnDer letzte Nubbel vor Bergisch Gladbach

Lesezeit 4 Minuten

Weiberfastnacht in der Kneipe „Em Höttche“ in Köln-Dellbrück

Dellbrück – Bei der Verbrennung ist Gerd Tils nicht dabei. „Das kann ich nicht sehen“, sagt er mit ernster Miene. Christian sei doch sein Baby. Ein Baby aus Stroh, alten Klamotten, einem Clownsgesicht zwar, ein Unmensch und Sündenbock. Aber Gerd Tils, der Christian im Januar binnen eineinhalb Stunden erschuf, hängt doch sehr an seiner Kreatur.

Andere Gaststätten nageln ihren Nubbel vor die Eingangstür, wo er schon vor seiner Einäscherung aussieht wie erhängt. „Em Höttche“, der urigen Kneipe ganz im Osten des Stadtteils Dellbrück, genauer gesagt im Dellbrücker Ortsteil Strunden, geben sie ihrem Sünden-Symbol einen Namen, veranstalten eine aufwendige „Nubbel-Proklamation“ und integrieren ihn ins karnevalistische Geschehen. Als etwa 200 Gäste den Wieverfastelovend feiern, thront Nubbel Christian auf einem Stuhl über dem Gewühl und grinst ein breites Clowns-Grinsen. Dieser Ehrenplatz gebührt ihm in diesem Jahr noch mehr als sonst: Beim Nubbel-Casting des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bekam Christian die meisten Stimmen.

Zwischen dem Fachwerk-Gebälk in Strundens zweitältestem Gebäude leben die kölschen Traditionen und es blühen die Legenden. In Köln ist es das vielleicht östlichste Bollwerk des kölschen Brauchtums, ein Jahrhunderte alter Hort des familiären Feierns. Und nun das Zuhause eines preisgekrönten Nubbels.

Zuhause eines preisgekrönten Nubbels

1785 errichtete die Familie Bach das Haus an der Gierather Straße. Angeblich soll Napoleon einst hier Quartier bezogen haben. Und über Liesel Bach, der letzten Wirtin der Bach-Dynastie, wird gern erzählt, dass sie die Gäste schon um 22 Uhr vor die Tür komplimentierte. „Morgen seid ihr mir dankbar“, soll sie dabei gesagt haben.

Früher gab es mal sieben Gaststätten an der Gierather Straße, heute sind es noch zwei. Dass das Höttche überlebt hat, liegt auch daran, dass Inhaber Dirk Kleber seit zehn Jahren konsequent die kölsche Kultur pflegt. Das Höttche ist wieder ein Platz zum Wohlfühlen geworden, ein Ort der Geschichte und der Geschichten. Die Gäste kommen nicht einfach nur, sie leben mit ihrer Kneipe.

Edgar Brändle schaut fast jeden Tag für ein Stündchen vorbei. Dann setzt sich der 74-Jährige an den Tisch in der Nische unweit der Theke und lässt sich, umgeben von zig Karnevalsorden, das Neueste aus dem Ort berichten. „Hier ist alles klein“, sagt Brändle. Der Weihnachtsmarkt etwa, den Dirk Kleber regelmäßig veranstaltet, die Karnevalssitzung, das Kappesfest – und zum Teil auch das Personal. Service-Kraft Gülbi misst nur 1,52 Meter und arbeitet sich trotzdem resolut durch das Karnevals-Chaos. Klein ist auch die Küche, umso größer dagegen die Curry-Würste und die Koteletts, die hier entstehen. Und groß ist die Liebe zum Nubbel. „Das ist der letzte Nubbel vor Bergisch Gladbach“, gibt Edgar Brändles Frau Ursula zu Protokoll. Wenige hundert Meter hinter dem Höttche beginnt die bergische Nachbarstadt, die in Strunden gut ist für so manchen Seitenhieb. „Die Gladbacher kommen hierhin, wenn sie Spaß haben wollen“, unkt Edgar Brändle unter seiner Eisenbahner-Mütze. Ute, Bärbel, Marion und Ulli würden dies niemals unterschreiben, kommen sie doch aus Bergisch Gladbach. Ihren Spaß haben die Wiever dennoch.

Gegen 19 Uhr geht Dirk Kleber ans Mikrofon. Dem ersten Platz bei der „Stadt-Anzeiger“-Aktion gebührt eine kurze Ansprache: „Wir haben ihn gewonnen, weil ihr die geilsten Gäste seid, die das Höttche sich wünschen kann“, ruft der 44-Jährige in die jubelnde Menge. Kleber lobt die Aktion. Natürlich freue ihn der Sieg, aber in erster Linie gehe es ihm um den Erhalt einer Tradition. „Der Nubbel ist vom Aussterben bedroht, das finde ich absolut schade.“

Im Höttche nimmt die Weiberfastnacht ihren Lauf. Nubbel-Vater Gerd Tils tanzt mit Dudelsack, Gülbi schleppt haufenweise Mettbrötchen und Kölsch durch die Reihen und Schornsteinfeger Rolf kennt heute ausnahmsweise mal nur die Hälfte der Gäste.

Christian schwebt über den Dingen. Am Aschermittwoch wird er über die Gierather Straße getragen und neben dem Höttche dem Feuer überlassen. Gerd Tils wird das Ende seines Babys nicht erleben. Dafür aber die freiwillige Feuerwehr Strunden.