Kölner Mariechen Patricia Baur im Interview„Ich will Spaß haben und essen dürfen“

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Patricia Baur

Patricia Baur (M.) beim Gemeinschaftstanz der Kölner Tanzgruppen

Köln – Tanzen ist derzeit ein großes Thema in den jecken Sälen der Stadt. Noch nie gab es so viele Tanzgruppen in Köln, fast jedes Jahr gibt kommen neue hinzu, auch im Nachwuchsbereich. Gleichzeitig werden die Auftrittsmöglichkeiten immer weniger. Der Konkurrenzdruck steigt, die Akrobatik einiger Truppen wird immer waghalsiger. Auch über die Trainingsmethoden wird diskutiert. Wir haben mit Patricia Baur (43) gesprochen, die seit drei Jahrzehnten ihr Hobby lebt: Tanzen im Karneval.

Frau Baur, Sie sind inzwischen seit 33 Jahren auf den Karnevalsbühnen unterwegs, waren in drei verschiedenen Tanzgruppen aktiv und haben mehrere Trainer erlebt. Hat Sie einer von denen mal auf die Waage gestellt?

Nein. Ich selbst habe das noch nie erlebt. Aber ich weiß, dass das bei einigen Tanzgruppen durchaus üblich ist. Und zwar schon seit Jahren. Wer zu denen geht und bei denen tanzen will, der weiß das auch und entscheidet sich dafür. Ich hätte das nie gemacht. Das Tanzen ist doch mein Hobby. Ich will Spaß haben und ich möchte essen dürfen.

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Und das geht bei den Rheinmatrosen?

Ja sicher. Ich bin seit zwölf Jahren Tanzmariechen bei den Rheinmatrosen. Zudem trainiert mein Mann Michael die große Gruppe, ich die Kinder und Jugendlichen, die sogenannten Minis. Bei uns gibt es keine Waage. Ich weiß auch gar nicht so genau, wie schwer ich selbst bin. Vielleicht 50 Kilogramm, vielleicht auch 52 oder 54. Damit hätte ich in Relation zu meiner Körpergröße bei manch anderer Tanzgruppe schon gar keine Chance, mit zu machen.

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Das heißt im Umkehrschluss, bei den Rheinmatrosen wird jeder oder jede genommen?

Im Prinzip ja, wenn sie eine gewisse körperliche Fitness mitbringen. Hierbei ist das Gewicht nicht ausschlaggebend. Wer sich bei uns bewirbt, wird dann zu einem Probetraining eingeladen. Und dann wird besprochen und ausprobiert, was passt. Es kommt auch ganz viel auf Sprungkraft und Körperspannung an. Natürlich macht es Sinn, wenn die Mädels, die gehoben oder geworfen werden, leichter sind. Aber wer um die 70 Kilo wiegt, will das auch gar nicht, die wollen lieber auf dem Boden tanzen.

Also auch dickere Mädchen können gut tanzen?

Auf jeden Fall. Manche Kräftigen sind oft gelenkiger als die Dünnen – und sie haben oft eine nettere, weiblichere Ausstrahlung. Zudem wiegen die Tänzerinnen, die zum Trainingsauftakt im März mit 60 Kilo ankommen, zum Beginn der Session oft nur noch 55. Dafür sorgt schon das anstrengende und anspruchsvolle Training. Zweimal die Woche, jeweils drei Stunden.

Noch mal zurück zum Gewicht. Man hört da von Druck in einigen Tanzgruppen, von Essstörungen und Magersucht.

Da redet man untereinander auch drüber, das stimmt. Aber ich denke, das sind Einzelfälle. Es kommt drauf an, wie man etwas sagt. Einer Tänzerin zu sagen „Du bist zu fett“, geht gar nicht. Einen Fall von Magersucht hatten wir bei uns noch nie. Aber es kommt in der Kinder- und Jugendgruppe schon mal vor, dass ein Mädchen fragt, ob sie abnehmen müsste. Ich sage dann: „Mach das bloß nicht. Du bist doch ein Kind“. Gerade Mädchen und Jungen, die noch im Körperaufbau sind, kann man nicht alles zumuten, egal ob im Training oder auf der Bühne. Da muss man besonders sensibel sein.

Sind denn Tanzgruppen, die mehr auf Akrobatik und Hebefiguren setzen, und bei denen die Mariechen hoch und weit fliegen, ehrgeiziger als die anderen?

Nein. Ehrgeizig sind alle. Alle wollen den Applaus des Publikums, wollen Standing Ovations. Denn das ist die Anerkennung für monatelanges Training. Alle Gruppen machen das ja ehrenamtlich und geben ihr Bestes. Die einen mehr tänzerisch, die anderen mehr akrobatisch. Aber je mehr Akrobatik geboten wird, je höher und weiter es geht, um so mehr muss auch trainiert werden.

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Patricia Baur tanzt seit zwölf Jahren bei den Rheinmatrosen.

Gibt es einen Wettstreit zwischen den einzelnen Tanzgruppen, welche Mariechen am höchsten unter die Decke fliegen oder wer die größten Pyramiden baut?

Nein. Aber bei den Würfen muss man schon rund einen Meter über den ausgestreckten Händen der Jungs sein. Sonst sieht das Publikum ja nichts. Bei unserer höchsten stehe ich in in rund fünf Meter Höhe und muss mich fallen lassen.

Kriegt man da keine Flugangst?

Nein, Angst habe ich nicht. Wenn man Angst hat, geht auch zumeist etwas schief. Wir haben das sehr, sehr oft in der Turnhalle geübt, anfangs mit Turnringen zum Festhalten und immer unten mit Matten. Das Obenstehen war weniger das Problem. Das Sich-fallen-lassen kostete Überwindung. Da muss ich schon 100 Prozent Vertrauen zu den Jungs haben, die mich auffangen. Und wenn man wirklich mal Angst hat, muss man das verstecken.

Wie oft haben Sie schon diese Angst versteckt?

So drei bis fünf Mal in den vergangenen zwei Jahren. Daran merke ich auch, dass ich älter werden. Früher habe ich einfach gemacht.

Nach dieser Session hören Sie dann ja auch tatsächlich als Tanzmariechen auf.

Ja, ich bin doch inzwischen die Tanz-Oma des Kölner Karnevals. Aber ich bleibe weiterhin Trainerin der Minis. Vom Alter, vom Aussehen und vom Können her könnte ich noch locker zwei Jahre mithalten. Aber ich komme mit der Einstellung der jungen Leute nicht mehr so gut klar. Die haben nicht mehr so die Disziplin wie früher.

Auch die Umstände haben sich verändert. Beispielsweise durch die Ladenschlusszeiten. Früher waren die Geschäfte um 18.30 Uhr zu, samstags um 14 Uhr. Heute arbeiten viele der Jungen und Mädchen im Schichtdienst, die schaffen es dann nicht rechtzeitig zum Auftritt.

Die Auftrittsmöglichkeiten für Tanzgruppen werden auch immer weniger.

Als ich angefangen habe zu tanzen, gab es in Köln fünf, sechs Gruppen. Heute sind es es mehr als 40, da auch noch die aus dem Umland in die Stadt drängen. Das ist ein Problem. Bei unsere Muttergesellschaft, der Großen Mülheimer KG, treten bei allen Veranstaltungen sowohl die Minis als auch die großen Rheinmatrosen auf. Aber in Sitzungsprogrammen anderer KGs ist meist nur noch Platz für eine Tanzgruppe – wenn überhaupt.

Deswegen fahren wir in dieser Session sogar zweimal nach Holland und einmal nach Belgien. Fünfmal treten wir auch in Brauhäusern auf, denn diese Kneipen-Sitzungen sind ja stark im Kommen. Würfe gehen da wegen der niedrigeren Decken nicht, aber so nah ist man dem Publikum sonst nie. Mir macht das total Spaß – feiern untereinander und mit den Leuten. Tanzen ist ein schönes Hobby. Und das soll es auch bleiben.

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