Nach den unzähligen Debatten um den Straßenkarneval im Kwartier Latäng steht, neben dem minimal abgeänderten Sicherheitskonzept des vergangenen 11.11., eines fest: Die Vorfreude auf die Karnevalstage ist bei jungen Menschen groß. Den Eindruck vermittelt zumindest die beliebte Video-App Tiktok. Was folgt, ist ein Hechtsprung in die Tiefen des #Karneval-Tiktoks.

Erstes Video: „Bin ich die einzige, die die Farben schön anordnet?“ fragt eine Nutzerin. Sie zeigt einen roten Gürtel mit Fruchtlikören. Dahinter ragt ein Turm in die Höhe. 14 aufeinander gestapelte Eimer reichen bis unter die Decke. Ihr Inhalt: weitere Schnäpse.

„Alle freuen sich auf Karneval und sind hyped“

Swipe: Junger Mann in Lacoste-Kappe berichtet seinen Followern erstaunt von seinem Kumpel. Der hat in einer Excel-Tabelle detailliert die Karnevalsprogramme sämtlicher Kölner Bars und Kneipen farblich aufgelistet: Hinweise auf Vorverkaufskarten, Eintrittspreise, Öffnungszeiten und Anmerkungen, wie „Freibier“. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen, Fastelovend kann kommen. Mehr als 251.000 Views und 24.000 Likes.

„Alle freuen sich auf Karneval und sind hyped“, sagt Tiktokerin Käthe. Das macht sie unter anderem fest an den „exorbitanten“ Aufrufzahlen, die Karneval-Videos derzeit generieren. Auch größere Influencer mit Follower-Zahlen im Millionenbereich, wie das Model Gerda Lewis, produzieren mittlerweile Inhalte zum Karneval.

Die gebürtige Bonnerin studiert Jura und feiert Karneval seit Jahren in Köln. Zum Karneval produziert witzige Clips, gibt Kostüm-Ideen und spielt mit Kostüm-Klischees („Der Kapitän ist auf jeden Fall Jura- oder BWL-Student. Er kommt höchstwahrscheinlich aus Düsseldorf und ist auf gar keinen Fall auf der Zülpicher anzutreffen, wahrscheinlich eher im Flamingo.“).

Straßenkarneval: Kwartier Latäng seit Jahren Diskussionsthema 

Ihre Follower sind überwiegend Karnevalsbegeisterte aus Köln und Bonn. Ihr Eindruck ist, dass auch dieses Jahr das Hauptziel vieler Tiktok-Nutzer die Zülpicher Straße sein wird.

Nach erneut ausgiebigen Debatten zwischen der Stadt, den Wirten und Anwohnern im Kwartier Latäng kommt das Konzept zu Trage, das aus den vergangenen Sessionen bekannt ist: Die Zülpicher Straße wird eingezäunt und die Uniwiese als Überlauffläche genutzt. Die Zülpicher Straße findet auf Tiktok nur Erwähnung, wenn an Eskapaden der letzten Jahre erinnert wird. Wie der Feiernde im pinken Jumpsuit, der von einer Verkehrsampel herunterhängt oder das Krokodil, das auf einen Baum klettert.

WG-Party während der Online-Vorlesung

Nächstes Video: Ein Elch, ein Minion, eine Cheerleaderin und ein Gangster stehen in einer WG. Scheinbar eine normale Elfter-Elfter-Party in Köln. Die Kamera schwenkt zur Seite und zeigt einen Laptop in der Raumecke. Ein Dozent hält eine Vorlesung über Zoom ab. „Ich kumm us dä Stadt met K“ trällert im Hintergrund. 1,6 Millionen Views, fast 100.000 Likes.

Swipe: Wieder ein Video aus einer vergangenen Session. Dieses Mal von einer feiernden Menschenmenge auf der Uniwiese. Unter klarem Himmel und Sonnenschein singen und tanzen Kostümierte Arm in Arm. „Die Vorfreude steigt“ bei der Tiktok-Nutzerin aus Köln.

Als nächstes: Rote Funken aus dem Siegerland stehen bereit. In einem Festzelt kündigt der DJ ihren Auftritt an – die Show beginnt. Die Funkenmariechen marschieren unter tosendem Applaus auf die Bühne.

Publikum von Tiktok wird älter

Die App Tiktok, die mit Tanzvideos weltweit beliebt wurde, ist mittlerweile eine Trend- und Unterhaltungs-Plattform. In Deutschland sind monatlich 19,5 Millionen Menschen auf der Plattform aktiv. Das geht aus Umfragen von Statista hervor. Obwohl weiterhin Teenager die größte Altersgruppe ausmachen, wird das Publikum älter: 2021 waren 44 Prozent der deutschen Nutzer zwischen 22 und 39 Jahre alt.

Diese Altersgruppe ginge an Karneval vermehrt in die Kneipen, sagt Tiktokerin Käthe. Sie freut sich auf die gute Stimmung und das Wiedersehen mit alten Bekannten: „Das ist immer wie ein Klassentreffen, wenn alle aus ihren Unistädten nach Köln zurückkommen.“

Karneval-Songquiz zum Mitmachen

Nächstes Video: Songquiz für Karnevalslieder. Acht Klassiker werden schnell hintereinander abgespielt. Die Zuschauer sollen kommentieren, welche sie kennen. Der junge Mann im Video macht es vor: Von „Nie mehr Fastelovend“ bis „Superjeilezick“ kennt er nicht nur alle Songs, sondern feiert sie auch euphorisch ab.

Letztes Video: Eine Tiktokerin spielt eine Sprachnachricht einer ihrer etwa 700.000 Follower ab. Der Mann sucht verzweifelt ein Kostüm für seine scheinbar erste Karnevalsfeier. Sein Wunschkostüm: Sellerie. Die Influencerin zeigt im Zeitraffer, wie sie ihm eine entsprechende Verkleidung schneidert. Zum Schluss steht der Follower zwischen jubelnden Karnevalisten in der Lanxess-Arena. Er wirkt etwas überfordert, aber zufrieden in seinem Sellerie-Kostüm.

Welche Videos in den diesjährigen Karnevalstagen entstehen und auf Tiktok landen werden, bleibt abzuwarten. Wenn diese Auswahl ein Indiz dafür sein soll, welches Bild von Karneval auf Tiktok entsteht, dann ist das ein Bild von jungen, wilden, gut vorbereiteten, lebensfreudigen, tanzenden, textsicheren und kreativen Menschen, die aber auch mal über die Stränge schlagen.