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MomentaufnahmeSo geht es auf der Baustelle Messe-City in Köln-Deutz derzeit voran

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Harald Schmitt

Köln-Deutz – Wer macht das nicht gern: hinsetzen, Leute beobachten, Geschichten spinnen. Unsere Fotografin Martina Goyert und Autoren Uli Kreikebaum und Noelle Steffens gucken nicht nur. Sie hören zu, schreiben auf, fragen nach, was passiert. Das Spiel dauert 90 Minuten, irgendwo in Köln. Kein Moment kommt wieder, jeder lässt sich festhalten. Das ist die Idee hinter der Serie „Momentaufnahme“.

15.45 Uhr: Inmitten eines großen Ameisenhaufens

Wer von Gleis 10 auf den Barmer Platz guckt, sieht eine Baustelle, die im Grau versinkt. Orangene Warnwesten, Arbeiter wie ausgesetzt im Labyrinth, Riesenkräne, Stahlträger, Beton. Die Wartenden hören das Rattern von Triebwerken, das Pochen der Hämmer, das Kreischen der Hebemaschinen, das Dröhnen von Betonmischern, Baggern, Lastwagen. Man versteht nichts, außer, dass alles Auftrag ist und Arbeit und Plan, ein großer Ameisenhaufen.

„Was wird da gebaut?“ fragt ein Junge seine Mutter. „Irgendwas für die Messe, Tiefgaragen, glaube ich“, sagt die Frau. Das Projekt heißt Messe-City, 750 Millionen Euro werden hier verbaut, für drei Gebäude der Zurich-Versicherung, ein Hotel der Motel-One-Gruppe, Apartment-Hotels – wer in die anderen drei der sieben Einheiten einzieht, steht noch nicht fest. Momentan entsteht die Tiefgarage, der erste Gebäuderiegel wird hochgezogen.

16.03 Uhr: Baustelle ist ein komplizierter Prozess

Volker Comelli sitzt im Besprechungsraum der Containerburg vor der Baustelle und berichtet vom Status Quo. Comelli ist als Kölner Bereichsleiter für den Baukonzern Strabag verantwortlich für die Messe-City – Strabag ist neben der Hamburger ECE-Projektmanagement einer von zwei Investoren. Der 49-jährige Architekt kommt alle zwei Wochen für eine Bauherrensitzung in den Container.

„Im Moment“, sagt er, „befinden wir uns im Bemusterungsprozess für den Klinker der Fassade“. Die Entscheidungsfindung, wie die Außenhaut der Messe-City letztlich aussehen wird, „verdichtet sich in einem mehrstufigen Prozess – von ersten Handmustern bis zu geschosshohen Musterfassaden“. In der jüngsten Sitzung hat Comelli auch besprochen, wer in die noch nicht vermarkteten Gebäude einziehen könnte.

„Dort werden Büros entstehen, vielleicht ein weiteres Hotel, Gastronomie und – in kleinerem Maße, um keine Konkurrenz für die Deutzer Freiheit darzustellen – auch Einzelhandels- und Dienstleistungsangebote“, sagt Comelli. Die Idee eines Kinos haben die Investoren wieder verworfen. „Manches ist noch offen, es ist ein komplizierter Prozess“, sagt Comelli. 50.000 der 135.000 Quadratmeter Bürofläche sind nicht vermietet.

16.17 Uhr: Schwimmbadmesse hat sich nicht gelohnt

Jziga und sein Bruder Luca aus Slowenien stehen an Gleis 10 und warten auf ihren Zug zum Hotel. Die Sauna- und Schwimmbadmesse Aquanale habe sich für sie dieses Jahr nicht recht gelohnt, sagt Jziga.

„Keine neuen Aufträge, keine wirklichen Innovationen.“ Das Beste an den Tagen in Köln? „Das Frühstücksbuffet im Hotel, vor allem das Rührei mit Schinkenspeck, ich habe selten Besseres gegessen.“

16.38 Uhr: Risiken gibt es an jeder Ecke

Polier Ralf Kossatz steht mit Oberbauleiter Harald Schmitt an der Baugrube und flachst. „Wir von der Front rufen den Oberbauleiter nur, wenn gar nichts mehr geht“, sagt Kossatz. „Als Polier sorge ich auch dafür, dass niemand Schabernack treibt: Dass jede Leiter befestigt wird, jeder immer Helm trägt, dass die Geländerbretter immer zweiteilig verbaut werden.

Ich versuche, jedes Sicherheitsrisiko zu beheben. Denn Risiken gibt es auf so einer Baustelle an jeder Ecke. Und das nicht nur, wenn wir wie im vergangenen Dezember eine Bombe finden.“ Kossatz ist Stahl- und Betonbauer, seit mehr als 30 Jahren arbeitet er auf Baustellen. Polier, ein Traumjob? Der 49-Jährige schweigt, lacht schließlich ein bisschen verlegen. „Was heißt Traumjob? Sagen wir mal so: Es ist anstrengend, aber man sieht jeden Tag, das da was wächst und für was man das alles tut.“

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16.42 Uhr: Lieferschwierigkeiten sind der Horror für jede Baustelle

Wenn Ralf Kossatz der Ausputzer ist, ist Oberbauleiter Harald Schmitt der Regisseur: der, der dafür sorgt, dass die Arbeiter jede Aufgabe termingerecht und zuverlässig erledigen. Das ist bei momentan rund 150 Arbeitern im Rohbau schon anspruchsvoll, in der Ausbauphase werden 800 Menschen pro Tag auf der Baustelle arbeiten. „Der Horror für eine Baustelle ist, wenn Material nicht rechtzeitig geliefert wird“, sagt der Mann, der früher öfter Sprüche wegen seines berühmten Namensvetters mit „dt“ zu hören bekam.

Er spüre stets einen „gewissen Druck, dass die Termine eingehalten werden“. Ständig ergeben sich neue Herausforderungen: „Da fordert eine Firma mehr Geld, weil aus irgendeinem Grund mehr Aufwand entstanden ist, da müssen Sonderschichten eingelegt werden und Angebote ausgehandelt werden. Es gibt einiges zusammenhalten.“

Die Meldung, dass auf der Baustelle unter Tarif gezahlt werde und die polnischen Beschäftigten für einen Tariflohn protestieren wollten, sei übrigens eine Ente gewesen. „Eine Demo gab es bei uns nicht.“ Richtig ist, dass für den Generalunternehmer, den Baukonzern Züblin, ein polnisches Subunternehmen tätig ist. Und, dass für diese Reportage keiner der einfachen Handwerker zur Verfügung stand.

16.45 Uhr: „Mit Kerlen kann man besser kickern.“

Wenn der Ausbau beginnt, wird auch Lisa Bsdurek noch mehr gefordert sein als heute: Die Projektkauffrau ist eine der wenigen Frauen, die täglich über die Baustelle laufen. Bsdurek ist für Rechnungen und Arbeitskalkulation der Messe-City zuständig. Sie nimmt Lieferscheine entgegen und überblickt, wie viel Material noch nicht verbaut ist.

„Eine Leistung gilt nur dann als erbracht, wenn das Material auch verbaut ist“, sagt sie. 57.000 Kubikmeter Beton und 11.000 Tonnen Stahl werden allein für die ersten drei Blocks benötigt. Jeden Monat hilft Bsdurek, eine Zwischenbilanz zu erstellen. Als Frau auf der Baustelle, sagt sie, sollte man nicht auf den Mund gefallen sein. Was sie gut findet: „Mit Kerlen kann man besser kickern.“

16.55 Uhr: Zeitlich und finanziell voll im Soll

Im Vergleich zur Opernbaustelle am Offenbachplatz funktioniert die Großbaustelle in Deutz offenbar tatsächlich so geordnet wie ein Ameisenbau. „Wir befinden uns zeitlich und finanziell voll im Soll“, sagt Volker Comelli. Spätestens 2020 will die Zurich-Versicherung mit ihren Mitarbeitern einziehen.

17.15 Uhr: Müde Pendler nehmen die Ansagen teilnahmslos hin

Blaue Stunde. Flutlicht leuchtet die Grube aus und lädt die Baustelle mit der Bedeutung eines Amphitheaters auf. Die Stories waren eher trocken. Das Beste am Tag waren gute Verhandlungen, zielführende Gespräche, gute Schnitzel. Der Kranführer, der seiner Freundin aus 80 Metern Höhe Liebesbriefe schreibt oder der Guinessbuch-taugliche Baggerfahrer waren nicht da.

Auf Gleis 10 hat die S19 nach Pulheim fünf Minuten Verspätung, die RB 25 nach Meinerzhagen auch. Die müden Pendler nehmen die Ansagen teilnahmslos hin, sie streicheln ihre Handys. Ein Paar bespricht im Tonfall jahrelang eingeübter Verachtung, was noch zu tun ist: Die Steuererklärung, ein Termin bei der Verbraucherzentrale, um den Kredit für die Immobilie checken zu lassen. „Mach’ das mal endlich!“, raunzt die Frau. Der Mann sagt „jaja“. Von der Baustelle weht der Geruch von Beton.

90 Minuten Köln

Hinsetzen, Leute beobachten, Geschichten entdecken. Fotografin Martina Goyert und Autor Uli Kreikebaum hören außerdem zu und fragen nach, schreiben auf. 90 Minuten, irgendwo in Köln. Aus einem anonymen Stadtbild werden Geschichten. Das ist die Idee hinter der mehrfach preisgekrönten Serie „Momentaufnahme“

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