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Das Miteinander stärkenInklusiver Sportverein startet in Köln – Erlebnis, nicht Ergebnis zählt

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Gründer und Leiter des Vereins, Tobias Gemein, trainiert Kinder mit und ohne Einschränkung. Gesonderte Gruppen gibt es im Verein nicht.

Der Gründer und Leiter des Vereins, Tobias Gemein, trainiert Kinder mit und ohne Einschränkung. Gesonderte Gruppen gibt es im Verein nicht.

In der Soccerworld in Lövenich trainieren Kinder mit und ohne Beeinträchtigung gemeinsam – ohne Leistungsdruck.

Der Ball fliegt im hohen Bogen durch die Halle, bevor er krachend gegen die Sportwand knallt. Eine Gruppe Kinder jagt ihm jubelnd hinterher. Fällt ein Tor, umarmen sie sich und feiern ausgelassen. „Ich habe zwei Tore geschossen – zwei!“, ruft Jaro strahlend. Der Siebenjährige wischt sich den Schweiß von der Stirn und reckt stolz zwei Finger in die Luft.

An diesem Dienstag spielt er gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis sechzehn Jahren. Zweimal pro Woche treffen sie sich zum Training – mal zum Fußball, mal für andere Spiele. Was diesen Verein besonders macht: Hier trainieren Kinder mit und ohne Einschränkungen gemeinsam. Getrennte Gruppen gibt es nicht.

Rund 60 Prozent der Kinder spielen im Verein mit Einschränkung

„Etwa 60 Prozent unserer Kinder haben eine Einschränkung, 40 Prozent nicht“, sagt Tobias Gemein, Gründer und Leiter des Vereins All Inclusion Sports. Sein Ziel: Barrieren abbauen und Gemeinschaft schaffen. Für Gemein eine Herzensangelegenheit.

„Meine Schwester hat eine geistige Beeinträchtigung. Ich habe viel und gerne mit ihr gespielt“, erzählt der 24-Jährige. Im Sport sei sie jedoch oft aufgrund ihrer Einschränkung ausgeschlossen worden. „Ich dachte mir: Das kann doch nicht sein.“ Aus dieser Erfahrung entstand schließlich die Idee, einen inklusiven Verein zu gründen. Ein Ort also, an dem alle Kinder mitmachen können – unabhängig von Herkunft, Beeinträchtigung oder Leistungsvermögen. Wettbewerb und Druck? Fehlanzeige.

„Bei uns zählt das Erlebnis, nicht das Ergebnis“, betont Gemein. Gerade der Spaß am Spiel stehe im Vordergrund. So entstehe auch mehr Verständnis und dadurch Inklusion.

Tobias Gemein setzt sich schon lange für Inklusion im Sport ein. Dafür wurde er mit dem Ehrenpreis Bonner Sport 2024 ausgezeichnet.

Tobias Gemein setzt sich schon lange für Inklusion im Sport ein. Dafür wurde er mit dem Ehrenpreis Bonner Sport 2024 ausgezeichnet.

Dieses Ziel begleitet Gemein sein ganzes Leben lang: Studiert hatte er Kindheitspädagogik mit Schwerpunkt Inklusion, trainiert bereits seit Jahren eine Inklusionsgruppe bei Hertha Bonn und erhielt im letzten Jahr den Ehrenpreis Bonner Sport für sein Engagement. Später folgte die Gründung von All Inclusion Sports, nach eigenen Aussagen der erste inklusive Sportverein in Bonn und seit einigen Wochen auch in Köln. Finanziert wird der Verein durch einen monatlichen Beitrag von zehn Euro und Sponsoren.

„In Bonn sind wir etwa 20 Kinder“, sagt Gemein. In Köln sind es nicht ganz so viele. Doch der 24-Jährige ist optimistisch, dass sich das bald ändern könnte. Und Gemein hat Pläne: „Wir planen ab September auch andere Sportarten anzubieten.“

Gemein: „Wenn es konkreter wird, werden viele zögerlicher“

Gespielt wird in der Soccerworld in Lövenich. Ursprünglich war eine andere Halle geplant, doch die Miete war zu hoch gewesen. Ein Problem, das laut Tobias Gemein häufiger auftrete: „Schulen und Vereine sind am Anfang von der Idee sehr angetan, wenn es aber konkreter wird, werden sie zögerlicher.“ Sponsoren seien daher wichtig.

In Lövenich darf der Verein in den ersten Monaten umsonst spielen. Für Geschäftsführer der Halle, Andreas Wessels, eine Selbstverständlichkeit: „Es ist wichtig, die Leute zusammen zubringen.“ Und besonders schön sei es, zu sehen, wie viel Freude die Kinder haben. Das Indoor-Training sei zudem gut geeignet, sagt Gemein, da eine Halle auf die Ansprüche für Kinder mit Beeinträchtigung gut zugeschnitten sei: Witterung oder unebene Böden könnten zu Problemen führen, zum Beispiel könnten Rollstühle stecken bleiben.

Wie trainiert man nun aber Kinder mit und ohne Einschränkung zusammen? Tobias Gemein setzt in dieser Frage weniger auf Theorie, sondern auf den direkten Kontakt unter den Kindern. Das Training wird zudem in kleine Etappen zerlegt. „Theorie ist in der Inklusion nicht der richtige Weg. Es geht mehr um das Praktische“, sagt Gemein. „Ich sage einzelnen Kindern etwa, sie sollen Übungen gemeinsam machen oder frage, ob sie anderen helfen können.“ Das funktioniere gut, sagt Gemein, und sorge für mehr Sensibilität unter den Kindern.

Zwischen den Kindern und den Trainern stimme einfach die Chemie, finden die Eltern.

Zwischen den Kindern und den Trainern stimme einfach die Chemie, finden die Eltern.

Was durchaus zu sehen ist: Die Kinder nehmen Rücksicht, passen aufeinander auf. Auch Freundschaften entwickeln sich hier schnell – wie etwa bei dem siebenjährigen Jaro und Sophia, die eine Seheinschränkung hat. Das Training mache ihr viel Spaß, erklärt sie. „Vor allem, wenn ich Tore schieße.“ Besonders schön sei es zu sehen, dass eben auch Kinder mit Einschränkung gut aufgenommen und an allen Aktivitäten teilhaben können, sagt ihr Vater Christoph. „Und die Kinder mögen die Trainer sehr gerne. Da stimmt einfach die Chemie“, so Jaros Mutter.

Eine weitere Besonderheit des Vereins ist, dass einige der Trainer auch eine Beeinträchtigung haben. Einer von ihnen ist Peter. Der 24-Jährige hat eine geistige Lernbehinderung und ist der Überzeugung, dass Inklusion im Sport noch ausbaufähig ist. „Es wird noch zu wenig angeboten.“

Natürlich habe sich etwas über die Jahre im inklusiven Bereich getan, sagt Tobias Gemein. Dennoch findet auch er, dass durchaus noch Luft nach oben ist. „Inklusion ist erst dann völlig erreicht, wenn nicht mehr darüber geredet werden muss.“

Der Verein bietet vom 18. August bis 22. August in der Soccerworld Lövenich ein Sportcamp mit verschiedenen Sportarten an. Weitere Informationen und Anmeldungen gibt es unter info@allinclusionsports.de oder über Instagram unter allinclusionde.