Kölner Corona-ProtokollIntensivpatient ist nach einem Jahr zurück im Leben

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Wolfgang Stier war schwer an Corona erkrankt.

Köln – Ein Jahr nach meiner schweren Covid-19-Infektion bin ich zurück bei der Arbeit. Mitte Oktober bin ich nach dem Hamburger Modell in meinen Job als Schlosser in der Maoam-Fabrik in Neuss zurückgekehrt, in den ersten Wochen für vier Stunden pro Tag, inzwischen bin ich wieder bei der vollen Stundenzahl. Am Anfang kamen bei jeder Begegnung mit einem Kollegen Erinnerungen hoch: Klar, jeder hat nachgefragt, wie es mir geht, ob ich noch Beschwerden habe, wie das vergangene Jahr verlaufen sei. Im Rückblick wechselten sich Phasen der Zuversicht mit solchen ab, in denen die Gedanken düster waren. 

„Mit Samthandschuhen angefasst“

Die Kollegen haben mich auf jeden Fall supernett empfangen, mit Welcome-Back-Schild und guten Wünschen. Momentan bin ich nicht mehr im Schichtdienst, sondern arbeite täglich zwischen 6.30 und 15.30 Uhr. Am Anfang hat man mich mit Samthandschuhen angefasst, ein bisschen ist das noch immer so – das ist erstmal nett, zeigt mir aber natürlich auch, wie ernst meine Erkrankung war und wie groß die Sorgen der Kollegen.

Nach der Arbeit bin ich Moment abends kaputter als früher und habe Schmerzen in den Füßen. Vielleicht liegt das am Alter, vielleicht sind es auch noch Spätfolgen. Ich weiß es nicht. Die Phase, in denen ich düster in die Zukunft geguckt habe, ist auf jeden Fall vorbei, im Moment überwiegen Dankbarkeit und Zuversicht.

Es ist ein gutes Gefühl, zurück bei der Arbeit zu sein, aus dem Krankengeld raus zu sein, wieder normales Gehalt zu beziehen, vor allem aber: Den Alltag wieder zu haben. Die täglichen Abläufe in der Fabrik, die Gespräche mit den Kollegen. Das Gefühl, etwas geschafft zu haben, eine sinnvolle Aufgabe zu haben. In den vergangenen zwölf Monaten ist wahnsinnig viel passiert: Auf der Merheimer Lungenintensivstation war ich für Wochen an diese Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, meine Familie hat währenddessen , um mein Leben gefürchtet. Wir waren als Familie über viele Wochen in Quarantäne und hatten auch andere schwere Schicksalsschläge.

„Was ist, wenn ich mich wieder infiziere?“

Gleich zweimal war ich für mehrere Wochen in der Reha, zuletzt im Herbst in einer neurologischen Maßnahme in Nümbrecht – die Reha war ein Pilotprojekt für schwerste Covid-Verläufe, auf die ich allerdings lange warten musste, da man mich zunächst für eine pneumologische Aufbaumaßnahme gebucht hatte – die ich aber gar nicht brauchte, meine Lungenfunktion ist längst wieder einwandfrei. Vor Ort gab es dann eine Mischung aus Physio-, Ergo- und Psychotherapie – einiges hat mehr geholfen, anderes gefühlt eher weniger.

Begleitet haben mich in diesem Jahr Schmerzen in Füßen und Schultern, und die Ungewissheit, ob die alte Kraft und Beweglichkeit zurückkommt. Während draußen eine Corona-Welle der nächsten folgte und die ganze Gesellschaft immer gestresster war. Wie oft müssen wir noch geimpft und geboostert werden? Was macht die Pandemie noch mit der Wirtschaft? Mit den Kindern? Geht die gesellschaftliche Spaltung im nächsten Jahr weiter – und wohin führt das noch? Was ist, wenn ich mich wieder infiziere? Wäre ich besonders gefährdet?

Über die Frage nach dem eigenen Risiko versuche ich, mir nicht zu viele Gedanken zu machen. Ich bin vorsichtig, halte alle Regeln ein, bin längst geboostert, gehe aber weiter ins Restaurant oder zu kleinen Geburtstagsfeiern. Ich möchte nicht, dass Corona komplett über mein Leben bestimmt – wir müssen lernen, damit zu leben, glaube ich. Vor ein paar Wochen wollte ich mit meiner Frau für drei Tage mit dem Camper nach Norddeutschland ans Meer, einfach auf einen Camping-Parkplatz, zum Entspannen – aber da, draußen, mitten in der Walachei, gab es die 2-G-Plus-Regel – und wir hatten keinen frischen Test. Das hat uns ziemlich die Laune verdorben – wir sind wieder zurückgefahren.

20 Kilo Süßigkeiten für die Merheimer Station

Zu Nikolaus habe ich den Ärzten und Pflegern des Merheimer Krankenhauses 20 Kilo Süßigkeiten geschickt, samt einer Dankeskarte – vielleicht motiviert sie das ein bisschen, weiter so toll ihre Arbeit zu machen, die sie inzwischen seit fast zwei Jahren täglich an ihre Grenzen und darüber hinaus bringt. Das Schlimmste wäre es, wenn viele von ihnen ihren Job wechseln würden, weil die Bedingungen im Gesundheitssystem weiterhin unbefriedigend bleiben. Da muss die neue Regierung dringend gegensteuern.

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Mich haben die vergangenen zwölf Monate mehr geprägt, als ich mir vor der Covid-Erkrankung vorstellen konnte. Im Februar werde ich 58 – ein Vorgesetzter hat immer ganz gern einen Zollstock genommen und daran gezeigt, wo man in etwa steht mit seiner zu erwartenden Lebensspanne – und gesagt, dass es darauf ankomme, genau jetzt das zu tun, was einem wichtig erscheint. Zumal die Lebenserwartung von Unbekannten wie einem Unfall, einer plötzlichen Erkrankung oder einem Virus jederzeit verkürzt werden kann.

„Manchmal merke ich, wie müde ich bin“

Ich bin froh, dass ich das Jahr überlebt habe und Pläne schmieden kann. Beweglicher zu werden, ist ein Ziel fürs kommende Jahr. Mehr Sport, und insgesamt mehr Normalität, für meine Familie und mich, aber auch für die ganze Gesellschaft. Manchmal merke ich, wie müde ich bin. Ich glaube, es geht nicht nur mir so. Ich bin froh, wenn ich an dieses Jahr einen Haken machen kann.

Aufgezeichnet von Uli Kreikebaum.

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