Jürgen Wolf, Ärztlicher Leiter des Centrums für Integrierte Onkologie der Uniklinik Köln, ist begeistert von neuen Therapieoptionen und macht Patienten Mut.
Internationaler Kongress in Köln„Es ist atemberaubend, was beim Lungenkrebs passiert“

Ein Tumor in der Lunge eines Menschen.
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Die internationale Elite der Lungenkrebsforschung trifft sich am 26. und 27. Juni zur „3. Cologne Conference on Lung Cancer” (CCLC) im Maritim Hotel in Köln. Die Experten haben viel zu besprechen, denn es tut sich eine Menge beim Thema Lungenkrebs. Mediziner und Wissenschaftler aus Köln schieben diese Entwicklungen entscheidend mit an. Jürgen Wolf, Ärztlicher Leiter des Centrums für Integrierte Onkologie der Uniklinik Köln, sagt: „Wir haben es in Köln in die Champions League der Lungenkrebs-Forschung und -Behandlung geschafft.“ Im Gespräch erläutert der Mediziner die guten Nachrichten für Patienten.
Herr Prof. Wolf, Lungenkrebs klingt nach Todesurteil. Oder ist diese Annahme veraltet?
Diese Annahme trifft leider für viele Patienten immer noch zu. Aber für immer mehr eben nicht mehr. Insofern ist die Annahme, wenn man sie so pauschal formuliert, definitiv veraltet. Die meisten Patienten werden erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Da sie dann nicht mehr operiert werden können, haben sie kaum eine Chance auf Heilung. Aber durch die Fortschritte in der medikamentösen Therapie, verwandelt sich der Lungenkrebs für immer mehr dieser Patienten von einer akut tödlichen Bedrohung in eine chronische, immer besser behandelbare Erkrankung.
Verliert Lungenkrebs damit seinen Schrecken?
Lungenkrebs ist in Deutschland und überall auf der Welt die häufigste Krebstodesursache. Das wird auch noch eine ganze Weile so bleiben. Selbst der Lungenkrebs der Nie-Raucher, und das sind meistens jüngere Frauen, ist weltweit die siebthäufigste Krebstodesursache. In Deutschland erkranken jährlich rund 60.000 Menschen an Lungenkrebs. Über Jahrzehnte hinweg war für die Patienten, die man nicht operieren konnte, die Chemotherapie die einzige Option. Sie hat viele Nebenwirkungen, sehr wenig Effekt und das mediane Überleben lag im Bereich von zehn bis zwölf Monaten. Das heißt: nach einem Jahr war die Hälfte der Patienten tot.

Prof. Dr. Jürgen Wolf, Ärztlicher Leiter des Centrums für Integrierte Onkologie (CIO) an der Uniklinik Köln.
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Aber das ist heute ist das anders?
Zwei neue Therapien haben die Lage enorm verändert. Das eine ist die personalisierte Therapie, andere Bezeichnungen sind Präzisionsmedizin oder individualisierte Therapie. Dafür untersucht man den Tumor auf bestimmte Veränderungen im Genom, die sich therapeutisch angehen lassen. Durch die Erkenntnisse der Genomforschung haben wir gelernt, dass Lungenkrebs nicht gleich Lungenkrebs ist, sondern aus vielen Untergruppen besteht. Bei ungefähr einem Drittel der Lungenkrebs-Patienten bekommt man mit Hilfe der molekularen Diagnostik heraus, dass eine dieser Treiber-Mutationen vorliegt.
Und dann?
Dann können diese Patienten zielgerichtet behandelt werden. Sie bekommen meistens nur Tabletten, die haben mal mehr, mal weniger Nebenwirkungen, sind aber durchweg besser verträglich als eine Chemotherapie. In einzelnen dieser Subgruppen ist das mittlere Überleben auf sieben, acht Jahre gestiegen. Und wir haben Patienten, die schon zehn, zwölf Jahre mit metastasiertem Lungenkrebs leben, die Sport treiben, die sich um ihren Beruf kümmern. Diese Therapie hat nicht das Potenzial zu heilen, aber eben immer mehr dieser Patienten leben mit ihrer Erkrankung ein immer längeres und gutes Leben. Das ist ein Riesenfortschritt.
Und die zweite neue Therapie?
Tumore haben sehr viele Mechanismen, um die körpereigene Abwehr zu unterdrücken. So können sie unbehelligt wachsen. Den wichtigsten dieser Mechanismen können wir jetzt medikamentös blockieren – das nennt sich Immuntherapie, dafür gibt man intravenös Medikamente, die sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitoren. Wir haben festgestellt, dass sich die Wirkung einer Chemotherapie dadurch verstärken lässt. Bei manchen Patienten, das hängt wieder von der Art des Tumors ab, kann man mit einer Immuntherapie sogar auf die Chemotherapie verzichten. Diese Entwicklung schreitet rasant voran, übrigens auch bei anderen Tumoren. Zusammengenommen heißt das: Es gibt keinen Patienten mehr, für den die alleinige Chemotherapie, die jahrzehntelang der Standard war, noch die korrekte Therapie ist. Das ist eine wirklich gute Nachricht.
Wie zuverlässig wirkt die Immuntherapie?
Ungefähr die Hälfte der Patienten profitiert davon. Aber das Spannende ist: 15 bis 20 Prozent der Patienten haben ein Langzeitansprechen. Gerade wird eine große nationale Studie, an der wir federführend beteiligt sind, vorbereitet, die untersuchen soll, ob man bei diesen Patienten nach zwei Jahren mit der Immuntherapie aufhören kann, ob sie dann geheilt sind. Es ist geradezu atemberaubend, was in den letzten zehn, zwanzig Jahren beim Lungenkrebs passiert ist und was noch immer passiert. Meine Botschaft an die Patienten lautet: Achten Sie darauf, dass Ihr Tumor getestet wird und holen Sie notfalls eine Zweitmeinung ein. Wir haben im von Köln koordinierten nationalen Netzwerk Genomische Medizin (nNGM), einer in Europa einzigarten Initiative zur Präzisionsmedizin bei Lungenkrebs, im Moment 30 Zentren in Deutschland, fast alles Unikliniken, die für über 550 Partner, das sind kommunale Krankenhäuser und Praxen, diese molekulare Diagnostik machen und Empfehlungen für die bestmögliche Therapie geben.
Warum wird Lungenkrebs noch immer erst so spät festgestellt?
Weil Lungenkrebs meist lange wächst, ohne Symptome zu verursachen. Und er metastasiert sehr früh. Wenn erste Symptome auftreten, ist das meistens schon passiert.
Und es gibt keine Chance, den Krebs früher zu finden?
Doch, mit der Früherkennung mittels CT-Diagnostik. Ab dem nächsten Jahr wird das zur Kassenleistung. Aber nur für Patienten ab einem gewissen Alter, die lange geraucht haben. Der Effekt wird da sein, aber nicht gigantisch. Gerade die zunehmende Zahl an jüngeren Frauen, die Lungenkrebs bekommen, wird dadurch nicht erfasst werden. Noch wichtiger als die Früherkennung wäre aber, dass wir das Zigarettenrauchen teurer machen. Das wird von der Politik bei uns im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten leider extrem halbherzig angegangen, der Lobbyismus der Tabak-Industrie ist hier immer noch zu erfolgreich.
Wie viele Menschen mit Lungenkrebst haben geraucht, wie viele nicht?
Etwa 80 Prozent haben geraucht, 20 Prozent nicht. Der Lungenkrebs bei Nichtrauchern ist eine zunehmende Erkrankung.
Wieso bekommt man ihn?
Da gibt es spannende Hypothesen. Derjenige, der diese Hypothesen vor zwei Jahren zuerst formuliert hat, Professor Swanson aus London, spricht auch auf unserer Kölner Lungenkrebs-Konferenz. Er hat sehr viele experimentelle und epidemiologische Daten aus aller Welt gesammelt und glaubt, dass die Feinstaub-Belastung möglicherweise eine Rolle spielt. Das wird zurzeit sehr intensiv diskutiert, es spricht einiges dafür, aber noch ist es eine Hypothese.
Was sagen Sie Menschen, denen Sie die Diagnose Lungenkrebs mitteilen müssen?
Ich sage einem Patienten mit fortgeschrittener Lungenkrebserkrankung ganz offen, dass wir ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht heilen können. Dass wir aber eine gute Chance haben, die akut tödliche Bedrohung in eine chronische Erkrankung zu verwandeln. Ich zeige Beispiele von Patienten auf, die schon viele Jahre sehr gut damit leben. Und dann erkläre ich, dass diese Durchschnittszeiten, die die Patienten im Internet lesen, wirklich nur Durchschnittswerte sind, die für den einzelnen Patienten meist wenig Bedeutung haben. Bei der Hälfte läuft es schlechter, aber bei der anderen Hälfte läuft es eben auch besser. Hieraus sollen und können die Patienten Mut schöpfen. Dazu kommt, dass die Entwicklung neuer Medikamente gerade so schnell geht, dass ein Patient bei einem Rückfall möglicherweise schon eine neue Option bekommt. Immer mehr Patienten profitieren von dieser rasanten Entwicklung während ihres Krankheitsverlaufs.