Claudia Lehnen, Chefreporterin des Kölner Stadt-Anzeiger, traf die junge Kölnerin Lotta, deren Krankheit sie verschwinden ließ.
Kölner Geschichten 2025Wenn das Leben plötzlich zum Stillstand kommt

Die Kölnerin Lotta leidet an einer schweren Form von ME-CFS.
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Es gehört zu den schlimmsten Dingen, die man sich als Mutter oder Vater vorstellen kann: Das eigene Kind ist schwer krank. Liegen bekannte Krankheiten vor, liegt ein kleiner Trost in der Tatsache, dass es in Deutschland Hilfe gibt, ein starkes Gesundheitssystem, kompetente Ärztinnen und Ärzte, eine Pharmabranche, die Wirkstoffe entwickelt hat, die Leiden lindern und im besten Fall doch so etwas wie Heilung versprechen.

Lotta ist an ME/CFS erkrankt.
Copyright: Julischka Heilmann
Für Eltern, deren Kinder von der Krankheit ME/CFS betroffen sind, entzieht sich dieser Trost zu einem großen Teil. Weil die Krankheit, die manchmal im Schlepptau heftiger Infektionen auftreten kann, nur wenig erforscht ist und lange Zeit als „Hysterie“ abgetan wurde, gibt es kaum Strukturen und bislang keine zugelassenen Medikamente.
Verzweifelte Eltern
Als ich gegen Ende des Jahres Lottas Eltern besuchte, traf ich ein verzweifeltes Paar an. Seit knapp zwei Jahren liegt ihre mittlerweile 18 Jahre alte Tochter im Bett, von einer Infektion mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber hat sie sich seit dem Frühjahr 2024 nicht mehr erholt.
Sie liegt in ihrem abgedunkelten Zimmer und während andere junge Erwachsene in ihrem Alter sich gerade auf das Abitur vorbereiten, in den Pausen quatschen und lachen, Limonade oder Bier trinken, Sport treiben, sich verlieben und das Autofahren lernen, ist Lotta von der Außenwelt weitgehend isoliert.
Die Eltern haben eine Odyssee zwischen verschiedenen Ärzten und Kliniken hinter sich, sie haben 40.000 Euro in Nahrungsergänzungsmittel und verschiedene Therapie-Hoffnungen gesteckt. Bislang mit wenig Erfolg. Lotta klagt über unerträgliche Kopf- und Nervenschmerzen, Tinnitus und Sehstörungen, sie hat keine Kraft, sich hinzusetzen, zeitweise war sogar das Kauen unmöglich für sie.

Die Eltern, Julischka und Sebastian Heilmann, pflegen ihre Tochter Lotta rund um die Uhr.
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Schon kleine Reize wie eine weitere Person im selben Raum können die Post Exerzionelle Malaise auslösen, einen Crash, der alle Symptome verschlimmert. An ihrem 18. Geburtstag, als sie sich über das Geschenk freute, trieb ihre Mutter die Sorge um: Hat sie sich zu viel gefreut? Wird es ihr nun noch schlechter gehen?
Bislang keine Heilungsaussicht
Die Vorstellung, dass diese Krankheit bislang nicht heilbar ist und Lottas junges Leben seit so vielen Monaten komplett pausieren muss, hat mich sehr bewegt. Aber nicht nur Lotta und andere Betroffene leiden. Mit ihnen auch ganze Familien, die ihren Alltag um eine Krankheit bauen, die noch niemand komplett verstanden hat, geschweige denn heilen kann. Sie leben in Wartestellung, hoffend auf Medikamente, hoffend auf Therapien, die es noch nicht gibt.
Es ist gut, dass die Bundesregierung in den kommenden zehn Jahren 500 Millionen Euro in die Erforschung postinfektiöser Krankheiten stecken will, um eine Heilung Mitte der 30er Jahre erreichen zu können. Für die betroffenen Familien müsste das Tempo aber dringend erhöht werden. „Lotta fragt mich jeden Tag: Was hast du heute gemacht? Aber ich bin kein gutes Tor zur Welt. Denn auch ich erlebe nichts“, sagt Lottas Mutter. Wer das hört, weiß: Um jeden Tag, an dem das Leben dieser Familien früher wieder starten kann, muss gekämpft werden.
Immer am Jahresende schreiben Mitglieder der Kölner Stadt-Anzeiger-Redaktion über die Geschichten, die sie besonders tief berührt, manchmal aber auch erheitert haben - Geschichten, die ihnen im Kopf geblieben sind. Claudia Lehnen, Chefreporterin des Kölner Stadt-Anzeiger, schrieb über ihre Begegnung mit der 18 Jahre alten Kölnerin Lotta, deren Krankheit sie verschwinden ließ. Hier lesen Sie die ganze Geschichte über Lotta und ihre verzweifelten Eltern. Die Geschichte erschien im Dezember 2025.

