Blue Shell„Es weht ein junger Geist durch den Laden“

Das Blue Shell auf der Luxemburger Straße
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- Das „Blue Shell“ auf der Luxemburger Straße ist eine Institution im Kölner Nachtleben.
- Seit 2001 ist Rolf Kistenich alleiniger Inhaber. Im „Blue Shell“ angefangen zu arbeiten hat er bereits 1986.
- Die Kölner Institution musste sich an die aktuellen Vorlieben der Gäste anpassen. Der Billiardtisch blieb aber immer erhalten.
Köln – Herr Kistenich, können Sie sich daran erinnern, was Sie als Gast an Ihrem ersten Abend im Blue Shell erlebt haben?
Das war 1980, und ich hatte Haare bis zum Hintern. In unserem Dorf Niederkassel-Lülsdorf war ich der „Mattenkönig“. Musik hat mich schon immer interessiert, ich habe zu der Zeit sehr viel „Sounds“ gelesen und ich wusste von Freunden, dass im Blue Shell gute Musik lief. Ich hatte keine Lust mehr, die Rolling Stones zu hören und habe angefangen, mich für Rough-Trade-Sachen zu interessieren. Als ich das erste Mal ins Blue Shell kam, standen die Punks auf den Flippern, und es flogen Stühle durch die Luft. Es herrschte eine harte Stimmung. Ich hatte jedenfalls Angst, dass die Punks mir die Haare abschneiden, weil die Hippies natürlich uncool fanden. Ist aber alles gut gegangen.

Rolf Kistenich am Billardtisch
Copyright: Michael Bause
Zur Person
Rolf Kistenich, 55, ist gelernter Betriebselektriker und hat in diesem Beruf 19 Jahre lang gearbeitet. Angefangen hat er 1986 im Blue Shell als DJ, 1994 wurde er Mitbetreiber des Ladens, seit 2001 ist er alleiniger Inhaber. www.blue-shell.de
Welche Musik lief an dem Abend?
Ich erinnere mich an „Borstal Breakout“ von Sham 69 und „Nag, Nag, Nag“ von Cabaret Voltaire, und es lief auch „Lust For Life“ von Iggy Pop. Da wusste ich: Hier bin ich richtig, das ist mein Laden.
Mitte der 80er haben Sie im Blue Shell als DJ angefangen. Wann und wie kam es dazu, dass Sie den Laden übernommen haben?
Das war 1994. Zu der Zeit hatte ich schon 19 Jahre bei Dynamit Nobel als Betriebselektriker gearbeitet. Nachts habe ich in verschiedenen Läden Platten aufgelegt. Ich war nicht nur im Blue Shell DJ, sondern auch der erste DJ im m20, im Sixpack und im Rose Club. Zur Arbeit musste ich mich nach einer Partynacht immer quälen, und als es bei meiner Firma eine Abfindungsregelung gab, habe ich die wahrgenommen. Vor allem deshalb, weil ich mir sonst ein Leben lang Vorwürfe gemacht hätte, es nicht versucht zu haben. Ich sollte etwas wagen, und das habe ich getan. Zuerst bin ich bei dem Vorbesitzer mit eingestiegen, seit 2001 führe ich den Laden alleine.
Das Blue Shell gibt es seit 1979. Der Laden ist eine Institution, die man behutsam behandeln muss. Welche Änderungen haben Sie vorgenommen, seit Sie Inhaber sind?
Mit dem Begriff „früher“ konnte ich nie etwas anfangen. Als ich eingestiegen bin, gab es das Blue Shell schon 15 Jahre. Es war nicht unbedingt der Szeneladen, eher ein Laden für verschiedene Szenen. Es gab Punks, es gab Teddies, es gab anfangs die SPEX-Fraktion, es gab die Abteilung der Saturn-Mitarbeiter und die der Eins-a-Billardspieler, zu der unter anderem Arno Steffen gehörte. Aber es gab hier auch Zeiten, da war das Blue Shell wie eine Bahnhofskneipe in Castrop-Rauxel. Ein ewiges Auf und Ab!
Als wir noch um fünf Uhr abends aufgemacht haben, standen die ersten Gäste um eine Minute nach fünf am Billardtisch, und um halb sechs war die Bude voll. Als wir dann anfingen, Konzerte zu veranstalten, war der Billardtisch kurzzeitig weg und wurde vermisst. Der Billardtisch ist das Herz des Ladens. Es war unwahrscheinlich schwer, den infrage zu stellen. Mittlerweile wird der sofort wieder aufgestellt, wenn die Bands nach dem Konzert abbauen. Oft findet man die Helden, die gerade noch auf der Bühne standen, dann mit ihren Fans am Billardtisch wieder.
So hat sich Kölns Nachtleben verändert
Wie hat sich das Ausgeh- und Feierverhalten der Menschen in den letzten Jahrzehnten verändert?
Die Leute kommen auf jeden Fall später. Früher musste man irgendwo hingehen, um Leute zu treffen. Heute sitzen die Menschen vor Facebook und haben da erst einmal ihre sozialen Kontakte. Deshalb war es eine richtige Entscheidung, vermehrt Konzerte zu veranstalten. Das Konzerterlebnis gibt es nur live. Nach der Band übernimmt ein DJ.
Was muss man tun, um immer wieder eine neue Generation von Ausgehwilligen ins Blue Shell zu bekommen? Der Ausschank von geistigen Getränken allein reicht ja wohl nicht.
Es ist wichtig, sich immer wieder neues und junges Personal in den Laden zu holen. Eine Weile war es schwierig, DJs im Laden zu haben, weil die vor sich hinwuselten, ohne auf die Leute einzugehen. Aktuell habe ich aber wieder jeden Tag DJs. An vier von sieben Tagen legen freche, selbstbewusste junge Damen auf. Der weibliche Blickwinkel ist oft so erfrischend, die Mädchen machen die Hits! Es ist eben was anderes, wenn eine 20-Jährige „Ticket To Ride“ spielt und das mit ihren neuen Songs kombiniert.
Mit einem der Mädels lege ich freitags zusammen auf, das macht richtig Spaß. Die entdecken durch mich Sachen, die sie nicht kennen. Ich habe vieles von dem, was für die Jüngeren neu ist, in Echtzeit miterlebt. Ich bin der Alte, der denen beim Auflegen was zur Musik erzählt. Mein junges Personal ist ansonsten in den sozialen Netzwerken unterwegs und wirbt für sich, ganz selbstverständlich. Die präsentieren den Laden, nicht der Papi. Ich bin froh, dass ein junger Geist durch den Laden weht. Von dem alten Ruf, den das Blue Shell hat, kann man sich sowieso nichts kaufen.
Wie es mit dem „Blue Shell“ weitergehen wird
Was soll bleiben und was soll noch kommen in den nächsten Jahren?
In fast 37 Jahren ist aus dem Blue Shell keine Karaoke-Bude geworden, und das soll so bleiben. Es gab Phasen, in denen wir ein bisschen kommerzieller waren. Aber wenn hier „Sweet Home Alabama“ von Lynyrd Skynyrd oder was von den Eagles läuft, kommt der Papi und sagt nett, dass wir für so etwas keine Zeit haben. Aber was soll ich machen, wenn meine jungen DJs das heute erst für sich entdecken? Wichtig ist, dass das Blue Shell insgesamt für eine gewisse Haltung steht und nicht stehenbleibt. Es darf ruhig ein bisschen quer sein, und das ist es zum Beispiel bei unserer Freitags-Party „Lust for Life“. Da lege ich zusammen mit „Di Blonde“ hemmungslos subjektiv auf.
Welche Rolle spielt das Gefüge im Bermuda-Feiereck der Luxemburger Straße?
Eine große. Das Stereo Wonderland und wir sind sehr gute Nachbarn, und mit dem Luxor verstehen wir uns auch traditionell gut. Für das Viertel ist es wichtig, dass viele Bars, Clubs und Lokale gut laufen. Dann gibt es auch eine Fluktuation zwischen den Läden.
Angenommen, es gäbe einen Wunschzettel für das Kölner Kulturleben: Welchen Wunsch würden Sie ganz nach oben schreiben?
Es kann sein, dass andere das nicht so sehen. Aber ich möchte an dieser Stelle mal ein Lob aussprechen. Das Kulturamt der Stadt Köln hat uns immer unterstützt. Manfred Post, dessen Tätigkeit man anfangs als „Rockbeauftragter“ einsortierte, hat über viele Jahre bis zu seiner Pensionierung hervorragende Arbeit gemacht. Ich finde, dass auch sein Nachfolger Till Kniola, der jetzt Referatsleiter für Pop- und Filmkultur ist, eine gute Wahl ist.
