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„Die vergessenen Opfer“Kölner Verein hilft älteren Frauen nach sexualisierter Gewalt

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Symbolbild 

Südstadt  – Nach Erhebungen des Bundeskriminalamts wurden im Jahr 2018 140 755 Personen Opfer von Gewaltakten. 81,3 Prozent davon sind Frauen. 98,4 Prozent der Opfer von Vergewaltigungen, sexueller Nötigung, Übergriffen, Bedrohungen, Freiheitsberaubung oder Zwangsprostitution sind laut den Untersuchungen weiblich.

122 Frauen verloren in dem Jahr durch Gewalt in der Partnerschaft ihr Leben. Zahlen des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2019 belegen, dass mehr als ein Mal in der Stunde Frauen durch ihre Partner körperlich verletzt werden.

Übergriffe werden verschwiegen

Die Dunkelziffer jedoch wird wesentlich höher geschätzt. Vor allem sexualisierte Gewalt gegen ältere Frauen verschwindet in den Statistiken oftmals, da es häufig erst gar nicht zur Anzeige kommt.

„Eine klassische Situation ist beispielsweise der Besuch des Ehemanns im Pflegeheim. Nach seinem Besuch finden die Mitarbeiterinnen eine extrem verstörte Bewohnerin mit blauen Flecken an Unterarm und Schenkeln vor; auf dem Bettlaken sind Spermaspuren erkennbar. Hier hat der Gatte seine vermeintlichen Rechte hinter verschlossenen Türen vielleicht ohne Zustimmung eingefordert und ist sich keiner Schuld bewusst“, sagt Martina Böhmer.

Es werde nicht darüber geredet, denn nicht selten sind die Pflegekräfte in dieser Situation überfordert. Auch die Heimleitung habe in der Regel kein Interesse am Bekanntwerden eines Übergriffes im Haus. „Also wird auf beiden Seiten geschwiegen und verdrängt“, sagt Böhmer. Die 61-Jährige arbeitete selbst als Pflegerin und gründete 2010 unter dem Eindruck der Tabuisierung sexualisierter Gewalt den Paula e.V. – eine Beratungsstelle für Frauen ab 60 Jahren.

Ältere Frauen benötigen Hilfe 

Zu den Themengebieten des gemeinnützigen Vereins, der sich mittels Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziert, gehören unter anderem auch Kriegserlebnisse, erzwungene Migration, chronische Erkrankungen und Demenz. Über die auf Wunsch anonymen telefonischen sowie Präsenz-Beratungen hinaus sollen zukünftig auch Besuche bei den Interessentinnen realisiert werden. Das Honorar richtet sich nach den individuellen Möglichkeiten der Frauen. Zum Angebot von Paula e.V. gehören auch Informationsveranstaltungen, Fortbildungen für Institutionen oder Supervisionen.

„Leider glauben viele Menschen, dass Vergewaltigungen sich nur auf Mädchen oder jüngere Frauen beziehen. Dem ist natürlich nicht so. Ich hatte und habe leider regelmäßig Personen hier, die diese Taten als 70-, 80- oder 90-Jährige erleben und dringend Hilfe – beispielsweise in Form einer Traumatherapie – benötigen.“

Sicherer Ort für „vergessene Opfer“

Dabei sei es für die Frauen schon eine große Überwindung, sich überhaupt mitzuteilen. Grundsätzlich brauche es eine Lobby für diese Menschen, die zu vergessenen Opfern wurden. Ein Beispiel für eine große Opfergruppe sind die überlebenden „Trostfrauen“, die im Zweiten Weltkrieg von der japanischen Armee zur Prostitution gezwungen wurden und öffentlich für eine Anerkennung des Unrechts kämpfen.

Buchtipp und beratungen

Die Vereinsgründerin ist auch Autorin von Fachbüchern:, zum Beispiel: Martina Böhmer: „Ich fühle mich zum ersten Mal lebendig“ und „Erfahrungen sexualisierter Gewalt in der Lebensgeschichte alter Frauen“, Mabuse Verlag.

Paula e.V. , An St. Magdalenen 11, 50678 Köln, 0221-96676422 Beratungszeiten: Montags 10-11 Uhr, donnerstags 15-16 Uhr

www.paula-ev-koeln.de 

„Wichtig ist, dass die Betroffenen das Gefühl haben, ihnen wird zugehört. Sie sind hier an einem sicheren Ort. Es spielt auch keine Rolle, ob die Geschehnisse aus der Vergangenheit oder der Gegenwart stammen. Wir möchten die Frauen darin unterstützen, passende Wege zur Verbesserung ihrer Situation zu finden“, so die Expertin für geriatrische Psychotraumatologie, die auch als Autorin und Referentin tätig ist.

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