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„Signifikanter Unterschied“Wie es um die Sicherheit von Frauen in Köln steht

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Der Friesenplatz mit der Platzfläche und den dortigen Ebenen der U-Bahn-Station.

Sie sind dunkel, verwinkelt, unübersichtlich: U-Bahn-Haltestellen sorgen für eine gefühlte Unsicherheit. Hier am Friesenplatz. 

Viele Frauen haben noch immer Angst im öffentlichen Raum. Köln versucht gegenzusteuern. Doch für viele Frauen bleibt Sicherheit im Alltag keine Selbstverständlichkeit.

Spätabends im Frühsommer 2023 ist Mona B. noch in Köln unterwegs. Sie fährt mit dem Fahrrad durch den Grüngürtel. Kurz zögert sie – der Weg ist nachts sehr dunkel. Doch ein paar Menschen sind trotz der Uhrzeit noch unterwegs, der Abschnitt durch den Park ist nicht lang.

Zwischen der Haltestelle Stadtarchiv Eifelwall und der Uni-Mensa passiert es. Aus dem Augenwinkel sieht Mona zwei Personen, etwas abseits des Weges. „Ich habe einen Hilfeschrei gehört“, erzählt sie heute. Sie bremst, steigt ab und rennt los. Der Mann flieht, die Frau liegt am Boden. Erst später begreift Mona, dass sie gerade eine Vergewaltigung verhindert hat. Die Frau war zuvor sexuell belästigt worden. Ehe sie die Polizei rufen konnte, hatte der Mann bereits den Arm um sie gelegt.

Viele Frauen kennen ähnliche Geschichten. Die Arbeitskollegin, die im Klub K.o.-Tropfen ins Getränk bekam. Die Bluse, die nicht mehr getragen wird, weil es zu viele Kommentare gab. Der Taxifahrer, der die Tür nur gegen einen Kuss öffnete. Oder die blauen Flecken an den Oberschenkeln einer Freundin.

Frauen und Männer bewegen sich unterschiedlich durch die Stadt, sagt Julia Pedersen, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Köln: „Es gibt einen signifikanten Unterschied im Sicherheitsempfinden weiblich und männlich gelesener Personen.“

Viele Frauen halten den Schlüssel zwischen den Fingern, wählen beleuchtete Umwege, blicken sich häufiger um. Ein Grund dafür sei Catcalling – also sexuelle Belästigung ohne Körperkontakt. Pedersen sagt: „Das ist eine Machtdemonstration. Es geht darum zu zeigen: Ich kann etwas tun, damit du dich unsicher fühlst.“

Die überwiegende Mehrheit der Opfer sexueller Gewalt sind Frauen. In Köln sind die Zahlen zu Vergewaltigungen, sexuellen Übergriffen und sexueller Nötigung 2024 zwar leicht zurückgegangen: Die Polizei registrierte 310 Vergewaltigungen (2023: 322) sowie 120 Fälle sexueller Übergriffe und sexueller Nötigung (2023: 134). Angestiegen ist jedoch die Zahl der sexuellen Belästigungen: Sie kletterte von 513 im Jahr 2023 auf 588 im Jahr 2024; 577 der Betroffenen waren Frauen. Bundesweit ist die Zahl der weiblichen Opfer von Gewalt und Straftaten 2024 laut Polizeilicher Kriminalstatistik erneut gestiegen.

Mona hat das Erlebte inzwischen verarbeitet und wurde von der Polizei Köln für ihre Zivilcourage ausgezeichnet. Dunkle Wege meidet sie trotzdem. Und ihren Freundinnen sagt sie heute: „Schreib kurz, wenn du zu Hause bist.“

Unterführung von der Boltensternstraße entlang der    Kleingartensiedlung zur Mülheimer Brücke.

Nur schwer einsehbar: Die Unterführung von der Boltensternstraße entlang der Kleingartensiedlung zur Mülheimer Brücke.

Eine sicherere Stadt entstehe auch durch bessere Planung, sagt Gleichstellungsbeauftragte Pedersen. Mit ihrem Team arbeitet sie an einer Neuauflage des Konzepts „Gendermainstreaming“, das seit 2004 in Köln existiert. Die Idee: Bei allen städtischen Entscheidungen muss die Stadt prüfen, ob Räume von allen Menschen gleichwertig genutzt werden können. „Wenn das nicht der Fall ist, müssen wir fragen: Warum nicht?“, sagt Pedersen.

Stadtplanung, die die Bedürfnisse von Frauen mitdenkt, mache eine Stadt automatisch für alle sicherer – für ältere Menschen, Kinder, Menschen mit Behinderung oder sichtbarem Migrationshintergrund und ebenso für Männer. Mehr Beleuchtung und eine bessere Übersicht über öffentliche Räume tragen insgesamt zu einem stärkeren Sicherheitsgefühl bei allen bei.

Wie Stadtplanung zur gefühlten Sicherheit beiträgt

Yasemin Utku, Professorin für Städtebau und Planungspraxis an der Technischen Hochschule Köln, beschäftigt sich ebenfalls damit, wie Stadtplanung zur gefühlten Sicherheit beitragen kann. Sie sagt: „Eine sichere Stadt ist eine funktionierende Stadt.“ Mobilität müsse verlässlich sein. „Bewohnerinnen müssen mit dem Rad sicher von A nach B kommen. Und wenn ich eine Bahnstation betrete, muss ich darauf vertrauen können, dass auch zeitnah eine Bahn fährt und nicht erst in 30 Minuten.“

Eine Frau mit Locken schaut in die Kamera

Yasemin Utku von der Technischen Hochschule Köln beschäftigt sich auch in ihrem Universitätsalltag mit einer geschlechtersensiblen Stadtplanung.

Auch Frauen, die nicht fließend Deutsch sprechen oder seh- oder gehbehindert sind, müssten sich schnell und sicher orientieren können, nicht nur abends im Dunkeln. Eine Stadt müsse so gestaltet sein, dass Menschen sich gerne in ihr aufhalten. Belebte Plätze nähmen Angst und erhöhten das Sicherheitsgefühl. Je vielfältiger ein Raum genutzt werde, umso sicherer werde er wahrgenommen. Am Ebertplatz werde genau das versucht.

Ein zentraler Ansatzpunkt seien U‑Bahn-Haltestellen: „Dort kommen Mobilität, Erreichbarkeit, Orientierung und Aufenthaltsqualität zusammen.“ Eine bessere Beschilderung wäre ein Anfang. Und auch die Zwischenebenen, wie am Friesenplatz, müssten stärker genutzt werden. Utku schlägt Co-Working-Plätze für Studierende, öffentliche Toiletten, Anlaufstellen sozialer Träger oder Räume für die Kunstszene vor.

Fußgängerwege am Tunnel Herkulesstraße

Hier fehlt die Übersicht: Fußgängerwege am Tunnel Herkulesstraße.

Sexualisierte Gewalt sei nicht erst die Vergewaltigung. Sie beginne laut Hanna Frank bei unangenehmen Blicken, Sprüchen, Angrapschen oder unerlaubtem Filmen unter den Rock. Frank arbeitet für das Projekt Edelgard, das queere Personen, Frauen und Mädchen in Köln vor sexualisierter Gewalt schützen soll. Nahezu jede Frau, jedes Mädchen, jede queere Person kenne solche Situationen. Diese Vorfälle beeinflussen massiv, wie sicher sich Menschen im öffentlichen Raum fühlen.

Frank ist es wichtig zu betonen, dass Übergriffe und Belästigungen nicht im luftleeren Raum entstehen. Jemand belästigt, vergewaltigt, pfeift hinterher. Das seien aktive Taten, die von einer Person ausgehen, in der Regel von einem Mann. Prävention und Aufklärung seien deshalb zentral: „Ich möchte alle dazu aufrufen, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und als Stadtgesellschaft nicht wegzusehen.“

Trotzdem sieht sie Köln im Vergleich positiv: „Kein Ort ist vollkommen sicher. Aber Köln hat viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, die die Stadt sicherer machen – Edelgard ist nur eine davon.“ Ausbaufähig sei das Angebot jedoch allemal. Ein verpflichtendes Awareness-Konzept für alle großen Veranstaltungen in Köln wäre aus ihrer Sicht ein wichtiger nächster Schritt. Awareness bezeichnet ein Konzept, das auf ein respektvolles Miteinander abzielt. Es geht darum, Menschen zu unterstützen und Räume zu schaffen, in denen sich alle sicher fühlen können und in denen Übergriffe und diskriminierendes Verhalten keinen Platz haben.

Als Gleichstellungsbeauftragte begrüße Julia Pedersen ebenfalls ein städtisches Awareness -Konzept: „Im Juli 2025 hat Wien es zur Pflicht gemacht, dass für alle Klubs und Konzertstätten ab 300 Besuchern ein Awareness-Konzept gelten muss. Mir würde so etwas Ähnliches vorschweben.“ 

So präsent Unsicherheit auf der Straße ist– die eigentliche Bedrohung liegt oft im Privaten. „Bundesweit finden 80 Prozent der Verbrechen an Frauen durch Personen aus ihrem nahen Umfeld statt“, sagt Gleichstellungsbeauftragte Pedersen. Die Dunkelziffer ist hoch – auch in Köln.