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Kölner Koch Tom Franz„Ich gehöre zu denen, die hinter Netanjahu stehen“

Lesezeit 6 Minuten
Das Bild zeigt den deutschen Koch Tom Franz, der seit mehr als zwanzig Jahren in Israel lebt.

Lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Israel: der gebürtige Kölner Tom Franz.

Der Kölner Tom Franz lebt seit Jahrzehnten in Israel. Wie fühlt es sich an, in einem Land zu leben, in dem der Alltag ständig zwischen Ruhe und Eskalation schwankt?

Herr Franz, sind Sie eigentlich ein politischer Mensch?

Tom Franz: Ich habe mich für nicht politisch gehalten, glaube aber, dass ich es immer mehr werde. Es gibt einfach Dinge in den letzten Jahren, nicht nur in Israel, da kann ich nicht mehr unpolitisch sein. Als ich aufgewachsen bin, in den 1980er/1990er Jahren, da konnte man noch ganz gut ohne Politik leben.

Sie leben nun seit zwei Jahrzehnten in Israel, sind mit einer israelischen Frau verheiratet und mittlerweile zum Judentum konvertiert. Ist das nicht per se, wenn auch ungewollt oder unbewusst, politisch?

Wenn man sich entscheidet in einem Land wie Israel zu leben, wahrscheinlich noch mehr, wenn man zum Judentum konvertiert, geht man damit gewisse Konsequenzen ein. Ob das jetzt schon gleich politisch ist oder eher religiös-gesellschaftlich, das sei mal dahingestellt. Aber es ist in mancher Hinsicht ein Bekenntnis zu einer gewissen Seite.

Wie fühlt sich dieses Bekenntnis für Sie an?

Ich habe das aus Überzeugung gemacht, aus Liebe zu den Menschen, Liebe zu dem Land und dem Glauben an die Religion und das hat sich immer gut angefühlt. Mir war immer auch bewusst, dass es Anti-Israelismus und Antisemitismus gibt. Aber das, was in den letzten eineinhalb Jahren passiert ist, hat das teilweise in ein anderes Licht gestellt. Es hat mich überrascht, wie extremistisch viele Menschen immer noch oder wieder sind. Ich halte das, was ich erlebe, aber auch als Vervollständigung meines Konvertierungsprozesses. Als ich nach Israel gegangen bin, habe ich gedacht: Die Shoah ist vorbei und kommt nie wieder. So bekloppt können die Menschen nie wieder sein. Denkste...

Das heißt, das Aushalten von negativen Konsequenzen, die mit einer Entscheidung daher gehen, gehört zu der Entscheidung dazu?

Ja, denn am Ende des Tages, lässt sich das nicht herausrechnen. Es hat immer Menschen gegeben, die Vorurteile gegenüber den Juden haben oder sie so gar vernichten wollen. Das kommt in Wellen, seit es die Juden gibt. Aber, dass das noch so extrem ist, das hat mich überrascht.

Sie haben die letzten eineinhalb Jahre angesprochen, die Zeit nach dem Überfall der Hamas vom 07. Oktober 2023. Inwieweit hat sich das Leben von Ihnen und Ihrer Familie seitdem verändert?

Seitdem gibt es ein ganz anderes sicherheitspolitisches Bewusstsein. Wir wussten zwar, dass wir ins Israel leben und umgeben von Ländern sind, die uns nicht unbedingt wohlgesonnen sind. Dass es die Hamas gibt, die Hisbollah, die Huthi. Aber die Tatsache, dass hier auf einen Tag hingearbeitet wurde, an dem alle gemeinsam losschlagen, die hat uns schon die Kehle abgeschnürt. Und ich glaube genau dieses Gefühl, dass das geplant war, ist das, was alle Israelis unterm Strich eint, durchhalten und sagen lässt: „Da müssen wir jetzt durch, egal was es kostet“. Denn diese Gefahr, die wollen wir nicht ständig über uns schweben haben und niemand, derer, die das zu verantworten haben, wird kommen und auf einmal Frieden wollen. Das wird nicht passieren. Was im Iran derzeit passiert, ist noch kein Gesinnungswechsel. Was in Gaza passiert, verändert nicht die politische Landschaft dort. Sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt, wird das Gleiche wieder von vorne beginnen. Aber zumindest haben wir dann ein bisschen Luft.

Ist denn der Preis, den Benjamin Netanjahu zahlen lässt, gerechtfertigt, wenn man am Ende nur „ein bisschen Luft“ gewonnen hat?

Ganz klar: Ja. Ich habe aber auch ein großes Problem damit, wenn man das auf Netanjahu reduziert. Jeder vernünftige Regierungschef in Israel müsste das früher oder später auch tun. Dass es Netanjahu ist, kommt manchen recht, weil sie ihn dafür anfeinden können und andere, weil sie wissen, es gibt nicht so viele, die es auch machen würden. Ich gehöre zu denen, die hinter Netanjahu stehen. Und das ist auch die Mehrheit in Israel, das muss man ganz klar sagen.

Wie schaffen Sie es denn in dieser Situation, die geprägt ist von einer trügerischen Stille und explosionsartigen Eskalationen Ihren Alltag zu bewahren?

Das kann man sich von hier aus sicherlich schwer vorstellen, aber der Mensch gewöhnt sich auch an sowas. Das geht auch nicht anders. Es passiert etwas und am nächsten Tag steht man auf, muss die Kinder versorgen und geht zur Arbeit. Natürlich gibt es Phasen, da verfällt man in depressive Verstimmungen und fragt sich, wieso man das alles noch macht. Was ich schon sehr früh hier gemerkt habe, ist, wie gut das jüdische Volk im Umschalten zwischen den Extremen ist. Zwischen der Tatsache, dass es jeden Moment vorbei sein kann und einer Lockerheit, mit der hier das Leben genossen wird. Dafür, wie Israelis aus dem Stegreif feiern können, müssen Deutsche ziemlich tief ins Glas geguckt haben. Dieser Gegensatz hat mich in den ersten Jahren unglaublich beeindruckt.

Sie sprechen eine gewisse Lockerheit an, aber braucht es nicht auch Strategien, die einen den Alltag so gut es geht ohne Einschränkungen bestreiten lassen?

Es ist wie Ferien, nur dass man keine Ausflüge macht und die Kinder nicht alleine draußen spielen lässt. Insofern ist das natürlich eine besonders stressige Situation, weil die Kinder keinen geregelten Tagesablauf mehr haben. Jetzt kommt wieder das Fernlernen dazu. Dafür muss man ja aber kein Israeli sein, um zu wissen, wie das ist, wenn man nicht raus kann, alles zu Hause machen muss, alles über Zoom hereinkommt. Das hatten wir ja in Deutschland auch mit Corona. Hier in Israel hatten wir Corona und Krieg. Da kam alles zusammen.

Bei einer räumlichen Trennung und ganz besonders in Krisen- und Kriegssituationen ist es essenziell in Kontakt und informiert zu bleiben. Wie gelingt Ihnen das während des Schabbat, dem jüdischen Ruhetag, an dem auch elektronische Geräte nicht benutzt werden dürfen?

Man kann das Handy ausstellen oder sollte es zumindest nicht benutzen. Es gibt einmal die Stille Welle im Radio und eine App für das Handy. Die ist etwas genauer, mit der kann man den Radius eingrenzen, für den man Meldungen bekommen möchte. Übers Radio werden immer alle Ortschaften genannt, für die der Alarm gilt. Wenn es um den Schutz des Lebens gilt, ist das höher zu bewerten als der Schabbat. Dafür muss man nicht telefonieren oder SMS schreiben. Dass wir am Schabbat nicht telefonieren, das war auch immer schon so und in der jetzigen Situation kommt einem der Schabbat etwas länger vor. Ich muss aber auch sagen, dieses Mal war ich sehr unruhig. Ich ging in den Schabbat rein und zweimal kurz hintereinander gab es Alarm. Das ist ein schon nicht so gutes Gefühl.

Seit 20 Jahren leben Sie in Israel, immer wieder gab es in dieser Zeit und auch davor kriegerische Auseinandersetzungen oder Gewaltwellen, ich erinnere mich noch an die 1990er unter Jitzchak Rabin, als es wöchentlich zu Anschlägen in Linienbussen gekommen ist. Haben Sie je daran gedacht, nach Deutschland zurückzukehren?

Damals, Mitte der 1990er, war ich als Freiwilliger in Israel und dort auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Uns wurde die Entscheidung überlassen, ob wir gehen oder bleiben und ich habe zu mir gesagt, dass ich von den grundsätzlichen Umständen gewusst habe und trotzdem hergekommen bin, weil ich für dieses Volk etwas empfinde und zu ihnen stehen möchte und da könne ich nicht einfach gehen, weil es jetzt ein bisschen brenzlig wird. Um meine Angst zu überwinden, habe ich genau das Gegenteil gemacht von dem, was logisch erscheint: Ich bin die Buslinien gestiegen, die hochgegangen waren, um mir zu beweisen, dass mir nichts passiert.

Sie sprechen davon, zu Israel stehen zu wollen, inwiefern spielt auch die Lage für Jüdinnen und Juden in Deutschland für Sie eine Rolle, Israel nicht zu verlassen?

Man muss ja eine Alternative haben, wo man hingehen würde. Wo würde man denn hingehen? Würde ich in Deutschland leben wollen? Das wäre natürlich naheliegend. Aber ich weiß, dass ich in Deutschland als Jude nicht so leben könnte, wie hier. Und woanders hingehen? Meine Frau hat Familie in den USA, aber da zieht mich jetzt nichts hin, jetzt noch weniger, als früher. Für uns ist die rote Linie, die überschritten werden muss, um zu gehen, noch nicht überschritten. Das wäre sie, wenn wir an den Punkt gelangen würden, an dem wir nicht mehr sicher wären, nicht nur bedroht, sondern nicht mehr sicher. Wenn die Front quasi vor unserem Haus verlaufen würde.


Zur Person: Thomas „Tom“ Franz, Jahrgang 1973, geboren in Köln, ist ein deutscher Rechtsanwalt und Koch und lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Israel. 2013 gewann er die israelische Ausgabe der TV-Kochshow Master Chef, was ihm internationale Bekanntheit verschaffte. Franz ist Autor mehrerer Kochbücher über die israelische Küche. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern.


„Meine liebste Mahlzeit“ - Israelisch Frühstücken zu jeder Stunde des Tages, At Verlag, München, 2025. ISBN: 978-3-03902-264-9