Kölner Opfer beim Germanwings-AbsturzTod auf Flug 4U9525

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Heinz-Peter Kraus – hier in Australien – konnte fordernd sein. Zuletzt plante er aber, beruflich kürzer zu treten. Am 24. März kam er in der abgestürzten Germanwings-Maschine ums Leben.

Heinz-Peter Kraus – hier in Australien – konnte fordernd sein. Zuletzt plante er aber, beruflich kürzer zu treten. Am 24. März kam er in der abgestürzten Germanwings-Maschine ums Leben.

Köln – Die erste Begegnung fand um 4 Uhr morgens statt, irgendwann im Jahr 1993. Heinz-Peter Kraus hatte sich ausgeschlossen und klingelte seinen Nachbarn aus dem Bett. Von dessen Balkon kletterte Kraus, der gerade ordentlich gefeiert hatte, angeheitert auf seinen eigenen und hebelte die gekippte Balkontür auf. Am nächsten Tag klingelte er nochmal – es war der Beginn einer langen Freundschaft.

„Wenn er jemanden ernst genommen und in sein Herz geschlossen hat, konnte man sich immer auf ihn verlassen“, sagt Martin Küster, der in jener Nacht den Fremden in seine Wohnung ließ. Heinz-Peter Kraus und Martin Küster, die damals in einem Apartmenthaus in Sülz wohnten, haben sich von Anfang an ernst genommen. 22 Jahre lang konnten sich beide aufeinander verlassen.

In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind. Bei den Geschichten geht es nicht darum, ob ein Mensch prominent war oder unbekannt, erfolgreich oder verarmt. Es sollen Lebensläufe beschrieben werden. Anlässlich der Trauerfeier am heutigen Freitag im Dom gedenken wir stellvertretend für alle Opfer Heinz-Peter Kraus, der am 24. März ums Leben kam – auf dem Flug 4U9525 von Barcelona nach Düsseldorf, beim Absturz der Germanwings-Maschine in der Nähe der französischen Gemeinde Seyne-les-Alpes.

Seit dem 24. März ist diese Freundschaft nur noch eine schöne Erinnerung. Heinz-Peter Kraus gehört zu den Opfern des offenbar psychisch kranken Co-Piloten, der eine Germanwings-Maschine mit 150 Menschen an Bord in den französischen Alpen abstürzen ließ. 45 Jahre alt wurde der Unternehmer mit der stämmig-sportlichen Statur, zusammen mit ihm kam seine Freundin Bettina ums Leben, die aus der Nähe von Düsseldorf stammte. Beide waren nach Spanien geflogen, um sich „El Clásico“ anzuschauen – das legendäre Duell der spanischen Fußballgiganten FC Barcelona und Real Madrid. Heinz-Peter Kraus, der Freund des Fußballs, des Radsports und der leidenschaftliche Förderer des Vereins Kölner Triathlon Team 01, hatte sich lange auf den verlängerten Wochenend-Trip gefreut. Der frühe Tod traf einen Mann, der sein Leben minutiös durchorganisierte und dem Zufall nicht traute. „Er war jemand, der versucht hat, alle Risiken auszuschalten“, sagt Antje Kenn. Die 38-jährige sitzt im Besprechungsraum der EBL Consulting Group, einer Personalvermittlung für IT-Spezialisten in der Kölner Innenstadt, und berichtet über einen Menschen, der sich und seiner Umwelt zuweilen viel abverlangte. Vor elf Jahren gründete Heinz-Peter Kraus den IT-Recruiting-Dienstleister und baute ihn zu einem Unternehmen mit 30 Mitarbeitern aus. Große Unternehmen klopfen hier an, wenn sie Spezialisten für ihre IT-Abteilungen suchen. Die EBL-Büroräume an der Von-Werth-Straße sind schick, das Geschäft läuft gut, trotz großer Konkurrenz. 60 bis 70 Stunden habe Kraus pro Woche gearbeitet, sagt Kenn, die vorläufig die Geschäfte weiterführt. Kraus sei durchstrukturiert gewesen „von der Haarspitze bis zum Fuß“. Detailliert führte er Buch über seine Pläne – dienstliche wie private.

„Man konnte extrem viel von ihm lernen“, sagt Kenn. Kraus habe hohe Ansprüche an sich gestellt. Und er kümmerte sich um seine Leute, honorierte gute Leistungen, forderte vollen Einsatz in der Arbeitszeit, aber keine Überstunden. Er hingegen arbeitete oft bis tief in die Nacht hinein und an den Wochenenden. Selbst auf privaten Veranstaltungen habe er gern stundenlang dienstliche Probleme gewälzt. „Er lebte für das Geschäft“, sagt Kenn, die es unter Kraus bis zur Managerin brachte: „Vielleicht, weil er noch keine eigene Familie hatte.“

Martin Küster kennt auch die andere Seite des Heinz-Peter Kraus. Den Entertainer, den Frauenschwarm. Als sie sich kennenlernten, studierten beide BWL. Küster, der gebürtige Bonner, und Kraus, in Frechen-Königsdorf aufgewachsen, stürzten sich gemeinsam in das Kölner Studentenleben. HP, wie Heinz-Peter Kraus genannt wurde, sang auf Partys die Songs von Howard Carpendale und spielte Gitarre dazu. Daher auch sein zweiter Spitzname: „Der Mann mit der zärtlichen Aussprache.“ Ganze Abende lang konnte Heinz-Peter Kraus so reden wie der Schlagerstar, dessen Konzerte er besuchte. Einmal sprachen Küster und Kraus einen einwöchigen Skiurlaub lang ausschließlich im Akzent Carpendales. „Er kam super an bei den Frauen, er konnte sie schnell für sich begeistern“, sagt Küster. Aber mit nur wenigen Frauen habe es Kraus länger ausgehalten. „Oberflächlichkeiten waren ihm zuwider“, erzählt Küster. Bettina, mit der Kraus seit 2008 zusammen war, habe es geschafft, ihn geistig herauszufordern.

Für Kraus, den hochintelligenten Workaholic, der als einziger seiner Verwandtschaft studierte, bemaß sich Erfolg nicht primär in Geld. „Wir haben uns als Freunde und BWLer oft über Betriebliches unterhalten, aber Geld war nicht sein Hauptmotiv“, sagt Küster. „Er wollte fachliche Anerkennung.“ Kraus sei nicht der klassische Unternehmertyp gewesen, der mit Leidenschaft und Risiko bei der Sache ist. „Er hat durch Präzision und Fleiß Dinge zum Erfolg geführt.“ In letzter Zeit wollte es Heinz-Peter Kraus etwas ruhiger angehen lassen. Zusammen mit Bettina wollte er mehr Zeit im gemeinsamen Ferienhaus im Westerwald verbringen. „Er merkte, dass er die 70-Stunden-Woche nicht mehr so leicht wegsteckte“, sagt Antje Kenn. Er habe mehr Lebensqualität angestrebt. Der Flug nach Barcelona war die erste Auszeit vom Job nach langer Zeit.

Heinz-Peter Kraus’ Eltern sind einverstanden damit, dass über ihren Sohn in der Zeitung berichtet wird, haben dem Gedenken zugestimmt. Sie selber aber wollen über ihr Kind jetzt nicht sprechen, sie haben sich zurückgezogen. Martin Küster jedenfalls hegt keinen Groll auf den Piloten: „Er hat sich ja nicht jemanden gezielt ausgesucht, den er töten wollte“, sagt der Immobilienentwickler. Der Mann sei krank gewesen. Die Schuldfrage sei ohnehin zweitrangig. Die Opfer würden dadurch nicht wieder lebendig. Vor dem Abflug in Barcelona schickte Heinz-Peter Kraus seinen Eltern eine SMS. Er schrieb, dass er eine weitere schreiben werde, sobald er in Düsseldorf gelandet sei. „Mit ihm fällt ein Stück meiner eigenen Vergangenheit weg“, sagt Martin Küster.

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