Kölner Prostituierte„Ich lache über Zuhälter, das sind Witzfiguren”

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Viele Prostituierte gehen ihrem Geschäft in angemieteten Zimmern nach.

  • Für unsere Serie „Köln im Rotlicht“ sind unsere Reporter in die Rotlicht-Szene eingetaucht, haben mit Prostituierten, Freiern, Zuhältern und Bordellchefs gesprochen.
  • Folge 10: Die Prostituierte Caro geht freiwillig und auf eigene Rechnung anschaffen.
  • Ein Gespräch über Einsamkeit im Job, unangenehme Freier und abseitige Kundenwünsche.

Köln – Caro sitzt in schwarzer Unterwäsche auf der Bettkante. In einem Appartementhaus im Rechtrheinischen, wo Prostituierte sich tage- oder wochenweise Zimmer mieten können, hat die 22-Jährige sich vor vier Monaten im Erdgeschoss einquartiert. Die Wände ihres Zimmers sind rot gestrichen, hinter dem Bett hängt ein großer Spiegel, im Zimmer verstreut liegen Dessous, ein roter Lederrock und rosa Plüschpantoffeln mit Puschel. Zu einem Interview über sich und ihren Beruf war Caro sofort bereit. Ihre einzige Bedingung: Wenn ein Kunde klingelt, geht das Geschäft vor. Und so wurde das Gespräch an jenem Nachmittag mehrfach unterbrochen. -> Hier: Alle 20 Folgen der Serie „Köln im Rotlicht“ im Überblick!

Caro, warum arbeiten Sie als Prostituierte?

Weil ich es kann. Weil ich es mag, viele unterschiedliche Charaktere kennen zu lernen, ich unterhalte mich viel mit meinen Kunden. Und weil ich in diesem Job frei und unabhängig bin.

Sie arbeiten also freiwillig und auf eigene Rechnung – ohne jemand Drittes im Hintergrund?

Ja. Ich inseriere auf drei verschiedenen Portalen im Internet. Meine Kunden kommen dann hierhin zu mir. Davor habe ich auch eine Zeitlang im Pascha gearbeitet und ein paar Stammkunden mit hier rüber gezogen. Aber im Pascha haben rumänische Frauen die Preise kaputt gemacht – für 40 Euro machen die alles. Ich nehme hier 80 Euro für eine halbe Stunde, drunter mache ich es nicht. Ich biete mich nicht für Kleingeld an.

Viele sind der Meinung, keine Frau mache diesen Job freiwillig. 

Die Frauen, die das unter Zwang machen, sind schwach und ängstlich. Sie können sich nicht behaupten und haben kein Selbstbewusstsein. Ich lache über Zuhälter, das sind kleine Pisser. Witzfiguren. Ein richtiger Mann schickt keine Frau vor, für sich zu arbeiten. Der macht selbst.

Was war Ihr Traumjob, als Sie Kind oder Jugendliche waren?

Schule, Ausbildung, Hochzeit, Haus bauen, Kinder kriegen – das kriegst du schon als Kind so in deinen Kopf reingepresst. Aber ich bin so nicht. Ich habe einen Realschulabschluss, mit 16 wollte ich das Fachabi machen, habe es aber nicht geschafft. Ich wollte Therapeutin werden oder irgendwo im Gesundheitswesen arbeiten. Oder Psychologie studieren. Es interessiert mich, warum Menschen Freude oder Leid empfinden.

Was taten Sie, als das nicht geklappt hat?

Ich habe an der Kasse beim Discounter gearbeitet. Aber das war nicht mein Ding, ich kann mich nicht unterordnen. Also habe ich überlegt: Wie kann man als Frau Geld machen? Ich meine nicht Geld verdienen, ich meine: richtig Geld machen. Ich habe eine Annonce geschaltet, meine Telefonnummer dazugeschrieben, eine Wohnung gesucht und einfach losgelegt. Heute bin ich zufrieden mit dem, was ich habe. Ich schäme mich nicht. Ich habe ein Dach über dem Kopf, Essen, Trinken und meinen Hund. Ich mache das so lange, bis ich finanziell abgesichert bin.

Sind Sie glücklich?

Ich bin jetzt glücklicher als an der Supermarktkasse. Aber ich denke, es braucht noch ein paar Jahre, bis ich mit mir im Reinen bin. Dieser Job hat auch einen hohen Preis.

Welchen?

Er macht einsam. Man kann keine Beziehung mit einem Partner führen, das geht nicht. Ich lebe allein. Freundinnen habe ich ein paar unter den anderen Frauen hier, aber keine im privaten Umfeld.

Wissen Ihre Eltern, was Sie machen?

Meine Mama weiß es. Sie findet es nicht gut. Aber dass ich so selbständig bin – das findet sie schon gut. Meine Oma würde wohl einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie es erfährt.

Macht Ihnen der Job Spaß?

Zum Teil habe ich auch Spaß daran, ja. Es kommen ja schon auch Männer, die nett sind. Bislang hat mich aber keiner so fasziniert, dass er mich dazu gebracht hätte, Gefühle zu entwickeln.

Welche Männer kommen zu Ihnen?

Ganz verschieden. Ich bin eigentlich nicht so der Kuscheltyp, aber bei zwei Männern mache ich eine Ausnahme: Der eine ist sehr lieb, klein und komplett entstellt. Er hatte einen Motorradunfall. Er will keinen Sex, er will nur Nähe. Ein anderer zahlt 150 Euro, weil er einfach Zeit mit mir verbringen will.

Lesen Sie hier alle bereits erschienenen Folgen von „Köln im Rotlicht – Das Geschäft mit der Prostitution“ ->

Sie machen aber sicher auch unangenehme Bekanntschaften. Hatten Sie schon Angst vor einem Freier?

Du weißt natürlich nie, wer als nächstes durch die Tür kommt. Der kann total nett sein, und zehn Minuten später ist er ganz anders. Aber Angst habe ich nicht.

Was tun Sie, wenn ein Freier renitent wird?

Einer wollte mal nicht bezahlen, den habe ich rausgeschubst. Ein anderer kam gerade vom Kardiologen, er hatte eine Frau zu Hause. Dann legte der sich hierhin und verlangte Sex ohne Kondom. Ich habe ihm Angst gemacht und gesagt: „Ich hole gleich jemanden, der nimmt dich ohne Kondom, und ich gucke zu.“ Da wurde er plötzlich brav.

Glossar

Agisra

Die „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ in Köln ist seit 1993 eine Beratungs- und Informationsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen. Agisra unterstützt zum Beispiel Frauen, die von Gewalt, Sexismus oder Rassismus betroffen sind, die Sozialarbeiterinnen reden mit Frauen auf dem Straßenstrich, am Eigelstein und in Bordellen. Der Verein sitzt in der Bolzengasse in der Altstadt, Telefon 0221/124019.

Escort

Begleit-Agenturen oder Escort-Agenturen vermitteln Frauen, seltener auch Männer, gegen Honorar für eine vereinbarte Zeit. Die Agenturen dienen als Dienstleister und kassieren eine Provision von den Frauen, die oft zwischen 25 und 35 Prozent liegt. Die Preise für die meistens auch sexuellen Dienstleistungen schwanken, liegen aber nur selten unter 200 Euro pro Stunde und 1500 Euro pro Tag. Viele ihrer Mitarbeiterinnen seien Studentinnen, berichtet eine Kölner Agentur-Chefin. Eine vom Studienkolleg zu Berlin veröffentlichte Umfrage ergab, dass 3,7 Prozent aller Berliner Studierenden als Sexarbeiter im weiteren Sinne tätig sei. Verbände und Behörden gehen davon aus, dass der Großteil der im Escort-Bereich tätigen Frauen freiwillig dort arbeitet.

Hurenpass

Im Juli 2017 ist bundesweit das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Seitdem müssen Prostituierte einen speziellen Ausweis bei sich tragen, den so genannten Hurenpass. Diese Anmeldebescheinigung, die regelmäßig verlängert werden muss, ist mit Namen, Meldeadresse und einem Foto versehen. Viele Sexarbeiterinnen weigern sich, ihre Anonymität aufzugeben und den Pass zu beantragen – sie fürchten unter anderem Repressionen in ihren Heimatstaaten, in denen Prostitution unter Strafe steht. 

Laufhaus

In einem meist mehrstöckigen Laufhaus mieten Prostituierte Zimmer an. Wenn sie auf Freier warten, stehen ihre Türen offen. Der Kunde streift durch die Flure und kommt mit den Frauen ins Gespräch, die vor oder in ihren Zimmern sitzen. Welche Leistungen sie anbieten und welche Preise sie dafür verlangen, bestimmen die Frauen selbst, nicht der Laufhaus-Betreiber. Er kassiert von ihnen nur die tägliche oder monatliche Miete. Der Eintritt in ein Laufhaus ist meistens frei. Wie viele der Frauen tatsächlich selbstbestimmt arbeiten und wie viele ihre Einnahmen an einen Zuhälter abtreten müssen, ist unklar.

Loverboys

Zuhälter, die vor allem Minderjährige und junge Frauen in Clubs und im Internet ansprechen. Sie täuschen ihnen die große Liebe vor, entfremden sie aber tatsächlich von Freunden und Familie und zwingen sie in die Prostitution. Laut Polizeierkenntnissen sind Loverboys in aller Regel Einzeltäter, die oft mehrere Frauen parallel haben, ohne dass die Opfer voneinander wissen. 

Menschenhandel

Eine Straftat, auf die zwischen sechs Monate und zehn Jahre Gefängnis steht. Unter Menschenhandel versteht das Gesetz jede Form des Anwerbens, Transports oder Beherbergens von Menschen, um sie auszubeuten – zum Beispiel in der Prostitution, durch Bettelei oder Zwangsarbeit. 

Poppers

Slang für eine flüssige, nicht verbotene Droge, die in kleinen Ampullen vertrieben wird und beim Öffnen ploppt. Poppers sollen stark gefäßerweiternd, aphrodisierend, muskelentspannend und schmerzhemmend wirken – und damit helfen, den Geschlechtsverkehr zu verlängern. Werden in fast allen Bordellen verkauft. Können zu Herzrasen, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen führen, blutdrucksenkende Potenzmittel verstärken die Wirkung.

Prostituiertenschutzgesetz

Seit 1. Juli 2017 ist ein neues Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Es beinhaltet unter anderem die Verpflichtung eines so genannten „Hurenausweises“. Betreiber von Bordellen benötigen eine Erlaubnis und dürfen sich zuvor nicht im Bereich Menschenhandel/Prostitution strafbar gemacht haben. Das Gesetz sieht auch eine Kondompflicht für Freier und eine Gesundheits- und Ausstiegsberatung für Sexarbeiter/innen vor.  Sexarbeiterinnen dürfen seit Inkrafttreten des P. nicht mehr in dem Raum schlafen, in dem sie ihre Dienstleistungen anbieten – Bordellbetreiber müssen getrennte Schlaf- und Waschräume anbieten. Das Gesetz soll Sexarbeiter/innen vor Zwangsprostitution, ungeschütztem und gewalttätigem Sex schützen. Interessenverbände und Beratungsstellen kritisieren das Gesetz: Die meisten Prostituierten, die nicht freiwillig arbeiten, würden weiterhin nicht erreicht. Die Sorge, mit einem Hurenausweis identifiziert werden zu können, treibe viele Frauen in die Illegalität.

Das Gesetz hat für Prostituierte in NRW auch positive Effekte, resümiert die Prostituierten-Beratungseinrichtung Kober.  So habe sich die Hygiene in vielen Häusern verbessert, auch die Rückzugsmöglichkeiten, Aufenthaltsräume und Beratungen wurden von vielen Frauen als hilfreich beschrieben. Die in vielen Sprachen abrufbare Lola-App unterstützt demnach viele  Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, um sich besser über ihre Rechte, Krankenversicherung, Prävention und Beratungsangebote zu informieren. 

Saunaclub/FKK-Club

Die Gäste bewegen sich im Handtuch oder Bademantel durch den Club. Im Eintrittspreis enthalten sind oft Getränke und Speisen. Neben Sauna und Dampfbad gibt es meist eine Bar und separate Bereiche, in denen männliche Besucher mit Prostituierten ins Gespräch kommen. Die Einnahmen werden zwischen der Frau und dem Clubbetreiber aufgeteilt. Die Frauen sind entweder festangestellt, oder sie arbeiten auf eigene Rechnung beziehungsweise für einen Zuhälter, der sie häufig zum Club bringt und wieder abholt. Insider gehen davon aus, dass ein Großteil der Frauen in den Clubs nicht unabhängig von Zuhältern arbeitet.

Sexarbeit/Prostitution

Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe. Sexarbeit ist der neutralere Begriff, er beinhaltet keine negative Bewertung. Eine Sexarbeiterin ist eine Dienstleisterin, die einen sexuellen Service anbietet, um damit Geld zu verdienen. Das Wort Prostitution ist negativ belegt: Im Lateinischen bedeutet es, etwas „nach vorne zu stellen“ – sich preiszugeben oder auszustellen. Prostitution wird verbunden mit einem patriarchalen System –  Bordellen, Zuhältern und Freiern, die die Regeln diktieren. Bei einer Frau, die auf den Straßenstrich geht, um ihre Drogensucht zu finanzieren, würde man eher von einer Prostituierten sprechen, bei einer Frau, die sich mit Escort-Service ihren Lebensunterhalt verdient, eher von Sexarbeiterin. Bei einer jungen Frau aus Osteuropa, die im Bordell Sex anbietet, ist die Unterscheidung schwieriger – wenn sie dort arbeitet, um die Existenz ihrer Familie zu sichern, spräche man von Sexarbeit, würde sie von ihrem Vater oder Bruder unter Druck gesetzt, anschaffen zu gehen, von Prostitution. 

Sozialdienst katholischer Frauen (SkF)

Anlaufstelle im Caritasverband für Frauen und Familien in Not. Seit mehr als hundert Jahren engagiert sich der SkF in Köln für Prostituierte, informiert sie über Rechte und Pflichten, unterstützt sie bei Sorgen in Familie und Partnerschaft und hilft den Frauen beim Ausstieg, wenn sie das wünschen. Die  Geschäftsstelle ist am Mauritiussteinweg in der Innenstadt, Telefon 0221/12695-0.

Verrichtungsbox

Garagenähnliche Boxen auf dem Straßenstrich an der Geestemünder Straße in Niehl. Das fußballfeldgroße, eingezäunte Gelände eröffnete im Oktober 2001. Freier fahren dort zunächst durch eine Kontaktzone und dann mit den Frauen in eine der acht Boxen, die in einer alten Scheune untergebracht sind. Es gibt auch Container für Fußgänger oder Radfahrer. In jeder Verrichtungsbox ist ein Alarmknopf an der Wand. Während der Öffnungszeiten sind Sozialarbeiter auf dem Gelände anwesend, Ordnungsamt und Polizei kontrollieren das Gelände regelmäßig.

Weißer Ring

Hilfsorganisation für Menschen, die in Deutschland Opfer von Kriminalität geworden sind. Die ehrenamtlichen Betreuer beraten auch immer wieder Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution, unterstützen sie bei der Suche nach spezialisierten Rechtsanwälten, bei der Beantragung einer lebenslangen Opferrente oder mit der Zahlung einmaliger Soforthilfen bis zu 300 Euro. Zentrale Anlaufstelle auch für Menschen in Köln ist das Landesbüro in Düren, Telefon 02421/16622.

Zwangsprostitution

Eine besondere Form der Ausbeutung und seit 2016 ein eigener Straftatbestand neben dem Menschenhandel. Vor 2016 war der Begriff rechtlich nicht definiert. Bei Verurteilung drohen dem Täter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. Die meisten Opfer stammen aus Deutschland sowie aus Ost- und Südosteuropa. Häufig werden die Frauen angeworben, indem der Täter ihnen eine legale Arbeit etwa in der Gastronomie oder Hotellerie verspricht.

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