Kölner Raser-Jäger„Wer rast, spielt leichtfertig mit dem Leben anderer Menschen“

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Die damalige Er­mitt­lungs­gruppe „Projekt Rennen“ der Polizei Köln kontrolliert Au­to­fah­rer, die sich ver­däch­tig benommen haben. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2018.

  • Raser, Drängler und Auto-Poser sorgen immer wieder für Ärger und bringen sich und andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr.
  • Bei der Kölner Polizei kümmern sich seit 2015 speziell geschulte Ermittler um das Problem – als Folge mehrerer schwerer, teilweise tödlicher Raser-Unfälle. Und das mit Erfolg.
  • Wir haben mit dem Leiter des Einsatztrupps Rennen bei der Kölner Polizei, Jürgen Berg (58), und seinem Stellvertreter Alexander Schwarzer (36) gesprochen.

Köln – Sie drücken das Gaspedal bis zum Anschlag durch, machen Straßen zu Rennstrecken und protzen mit aufheulenden Motoren: Raser, Drängler und Auto-Poser sorgen immer wieder für Ärger und bringen sich und andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr. Bei der Kölner Polizei kümmern sich seit 2015 speziell geschulte Ermittler um das Problem – als Folge mehrerer schwerer, teilweise tödlicher Raser-Unfälle. Und das mit Erfolg. Als Projektgruppe gestartet, sind die Kölner Raser-Jäger seit dem 1. September zu einer festen Dienststelle „aufgestiegen“. Das ist einmalig in Deutschland. Wir haben mit dem Leiter des Einsatztrupps Rennen bei der Kölner Polizei, Jürgen Berg (58), und seinem Stellvertreter Alexander Schwarzer (36) gesprochen.

Die Projektgruppe Rasen wurde 2015 bei der Kölner Polizei gegründet. Wegen wie vieler illegaler Rennen hat sie seitdem ermittelt?

Jürgen Berg: Seit Gründung der Gruppe hat die Kölner Polizei in mehr als 300 Strafverfahren in Sachen illegale Fahrzeugrennen ermittelt.

Und wie viele Rennen waren es im Jahr 2019?

Berg: Wir sind bei über 80 Fällen, in denen wir den Verdacht illegaler Rennen haben.

Wie viele solcher Rennen waren es im Jahr zuvor?

Berg: Im gesamten Jahr 2018 waren es ungefähr 90 Fälle, in denen wir Ermittlungen eingeleitet haben.

Das klingt nach einer Zunahme …

Alexander Schwarzer: Wir haben steigende Zahlen, was aber nicht heißt, dass wir tatsächlich immer mehr Rennen in Köln haben.

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Leiter des Einsatztrupps Rennen bei der Kölner Polizei, Jürgen Berg, (r.) und sein Stellvertreter Alexander Schwarzer

Sondern? Was sind die Gründe für die steigenden Fallzahlen?

Berg: Die Sensibilisierung ist eine andere geworden. Zum einen sind wir als Polizei mit dem Einsatztrupp auf der Straße. Zum anderen haben wir über die vergangenen Jahre intern die Kollegen auf den Wachen fortgebildet. Das heißt, ein Wissen um den Straftatbestand ist jetzt da: Wenn ein Kollege hinter einem auffälligen Fahrer herfährt, erkennt er die Tatbestandsmerkmale eines Rennens – und dann wird das so protokolliert und hat Folgen. Das war früher nicht immer so der Fall. Zusätzlich ist der Bürger durch die ganze mediale Begleitung wacher. Wir bekommen über den Notruf immer mehr Hinweise.

Wie läuft das bei Hinweisen aus der Bevölkerung? Wenn die alarmierte Polizei vor Ort ist, ist das Rennen doch schon vorbei, oder?

Berg: Viele Bürger, die uns anrufen, können uns die Kfz-Kennzeichen nennen und genau schildern, was vorgefallen ist. Und so können wir – auch ohne, dass wir dabei waren – Anzeigen aufnehmen, die genauso verfolgt werden, als hätten wir es selbst beobachtet. Diese Hinweise stammen nicht nur von den Hotspots, sondern verteilen sich über das ganze Stadtgebiet.

Wo sind denn die Raser-Hotspots in Köln?

Schwarzer: Bei Rennen ist es so, dass es überall im Stadtgebiet dazu kommen kann. Häufig sind es die Ausfallstraßen wie Clevischer Ring, Düsseldorfer Straße, auch die Siegburger Straße in Poll. Beliebt ist auch der Abschnitt von der Inneren Kanalstraße auf die Autobahn 57.

Zählen auch der Tanzbrunnen und die Kölner Ringe nach wie vor dazu?

Schwarzer: Auf den Ringen ist es durch unsere verstärkten Kontrollen deutlich ruhiger geworden. Tanzbrunnen und Ringe sind aktuell weniger ein Hotspot für Rennen, sondern da ist das Auto-Posing angesagt.

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Seit Oktober 2017 gibt es den Straftatbestand Rennen, vorher war es eine Ordnungswidrigkeit. Was hat sich dadurch geändert?

Berg: Als es eine Ordnungswidrigkeit war, war es extrem schwer, außer dem Bußgeldbescheid noch irgendwas anderes zu erreichen. Durch den Wechsel auf den Straftatbestand Rennen haben wir die Möglichkeit, strafprozessuale Maßnahmen in Absprache mit der Staatsanwaltschaft durchzuziehen. Die Staatsanwaltschaft kann die Sicherstellung des Führerscheins, Sicherstellung des Fahrzeugs und Sicherstellung des Mobiltelefons anordnen. Das sind Rechtseingriffe, die gerade der Klientel wehtun.

Die Projektgruppe Rennen der Polizei Köln

Im Kampf gegen Raser und illegale Autorennen ist die Kölner Polizei Vorreiter. Am 1. September ist aus der Projektgruppe Rennen eine feste Dienststelle geworden. Deren Leiter Jürgen Berg sagt dazu: „In den vier Jahren, in denen das Projekt lief, haben wir versucht klarzumachen, dass es Sinn macht, es auf Dauer beizubehalten – und nicht nur für eine kurze Zeit. Dem ist man im NRW-Innenministerium gefolgt und hat für Köln diesen Einsatztrupp Verkehr/Rennen genehmigt.“ Das sei im Moment deutschlandweit einzigartig.

Welche Vorteile hat eine feste Dienststelle gegenüber einer Projektgruppe? Der Chef der Kölner „Spezialeinheit“ sagt dazu: „Seit dem 1. September haben wir eine feste Dienststelle.“ Bei der Projektgruppe gab es über vier Jahre wechselndes Personal. Die Kollegen mussten dann immer wieder angelernt werden. Und der Wechsel zur festen Dienststelle ist auch äußerlich sichtbar: nämlich durch einen Wechsel von der normalen Uniform mit den hellblauen Hemden zu den dunklen Einsatzanzügen. Die seien nicht nur praktischer, wenn die Kollegen unter den Autos liegen und nach der Auspuffanlage oder Felgen gucken.

Die Einsatzanzüge haben laut Jürgen Berg einen weiteren Effekt. Wenn eine Zivilstreife einen auffälligen Fahrer anhält und es steigen Polizisten in den dunklen Einsatzanzügen aus, dann weiß der Autofahrer: Das ist hier keine normale Verkehrskontrolle. Das könnten spezialisierte Polizisten des Einsatztrupps Rennen der Kölner Polizei sein. Dann kann er schon um sein Auto bangen. (red)

Warum auch das Handy?

Berg: Wir stellen auch das Handy sicher: als Beweismittel. Denn die Erfahrung zeigt, dass einige Tatverdächtige die Rennen filmen, um dann die Handyaufnahmen ins Netz zu stellen.

Und was machen Sie bei den darunter angesiedelten Delikten wie Rasen und Auto-Posing, also das permanente Hochjagen des Motors im Leerlauf?

Schwarzer: Wir haben es zum Standard gemacht, auch eine Meldung an das Straßenverkehrsamt zu schreiben. Damit wollen wir eine Überprüfung anstoßen, ob diese Menschen überhaupt die Reife haben, ein Fahrzeug zu führen.

Berg: Alles was rechtlich möglich ist, schöpfen wir aus.

Wurde durch die Einführung des Straftatbestandes Rennen eine Veränderung im Verhalten der Szene erreicht?

Schwarzer: Bisher können wir das nicht feststellen. Die Fallzahlen sind nicht zwingend zurückgegangen, das Niveau ist nach wie vor hoch, aber wir haben mehr Möglichkeiten empfindliche Maßnahmen gegen die Raser zu treffen.

Wie lautet das Psychogramm eines typischen Rasers in Köln?

Schwarzer: Nach unseren bisherigen Erfahrungen sind die Raser männlich und zwischen 18 und 25 Jahre alt. Häufig haben sie auch einen Migrationshintergrund.

Aber solche Autos sind doch verdammt teuer, oder?

Berg: Wir haben meistens Leute, die noch zu Hause wohnen, und ihr ganzes Geld – auch das der Familie – in ihr Auto stecken.

Schwarzer: Oder sie leihen sich schnelle Autos von Freunden oder dem Chef. Es kommt auch vor, dass diese gar nichts davon wissen.

Gibt es auch Leihwagenanbieter speziell für die Klientel?

Schwarzer: Diese spezialisierten „Kleinunternehmer“ sprießen gerade wie Pilze aus dem Boden. Sie haben nur drei, vier Fahrzeuge, die sie anbieten – meistens mit auswärtigen Kennzeichen.

Berg: Wir hatten „Kunden“, die sich einen hoch motorisierten Audi R8 für 600 Euro am Tag ausgeliehen haben.

Es ist legal, dass sich ein 18-jähriger Fahranfänger einen 400- oder 500-PS-Boliden ausleihen kann. Halten Sie es für richtig, dass es keinerlei Beschränkungen gibt?

Berg: Im Gegensatz zum Motorrad gibt es keinen Stufenführerschein. Wir würden uns wünschen, dass der Gesetzgeber hier die Initiative ergreift.

Sind Ihre Einsatzfahrzeuge so motorisiert, dass Sie mithalten können?

Berg: Auf jeden Fall. Wir haben gute Fahrzeuge und genug PS unter der Haube.

Schwarzer: Wir bewegen uns größtenteils im Stadtgebiet. Dort kommt es weniger auf Pferdestärken an, sondern darauf, dass man das Fahrzeug beherrscht. Unser Einsatztrupp ist speziell ausgebildet. Es ist ein anderes Training als beim normalen Wach- und Wechseldienst.

Was machen Rasen und Rennen so gefährlich?

Berg: Wer rast, spielt leichtfertig mit der Gesundheit und dem Leben anderer Menschen. Wenn gerade diese hochmotorisierten Fahrzeuge im Grenzbereich gefahren werden, dann muss man das können. Und die, von denen wir sprechen, können das in der Regel nicht. Sie überschätzen ihre Fähigkeiten maßlos. In diesen Grenzbereichen reicht ein kleiner Fahrfehler, etwa das Touchieren des Bordsteins – und das Fahrzeug gerät komplett außer Kontrolle. Wenn es durch die Gegend schießt, können auch unbeteiligte Verkehrsteilnehmer, Radfahrer und Fußgänger verletzt, im schlimmsten Fall getötet werden.

Viele Fahrzeuge werden technisch verändert, teilweise unerlaubt, etwa durch manipulierte Auspuffanlagen, Spurverbreiterungen oder nicht zugelassene Felgen. Wie viele solcher aufgemotzter Autos haben sie im vergangenen Jahr aus dem Verkehr gezogen, weil die Betriebserlaubnis wegen solcher Eingriffe erloschen war?

Schwarzer: In 2019 haben wir mehr als 200 Fahrzeuge erwischt, bei denen wir davon ausgehen, dass die Betriebserlaubnis wegen technischer Eingriffe erloschen war. Und wir waren noch nicht fertig. Das hat sich in der Szene inzwischen rumgesprochen. In der heißt es: Fahr nicht nach Köln, dort bekommst du Stress.

Werden diese Fahrzeuge automatisch stillgelegt?

Berg: Nein, das Erlöschen der Betriebserlaubnis heißt nicht zwingend Stilllegung. Es gibt dabei unterschiedliche Stufen. Die zuständige Prüfstelle, TÜV oder Dekra, erstellt dazu ein Gutachten. Je nach Stufe, etwa „gefährliche Mängel“, hat der Halter noch die Möglichkeit, mit seinem Fahrzeug nach Hause oder in die Werkstatt zu fahren. Die höchste Stufe lautet, das Fahrzeug ist verkehrsunsicher. Das führt häufig zur Stilllegung des Fahrzeugs. Letztendlich ist aber das Straßenverkehrsamt federführend, wir leisten dann die Amtshilfe bei der Entsiegelung.

Hintergrund: Deutlich höhere Strafen für Autorennen

Die Teilnahme an illegalen Autorennen ist seit Herbst 2017 mit deutlich höheren Strafen belegt. Anlass für die Reform waren einige spektakuläre Fälle von extremen Autorennen in Großstädten wie Köln, bei denen Menschen schwer verletzt und teilweise sogar zu Tode gekommen sind – und in denen diverse Gerichte höchst unterschiedliche Urteile gefällt haben.

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Am Steuer eines ge­lie­he­nen BMW verlor im Juli 2015 ein 27-​jäh­ri­ger Raser auf der Aachener Straße die Kon­trol­le. Es kam zu einem Unfall, bei dem ein Radfahrer (26) so schwer verletzt wurde, dass er drei Tage später verstarb.

Im „neuen“ Paragraf 315d des Strafgesetzbuches heißt es unter anderem: Wer im Straßenverkehr

1. ein nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet oder durchführt,

2. als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt oder

3. sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Wer in den Fällen Nummer 2 oder 3 Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Verursacht der Täter in solchen Fällen den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen oder vieler Menschen, so ist eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren drin.

Das Gespräch führte Chris Merting

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