Kölner TraditionsgeschäftEiner der kuriosesten Läden der Stadt muss schließen

Lesezeit 3 Minuten
Grün alt

Gerhard Zilles mit seinem damaligen Chef Ernst Masuth in den 1970er Jahren

Köln – Das Ende kam ganz schnell. Die Ware ist schon raus, die Regale aus den 1950er Jahren werden gerade zu Kleinholz gemacht und die letzten wenigen Dokumente und Fotos abgeholt. Der Kölner Traditionsladen an der Richmodstraße schließt. „Gummi Grün“ macht nach 138 Jahren zu.

„Ich musste einen Schlussstrich ziehen, es ging einfach nicht mehr“, sagt Inhaber Gerhard Zilles (67). Pandemie, Rohstoffmangel und Preisanstieg – das hat ihn geschafft. „Jetzt rufen dauernd Kunden an und jammern, dass sie ihre Dichtung für die Espressomaschine nicht bekommen. Aber das ist zu wenig zum Leben.“

Gummi Grün gibt es seit 1884

Köln verliert damit einen seiner kuriosesten Läden. Franz Grün gründete das Unternehmen 1884 mit nur wenigen Artikeln in der Herzogstraße, er bot unter anderem Utensilien für Wöchnerinnen-Betten an. Von Anfang an hatte das Geschäft ein Alleinstellungsmerkmal weit über die Stadt hinaus: Hier gab es wirklich alles aus Gummi. „Wir standen sogar in Reiseführern, da kamen viele junge Leute“, sagt Zilles.

Da machte es auch nichts, dass die Fensterdekoration – sagen wir mal – sehr rudimentär war. Gummistiefel, Badekappen, Schläuche, Gießkannen, Wärmflaschen und Fußmatten lagen einfach so da. „Viele haben zu mir gesagt: Mach doch mal was an der Einrichtung. Aber ich habe halt gezeigt, was es hier gibt. Sollte ich da noch Luftschlangen und Orangen dazwischen drapieren? Und Chrom und Glas hätten hier einfach nicht hingepasst.“

Und der Absatz funktionierte auch so – auf den verschiedensten Gebieten. Logopäden bestellten hier Saugschläuche für Sprechübungen. Karstadt nebenan kaufte Keilriemen für die Rolltreppen. Eine Kölner Werft ließ Dichtungen für Frischwassertanks anfertigen.

Karstadt kaufte bei Gummi Grün

Krankenhäuser vertrauten „Gummi Grün“ besonders und kauften hier Pömpel – also Saugglocken für Abflüsse. „Die aus Plastik sind nach wenigen Wochen kaputt. Unsere halten ewig.“ Sehr gefragt waren auch Dichtungen für Fenster, Türen und gläserne Duschen. „Damit wollte sich niemand sonst abgeben, zu kompliziert, zu viele Modelle. Wir haben gesagt: Bringen Sie die alte mit, das kriegen wir schon hin.“

Auch kamen viele Bastler und Tüftler zu Zilles. Die rollten dann große Pläne aus – was da entstehen sollte, blieb oft im Unklaren – und sagten: Dafür brauche ich jetzt eine 15-Millimeter-Dichtung mit einem Sechs-Millimeter-Loch. „Da dachte ich auch manchmal: Wie isses nur menschenmöglich“, lacht Zilles. Gemacht wurde es natürlich, hier konnte jeder Sonderwunsch erfüllt werden.

Es gab auch durchaus Laufkundschaft. Besonders die englischen Touristen, die im Dezember die Stadt fluten und auf dem Neumarkt nur ein paar Schritte weiter Weihnachtseinkäufe machen, waren von dem leicht angestaubten Ambiente angetan. „How lovely“, hätten die immer gesagt – und gerne lila Badekappen gekauft.

Ein Stück Kölner Wirtschaftsgeschichte

Gerhard Zilles hat hier seine Lehre gemacht und den Laden 2006 übernommen. „Als ich anfing, dachte ich: Gummi ist schwarz und stinkt.“ Erst mit der Zeit eröffneten sich ihm die vielen Facetten. „Ich bin fasziniert davon, was man alles daraus herstellen kann. Ohne Gummi sähe es schlecht für die Welt aus.“

Aber dennoch: Es gab nicht mehr genug Kunden und auch solche, die sich beraten ließen und dann im Internet kauften. „Wir verlieren hier eine Stück Kölner Wirtschaftsgeschichte. So etwas ist einzigartig“, sagt Ulrich S. Soénius, Direktor des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs in Köln.

Er sichtete am Freitag mit Zilles die wenigen verbliebenden Zeugnisse der Geschichte. Das große ovale Werbelogo, einige Akten und Fotos nahm er mit, um sie für die Nachwelt zu sichern. „Vielleicht möchte ja mal jemand darüber forschen.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Die rund 7000 verschiedenen Gummiartikel hat Zilles bereits abgegeben – an die Firma Lux in Zollstock, die ebenfalls Spezialistin für Gummi ist. Lux hat allerdings kein Ladengeschäft für Privatkunden. So bleibt nur die Erinnerung an die Auslagen bei Gummi Grün - ohne Luftschlangen und Orangen.

KStA abonnieren