Ukrainer in Köln„Meine Eltern wurden von Bomben geweckt“

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Die Expertin Tatiana Dettmer wohnt in Köln.

Köln – Sie telefoniere jede Stunde mit ihren Eltern in Odessa, sagt die Historikerin Tatiana Dettmer, die seit 2008 in Köln lebt. „Meine Eltern wurden heute Morgen um 5 Uhr von Bombendetonationen geweckt. Wir versuchen eine Strategie zu erarbeiten, wo sie am sichersten sind. Wir wissen allerdings nicht, wo das ist – und wo sie noch hinkönnen.“

Freunde berichten Dettmer von einer absurden Situation in der Stadt: „Einerseits gehen die Menschen zur Arbeit und zur Schule, es gibt eine gewisse Normalität – andererseits gibt es lange Schlangen vor Tankstellen und Geldautomaten, Bewohner flüchten aus der Stadt.“ Sorge bereite ihr, „dass Putin komplett irrational handelt und überhaupt nicht abzusehen ist, was weiterhin geschieht“, sagt die Osteuropa-Expertin. „Ich rechne mit einer Flüchtlingswelle, ich habe Sorge vor Angriffen auf ukrainische Atomkraftwerke, die genauso schlimm sein könnten wie der Einsatz von Atomwaffen.“ Jede Sorge sei momentan berechtigt. „Wir dürfen uns nicht sicher fühlen.“ Solidarität zu spüren, sei gut – „es hilft, ein bisschen besser mit dem Ausnahmezustand zurechtzukommen“.

Kölner Bandmitglied fühlt sich ohnmächtig

Er fühle sich „geschockt und ohnmächtig“, sagt Sava Freudenfeld von der Kölner Band HopStop Banda. „Wenn ich aus dem Fenster gucke und die Verkleideten sehe, ist da eine große Dissonanz: Das kommt mir vor wie ein Fest in Zeiten von Krieg und Pest.“ Freudenfeld ist in St. Petersburg zur Welt gekommen, im ehemaligen Leningrad ist seine Mutter geboren, sein Vater kommt aus der Westukraine.

„Seitdem der Krieg zwischen Russland und der Ukraine 2014 begonnen hat, sind in meiner Familie viele Beziehungen zerbrochen, es gab zu viele ideologische Differenzen“, sagt er. Er wolle nicht über Verantwortung sprechen, nur so viel: „Wer einen Krieg anfängt, ist nie im Recht.“ Wichtig sei es jetzt, für den Frieden einzustehen, sagt Freudenfeld.

Er selbst macht das mit seiner Band am Samstag in der Lutherkirche. Dort wird kurzerhand ein „Kölsch-Ukrainisch-Russisches Friedenskonzert“ gefeiert. „Es geht für uns jetzt auch darum, aus der eigenen Ohnmacht und Angst herauszufinden“, sagt er. „Wir müssen in Köln und überall zusammenstehen.“

Kölnerin telefoniert mit Freundin

Die verstörenden Nachrichten aus ihrer ukrainischen Heimat bereiten auch Natalia (34) große Sorgen. Die Ukrainerin lebt seit drei Jahren in Köln und hat schon mehrfach mit ihrer Freundin in der Stadt Dnipro, der viertgrößten Stadt in der Ukraine, telefoniert. „Die Familie will aus der Stadt heraus, aber das geht nicht.“ Soldaten würden auf den Straßen kontrollieren. In Cherson wurde schon früh am Morgen geschossen. Noch klappe die Kommunikation über Whatsapp, viele Fotos werden geschickt.

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Aber Natalia hat Angst, dass bald die Internet- und Handyverbindungen gekappt werden. Auch fürchtet sie, dass Putin sich nicht mit der Ukraine zufriedengeben wird, sondern auch gegen Polen oder sogar Deutschland Krieg führen werde. Dass die Kölner Karneval feiern, möchte und kann sie nicht verbieten. Ihr Sohn habe auch in der Schule ein wenig gefeiert. „Aber ich werde es sicher nicht.“ Sie bleibt am Telefon.

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