Mein VeedelDurch Ehrenfeld mit Günter Wallraff

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Befürworter und Kritiker zugleich: Günter Wallraff vor der neuen Moschee an der Ecke Venloer Straße/Innere Kanalstraße.

Befürworter und Kritiker zugleich: Günter Wallraff vor der neuen Moschee an der Ecke Venloer Straße/Innere Kanalstraße.

Ehrenfeld – Spazierengehen ist nicht unbedingt die Fortbewegungsart des Günter Wallraff. Entweder läuft er in den späten Abendstunden von der Thebäerstraße über die Vogelsanger Straße in den Grüngürtel und zieht dort im Schatten des Colonius seine Runden. Oder er ist anderweitig in Aktion. Wallraff lebt seit 46 Jahren in Ehrenfeld. Bei seiner Lebensgeschichte muss ein Veedelsspaziergang in seinem Haus beginnen.

"Es ist das Haus meiner Großeltern. Wir sind hier Heiligabend 1967 eingezogen, mit einem kleinen Kind, das ist Ruth, meine Älteste. Es war alles marode, es gab nicht mal eine Heizung, und unterm Dach hausten die Tauben." Wallraffs Großvater hat Klaviere verkauft und repariert. Und manchmal auch selbst gebaut. Davon zeugen noch die Schienen, die vom Vorderhaus in die alte Werkstatt führen und auf denen die Klaviere transportiert wurden. Das Haus stammt aus dem Jahr 1875 und steht unter Denkmalschutz. Es habe viele Jahre gedauert, aber "zunehmend ist aus einem Provisorium ein Refugium geworden. Jetzt ist es wie eine Oase."

Tischtennis mit Salman Rushdie

Ein Refugium, das vielen Verfolgten Zuflucht geboten hat. Dem Regimekritiker Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung aus der DDR, dem Schriftsteller Salman Rushdie nach der Todesdrohung durch die iranischen Mullahs, einer Roma-Familie, die im benachbarten Asylbewerberheim in der Geisselstraße lebte und von Abschiebung bedroht war. Oder zuletzt dem iranischen Musiker Shahin Najafi, der wegen eines Liedes "zur Zielscheibe wüster Todesdrohungen und Einschüchterungen wurde". Derzeit wohnt bei Wallraff ein ehemaliger Aldi-Manager, "den ich bei den Recherchen über das Billigheimer-Prinzip unterstützt habe, was für ihn nicht ohne Folgen blieb".

Günter Wallraff ist ein Stück Ehrenfelder Geschichte. Man könnte sich in Anekdoten verlieren, eine der schönsten sei erzählt, bevor wir uns ums Viertel kümmern. Wallraff ist passionierter Tischtennisspieler. Das haben auch Salman Rushdie und Wolf Biermann erfahren müssen. "Biermann meinte damals, dass er auch hier der Größte sei. Daraufhin habe ich ihn vor Publikum auf einem Bein hüpfend geschlagen. Das hat ihn so gewurmt, dass er sich einen Trainer gesucht hat. Einen Freigänger aus dem Knast, aus Santa Fu, der mal Bezirksmeister in Ungarn war. In Hamburg hat er mich bei einer Revanche sogar mal überraschend geschlagen."

Jetzt aber Ehrenfeld. "Es stimmt nicht, wenn Heinz Buschkowsky behauptet, Neukölln sei überall", sagt Wallraff. "Ehrenfeld ist anders. Es hat mit Josef Wirges auch einen anderen Bürgermeister. Es rauft sich zusammen, es hat längst mehr positive als negative Seiten. Das fängt in den Schulen an. Die Kinder spielen und lernen zusammen. Sie überwinden langsam nationale und religiöse Schranken."

Das lebendige Viertel Ehrenfeld

Wir stehen im Schatten der neuen Moschee. Zwiespältige Gefühle löse der Bau bei ihm aus, sagt Wallraff. "Ich war Befürworter und bin es immer noch. Natürlich haben die Muslime das Recht, aus einer ehemaligen maroden Fabrik eine würdige Gebetsstätte zu machen." Deshalb sei er zunächst der Bitte von Bekir Alboga, dem Vorstandssprecher der Türkisch-Islamischen Union (Ditib), nachgekommen und habe zugesagt, in den Moschee-Beirat zu kommen. Mit dem Vorschlag, dort auch mal über Rushdies Satanische Verse zu diskutieren, habe er ihn keinesfalls provozieren wollen.

"Das war in einem Live-Gespräch beim Deutschlandfunk. Alboga hat damals spontan geantwortet: Warum nicht!" Später habe er ihm vorgeworfen, "ich hätte mit meinem Ansinnen die Gefühle der Muslime weltweit verletzt. Zu meiner großen Verwunderung wurde der so freundliche und gebildete Mann wohl zurückgepfiffen." Der Fortgang des Moscheebaus sei höchst unerfreulich. "Es verstört mich, wie man versucht, den Architekten Paul Böhm abzuservieren. Unter dem irrwitzigen Vorwand, er habe christliche Symbole eingebaut." Auch der Rechtsstreit um die "angeblich mehr als 2000 Baumängel" sei nicht nachvollziehbar. "Man will Paul Böhm offensichtlich ausschalten und ruinieren. Dem muss man die Stirn bieten."

Wenden wir uns den erfreulichen Dingen zu. Ehrenfeld sei eines der lebendigsten Viertel, "das ich kenne", sagt Wallraff. "Man kriegt mich hier nicht mehr weg." Unweit der Moschee besuchen wir einen alten Freund. Frank Reglin (65) hält sich mit seiner Druckerei auf der Venloer Straße seit 25 Jahren über Wasser, in letzter Zeit aber "mehr schlecht als recht", wie er sagt. Die beiden kennen sich seit mehr als 40 Jahren. Reglin war damals Lehrlingssprecher bei Gerling, Wallraff arbeitete als Bote. Ein paar Schritte weiter, in der Zigarrenmanufaktur La Galana, holt ihn wieder ein Stück Geschichte ein. "Das ist das Geburtshaus meiner Mutter. Hier ist sie 1901 auf die Welt gekommen. Drinnen hängt noch ein Foto von ihr." Die Inhaberin Annette Meisl organisiert Ausstellungen und hat ein pikantes Buch geschrieben: Mein Sexperiment. Fünf Männer für mich. "Ich komme auch drin vor und bin der Spielverderber."

Kölns ältester Grieche

Wenn Ehrenfeld international ist, gilt das allemal für die Küche. Für einen Menschen wie Wallraff, der selbst nicht kochen kann, aber gutes Essen schätzt, haben die Lokale auf der Venloer Straße nur einen Haken. "Für einen Nachtmenschen wie mich schließen sie zu früh. Eigentlich bin ich immer unterernährt, obwohl ich gerne schlemme." Sein griechisches Stammlokal, die Taverne Alekos, die 2014 ihr 40-jähriges Bestehen feiern wird "und meines Wissen Kölns ältester Grieche ist", hat sich den Essgewohnheiten Wallraffs nach einer kurzen Phase, als die Küche schon um 22.30 Uhr dichtmachte, zum Glück wieder angepasst. In die Traditionsgaststätte Haus Scholzen mit der ausgezeichneten gutbürgerlichen Küche geht er "gerne mit ausländischen Gästen, um ihnen zu zeigen, wie Deutschland früher war".

Dringend empfehlen muss Wallraff auch das Maison Baguette, ein französisches Bistro mit einem türkischen Besitzer, "wegen der frisch gepressten Säfte in 13 verschiedenen Sorten. Weil ich selten frühstücke, halten die Säfte und mein Grundnahrungsmittel Bananen mich bei Kräften." Das Fuji, ein kleines japanisches Familienrestaurant gleich nebenan, muss er auch noch empfehlen. Und natürlich das Weinlokal Secco in der Simrockstraße. "Dort hat meine Tochter zu meinem 70. Geburtstag eine Überraschungsparty ausgerichtet. Mir war nicht zum Feiern zumute. Aber es wurde ein schöner Abend." Bleiben die beiden Italiener auf der Venloer Straße: das Limone, "dessen liebenswerter Besitzer Kosovo-Albaner ist", und das Amalfi, das so hochgelobt war, dass es eine Zeit lang völlig überlaufen war und einen Haken hat: "Wenn der Besitzer auf Berlusconi zu sprechen kommt, schmeckt es mir nur noch halb so gut." Wallraff muss schmunzeln, als wir am Schwesterherz vorbeikommen. "Als ich das erste Mal hier war, saßen da nur junge Frauen. Ich habe vorsichtig gefragt, ob ich als männlicher Ureinwohner Ehrenfelds überhaupt rein darf."

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