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Mein VeedelKlaus der Geiger zeigt seine Südstadt

6 min

Der Geiger und seine Leidenschaft

Köln – Klaus der Geiger rüttelt am Zaun des Bauspielplatzes im Friedenspark. „So was gab’s hier früher nicht, wir sind über die Mauern des Forts geklettert und keinen hat’s aufgeregt.“ Der eingezäunte „Baui“, den er vor Jahrzehnten mit anderen Eltern in der Südstadt erstritten hat, ist für ihn ein Symbol für wenig erfreuliche Veränderung: Alles muss mehrfach abgesichert sein, „Freiheiten werden eingeschränkt“. Das wilde Leben im ehemaligen „Migrantenstadl“ sei vorbei. „Damals war alles sehr abenteuerreich.“

Nostalgisch und zu sentimental soll der Spaziergang durchs Veedel nicht werden, verspricht Kölns bekanntester Straßenmusiker. Aber so ganz lässt sich ein leicht wehmütiger Blick nicht vermeiden, wenn man 43 Jahre im selben Stadtteil wohnt. Er sei ein Überbleibsel, ein Fossil, meint er. Die Nachbarschaft würdigt das: Der nach wie vor unangepasste Aktivist wird beim Gang vorbei an für zahlungskräftiges Publikum sanierten Häusern, die er einst mitbesetzte, von Nachbarn gegrüßt. „Früher war ich für viele ein Penner und Bösewicht, heute begegnen mir die Leute so, als wenn ich ein Heiliger wäre. Dabei bin ich doch der alte geblieben.“

Kurz nachdem die Studentenbewegung damit begonnen hatte, an den Grundfesten der deutschen Nachkriegsrepublik zu rütteln, war Klaus Christian von Wrochem – so sein bürgerlicher Name – zurück nach Köln gekommen, wo er vor einem Aufenthalt in den USA an der Musikhochschule Violine studiert hatte. In Amerika hatte er die Hippiebewegung für sich entdeckt. In der Kölner Südstadt zog er in eine Kommune ein, legte den Nachnamen seiner großbürgerlichen Familie ab und begann seinen Kampf für eine bessere Welt. „Imagine all the people, living life in peace“ wird der Songtext von John Lennon auf einer Tafel im Friedenspark zitiert, der auch das Motto von Klaus dem Geiger sein könnte. Eine Bürgerinitiative hat einen Platz zur Erinnerung an den Beatle angelegt. Am vergangenen Wochenende wurde hier ein kleines Gedächtniskonzert gespielt. An so etwas hat der mittlerweile 73-jährige Geiger Spaß – genau wie an den Plakaten, die jemand in der Südstadt aufgehängt hat und auf denen „Asyl für Edward Snowden“ gefordert wird. „Das hat der mutige Kerl verdient.“

Adler geteert und gefedert

Klaus der Geiger erzählt die Geschichte, wie der preußische Adler auf dem Festungsbau des Fort I im ehemaligen Hindenburgpark einmal rosa und grün angemalt worden war. Diese Art des Gedenkens an Weltkriegstote kam in der einstmals bunten Südstadtszene gar nicht gut an. „Der Geier wurde zur Restaurierung vom Sockel geholt.“ Doch auch am Boden wurde es für ihn nicht sicherer. „Eines schönen Tages fand man ihn geteert und gefedert.“

Der Weg führt durch den Park über den angrenzenden Spielplatz. Hier seien seine fünf Kinder groß geworden, berichtet der mittlerweile sechsfache Opa nicht ohne Stolz. Wenn er von seiner Familie erzählt, versteht man, warum er nicht wie viele andere weggezogen ist. Er hat hier Wurzeln geschlagen. „Familie ist wichtiger als alles andere.“ Außerdem habe er das Glück, weiterhin günstig wohnen zu können.

Als das Haus in der Mainzer Straße, in dem er wohnt, zwangsversteigert wurde, gründeten Südstädter einen Verein, um mitzubieten. Der Verein wurde zu von Wrochems Vermieter. Im Erdgeschoss baut einer seiner Söhne Geigen und Celli. Auch diese Geschichte steht für die Zeit, bevor Immobilienspekulationen und Luxussanierungen das Viertel veränderten. Die Kölner Südstadt gilt als Musterbeispiel für den Prozess, den Sozialwissenschaftler „Gentrifizierung“ nennen: Nachdem ein preiswertes Viertel von einer kreativen Szene entdeckt und aufgewertet worden ist, werden diejenigen angelockt, die zunächst die Alteingesessenen und schließlich auch diejenigen verdrängen, deretwegen sie gekommen sind. Da, wo der Kommunarde einst mit anderen Hausbesetzern im alternativen Cafe „Tabernakel“ neben der Bottmühle saß, gibt es heute einen „Co-Working Space“. Auf einer Anrichte steht ein Postkarte mit dem Spruch: „Ich werde die Welt retten, sobald es ne App dafür gibt.“

„Man muss sich wehren“

Lässt sich aus der Viertelsentwicklung für andere Kölner Stadtteile etwas lernen? „Man muss sich wehren“, sagt Klaus der Geiger bei einem Cappuccino in der kleinen „Caffe’Bar“ am Ubierring. Es ist eines seiner aktuellen Lieblingslokale im Viertel. „Und man muss die Tricks der Schweinehunde kennen, um Deals machen zu können.“ Könnte die Politik was ändern? „Natürlich könnte sie das, aber es ist immer die gleiche, einfache Geschichte: Wenn Politiker in Machtfunktionen sind, halten sie sich an die wahren Machthaber, die in der Wirtschaft sitzen und das Geld haben.“ Da lodert es wieder – das Feuer des alten Straßen- und Klassenkämpfers. Ab und zu zieht es ihn noch auf die Straße, um den Passanten mit seinen Protestliedern die Meinung zu geigen. „Das ist mein geistiges und körperliches Trainingslager.“ Den Severinskirchplatz hat er als neue Spielstätte entdeckt. Da sei es nicht ganz so hart wie auf der Schildergasse.

Hier im Severinsviertel wird Klaus der Geiger versöhnlicher als in der Neustadt jenseits des Rings. Mehr noch: Es gibt Lob für die oft gescholtene Stadtplanung. Der Umbau der Severinstraße sei gelungen, die soziale Mischung erhalten geblieben. Auch ein paar Nischen für Unangepasstes und Unkonventionelles sind geblieben.

Sogar an dem Ort der vielleicht größten Schlacht, die er mitgeschlagen hat, überrascht Klaus der Geiger mit einem Kompliment: „Es ist besser geworden, als wir damals befürchtet haben.“ Zusammen mit zeitweise 600 Mitstreitern besetzte der Musiker im Mai 1980 die ehemaligen Stollwerck-Schokoladenfabrik. Er schwärmt von dem „rechtsfreien Raum“, „einem wilden Leben“ und von der scharfen Auseinandersetzung mit denen, die damals in Köln das Sagen hatten. „Der Oberstadtdirektor hatte Hausverbot und musste deshalb Flugblätter mit dem Hubschrauber abwerfen.“ Heute habe er sich „irgendwie mit der Sache ausgesöhnt“. Architektonisch wie auch wohnungspolitisch habe sich hier Gutes entwickelt.

Karnevalsjecke Lehrerinnen

Gleich neben dem Stollwerck-Areal liegt die Grundschule Zwirnerstraße – ein Pflichttermin beim Veedelsrundgang. Heute könne er glücklicherweise Dinge tun, für die er früher keine Zeit gehabt habe. Er ist Pate der Schule, macht Musik mit den Kindern und begleitet sie beim Karnevalszug. Er liebe die „karnevalsjecken Lehrerinnen“, sagt er, während ein Lied aus einem Klassenzimmer dringt. Nach einem Plausch mit dem „Fahrraddoktor“ Karsten Heinsohn in der Biberstraße erreicht er den Platz „An der Eiche“, wo er jedes Jahr den Straßenkarneval genießt und mit den „Zwirnis“, einer Band der Grundschule, auftritt.

An Weiberfastnacht staune er über die „Idioten“, die auf Kommando ausgelassen seien. Nach einer Weile würde ihn jedoch nichts mehr zu Hause halten und nach ein, zwei Bier sei er mittendrin. Abends tanze und versacke er dann in seiner Lieblingskneipe „Litho“. „Dann bin ich bis Aschermittwoch genauso bekloppt wie die anderen auch.“

Der Rundgang endet im Restaurant des „Vringstreff“, der Anlaufstelle für Obdachlose, die auch ein Begegnungszentrum sein will. Heute steht die „Hähnchenschnitte Toscana“ als Tagesgericht auf der Karte. Leute mit wenig Geld zahlen 2,20 Euro, alle anderen fünf Euro. „Klaus, wann spielst Du mal wieder für uns?“, fragt einer. Der nächste Termin ist längst vereinbart. „Es ist schön, dass der Spaziergang gerade hier endet“, sagt Klaus der Geiger. „Da, wo arme Leute leben, ist immer mehr los als in den Vierteln der Reichen.“