Juda und Ruchela Appermann wurden 1938 im Zuge der Polenaktion aus Köln deportiert. Jugendliche haben Stolpersteine für sie finanziert.
ErinnerungskulturMülheimer Schüler organisieren Stolpersteine für jüdisches Ehepaar

Estelle Conway, Alan Conway und Hannah Nemko
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„Ich möchte euch von meinen Großeltern Juda and Ruchela Appermann erzählen“, sagt Estelle Conway sichtlich berührt. Die 79-jährige Frau steht in der Bayardsgasse in der Kölner Innenstadt. Sie hält einen Zettel in den Händen. Neben ihr stehen ihre Tochter Hannah und ihr Sohn Alan und halten sie unterstützend.
Um die britische Familie sind dutzende Schülerinnen und Schüler der Tages- und Abendschule (TAS Köln) in Köln-Mülheim versammelt und hören gebannt zu, was Estelle erzählt: „Die Familie wohnte in der Bayardsgasse 26, sie waren sehr gläubige Juden“. Estelle Conways Mutter Lina war das Mittelkind von fünf. Sie lebten gemeinsam in dem Haus in Köln. Ruchela hatte ein koscheres Geschäft im vorderen Teil des Hauses und Juda arbeitete als Textilkaufmann.

Juda Appermann
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Ruchela Appermann
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Juda und Ruchela Appermann lebten bis 1938 in Köln
„Leider weiß ich nur sehr wenig über meine Großeltern und ihr Leben in den 1930er Jahren, da meine Mutter nicht gerne über sie sprach“, erzählt Estelle weiter, „aber sie hat erzählt, dass es ein glücklicher Haushalt war“. Ihre Mutter sei zutiefst traurig, über die Geschehnisse in Deutschland gewesen, habe ihrer Tochter deshalb auch kein Deutsch beigebracht. Vieles, das Estelle über ihre Großeltern weiß, wisse sie über ihren Onkel Issy, der einige Interviews gegeben hatte.
Entsprechend habe die Familie Appermann bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten friedlich in Deutschland gelebt, jüdische und christliche Kinder spielten ohne Probleme zusammen. Mit der Ernennung von Adolf Hitler als Reichskanzler habe sich dann alles verändert: Issy wurde von einem jungen christlichen Freund geschlagen und beleidigt, es fanden Demonstrationen, Schlägereien und Beschimpfungen auf den Straßen statt und am Laden von Ruchela wurde ein Schild mit der Aufschrift „Kaufen Sie nicht bei Juden“ angebracht.
Estelles Mutter Lina arrangierte daraufhin, dass ihre Schwestern Ida und Freda und ihr Bruder Zali, nach Israel flüchten konnten. Sie und ihr jüngster Bruder Issy blieben zunächst mit Juda und Ruchela in Köln. „Am 28. Oktober 1938 wurden meine Großeltern nach Polen deportiert“, erzählt Estelle mit Tränen in den Augen, „Die Familie hat nie wieder etwas von ihnen gehört“. Estelles Mutter und ihr Onkel konnten Köln mithilfe eines deutschen Offiziers verlassen. Issy floh nach Israel, Lina nach England.
Mülheimer Schülerinnen und Schüler finanzieren Stolpersteine
Die Deportation von Juda und Ruchela Appermann war Teil der sogenannten Polenaktion 1938. Dabei ließ das NS-Regime rund 17.000 im Deutschen Reich lebende Jüdinnen und Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft verhaften, ausweisen und gewaltsam zur polnischen Grenze verbringen. Es war die erste Massendeportation von Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich.
„Es sind zwei Schicksale von Millionen“, erzählt Sebastian Prigge, Lehrer an der TAS Köln, „es ist so wichtig, dass wir daran erinnern und davon lernen“. Der Lehrer hat Estelle Conway und ihre Kinder nach Köln eingeladen, damit sie die Geschichte ihrer Großeltern erzählen kann und die Verlegung von Stolpersteinen für sie miterleben kann. Die Idee dafür kam von den Schülerinnen und Schülern der TAS Köln.

Mülheimer Schülerinnen und Schüler organisierten Stolpersteine für das jüdische Ehepaar Appermann.
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Stolpersteine sollen Opfer des NS-Regimes gedenken
„Wir hatten das Thema Stolpersteine im Unterricht“, erzählt Schulsprecher Tobias Koch, „ich fand die Initiative sehr interessant“. Also habe er seinem Lehrer und seiner Klasse vorgeschlagen, einen Stolperstein zu finanzieren. Seine Mitschülerinnen und Mitschüler seien begeistert gewesen und auch eine weitere Klasse wollte sich beteiligen. So legten die Jugendlichen zusammen, jeweils drei bis fünf Euro gaben sie dazu. Den Rest übernahm die Schulleitung und so konnten die beiden Stolpersteine für Juda and Ruchela Appermann in der Bayardsgasse am Donnerstag verlegt werden. „Ich finde, es ist eine große Symbolik, dass Menschen aus aller Welt ein Zeichen gegen Rechts setzen und ihren kleinen Teil beitragen“, sagt der Schulsprecher.
„Die NS-Zeit und die Geschichte meiner Urgroßeltern lehrt nicht nur über Hass gegen Juden, sondern über Hass allgemein“, sagt Hannah Nemko zu den Schülerinnen und Schülern, „und der darf nicht stattfinden“. Die Verlegung des Steins sei deshalb nicht nur emotional für die Familie, sondern auch eine Warnung, dass so etwas nicht wieder passieren dürfte. Estelle sagt zum Schluss: „Es bedeutet uns sehr viel, die Verlegung dieser Steine zu Ehren meiner Großeltern Juda und Ruchela mitzuerleben und zu wissen, dass sie nicht vergessen sind und nicht vergessen werden.“